Der Elefanten-Tempel. Катя БрандисЧитать онлайн книгу.
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Katja Brandis
Der Elefanten-Tempel
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Inhaltsverzeichnis
Ferner Traum
„Okay, sie sind weg.“ Severin steckte den Kopf durch die Tür, winkte fröhlich mit dem Ersatzkabel seines Computers und verschwand wieder. Ricarda grinste zurück und holte ihren Laptop aus der Schublade ihres Schreibtischs. An den Ecken war die Farbe ein bisschen abgewetzt, aber sonst sah der Laptop immer noch wunderbar aus, golden lackiert mit einem Muster aus verschlungenen Ranken. Sie hatte es sorgfältig vorgezeichnet, damit es am Schluss auch wirklich gut wurde.
Im Zimmer nebenan war Severin vermutlich schon in irgendein Computerspiel abgetaucht. Genau das, was ihr Vater absolut nicht ausstehen konnte. Wie praktisch, dass er und Mama so gerne ins Theater gingen. Und wie naiv, dass sie dachten, sie könnten das Problem lösen, indem sie einfach die Netzkabel beschlagnahmten. Ricarda hatte keine Ahnung, wo sie die Dinger immer hintaten; beim Gedanken, dass ihre Eltern jetzt mit einer Damenhandtasche voller Kabel im Theater saßen, musste sie wieder grinsen.
Okay, Computerspiele waren manchmal dämlich oder brutal, aber Ricarda war schleierhaft, warum ihr Vater auch etwas gegen Chats hatte. Oder gegen das Surfen. Sie hatte es ihm schon mindestens tausend Mal erklärt: Nein, Papa, keine Sorge, ich kopiere keine Informationen aus dem Netz in meine Referate! Ganz ehrlich nicht! Jedenfalls – das musste er ja nicht wissen – nicht mehr seit dem peinlichen Reinfall in Bio, als sich die Wikipedia-Information über das Gewicht einer Fliege als totaler Blödsinn herausgestellt hatte.
Ricarda stürzte sich kopfüber ins Netz, sie freute sich schon auf ihre Mails. Aha, eine von Lilly. Leider stand nicht viel drin, wahrscheinlich hatte sie es gerade eilig gehabt.
Betreff: Dicke Haut
Von: [email protected]
Hey Rica, das hab ich beim Rumsurfen gefunden, du magst doch Elefanten, oder? Kannst ja mal reinschauen, da sind coole Fotos drauf! Lilly
Ja, Elefanten mochte sie. Sehr sogar. Ricarda folgte dem Link ... und hielt die Luft an. Mitten in Afrika: eine riesige, zerfurchte Gestalt, wuchtig und schwer wie ein Wesen aus der Urzeit. Aber so kluge Augen. Dunkel und aufmerksam blickten sie Ricarda vom Bildschirm entgegen. Intelligent war dieser Blick. Nein, anders. Nachdenklich. Weise.
Ricarda klickte sich durch, war auf einmal bei den Elefanten Asiens. Dort, wo sie dem Menschen schon seit Tausenden von Jahren dienten, als Reittiere und Lastträger, als Helfer bei Waldarbeiten, als lebende Waffen im Krieg. Und wenn in Thailand ein weißer Elefant geboren wird, gehört er dem König, selbst heute noch. Denn weiße Elefanten stehen den Göttern nahe ...
Ricarda schaute auf die Uhr, zögerte. Schon spät. Besser jetzt noch ein bisschen chatten oder bei Facebook reinschauen. Doch als ihre Augen über die Seite streiften, blieben sie an einem unscheinbaren Banner hängen. Chiang Mai Elephant Refuge, Thailand. Was hieß Refuge noch mal? Ach ja, Zuflucht. Und man sprach es Refjudsch aus. Komischer Gedanke, dass selbst die stärksten Wesen der Erde flüchten mussten. Ricarda konnte sich schon denken, vor wem. Vor den kleinen Zweibeinern, die zwar winzige Zähne und keine Klauen hatten, dafür aber jede Menge komische Ideen im Knollenkopf.
Chiang Mai Elephant Refuge.
Eine winzige Bewegung mit dem Zeigefinger, und Ricarda las, was sich hinter dem Banner verbarg. Im Chiang Mai Elephant Refuge wurden misshandelte, überarbeitete und kranke Elefanten gesundgepflegt. Gegründet hatte die Zuflucht ein Mann namens Ruang Surapatti, der von Kindheit an mit den Tieren gearbeitet und erlebt hatte, dass manche skrupellosen Mahouts – Elefantenführer – die Tiere wie Sklaven schuften ließen. Sie putschten ihre Tiere sogar mit Drogen auf, um mehr Arbeitsleistung aus ihnen herauszuholen. Schon vor Jahren war Ruang angewidert aus seinem Beruf ausgestiegen und hatte Spenden gesammelt, bis er die Zuflucht gründen konnte. Inzwischen lebten dort fünfzehn Elefanten, vom alten Bullen bis zum neugeborenen Kalb. Geborgen, in Sicherheit.
Schien eine gute Sache zu sein. Vielleicht konnte sie dafür bei ihren Eltern ein paar Euro Spendengeld loseisen. Ricarda klickte auf Support us. Und fand nicht das, was sie erwartet hatte. Klar, Geld brauchte das Projekt auch. Aber genauso dringend brauchte es Helfer, die vor Ort mit anpackten. Ricarda spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Sie klickte sich weiter, durch die Fotogalerie, die zeigte, wie thailändische Mahouts und Helfer aus aller Welt mit den Elefanten badeten, sie fütterten, sie durch den Dschungel führten.
Der Akku des Laptops waren fast leer. Ricarda stand auf und ging in die Küche, um sich etwas zu Trinken zu holen. Sie fühlte sich wie nach einem Sprint, wach und lebendig und atemlos. Wie das wohl wäre? In Thailand?
Genial, gab sie sich selbst die Antwort. Das wäre einfach genial.
Severin wühlte gerade im Kühlschrank, anscheinend hatte er mal wieder eine seiner mitternächtlichen Fressattacken.