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Krakatit. Karel ČapekЧитать онлайн книгу.

Krakatit - Karel Čapek


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nicht zum Frühstück. Anni brachte ihm die Milch. Er dankte, erinnerte sich dabei an seinen Traum und konnte es nicht über sich bringen, das Mädchen anzusehen. Er blickte hartnäckig in die Ecke; weiß der Kuckuck, wie er es dabei fertigbrachte, trotzdem jedes einzelne Goldhärchen an ihren nackten Armen zu entdecken. Nie hatte er das bisher beachtet.

      Anni stand nahe bei ihm. »Werden Sie schreiben?« fragte sie unsicher.

      »Ja«, brummte er und dachte, was sie wohl dazu sagen würde, wenn er unvermutet den Kopf an ihre Brust legte.

      »Den ganzen Tag?«

      »Ja.« Wahrscheinlich würde sie sehr unangenehm berührt zurückweichen. Sie hat kleine, feste Brüste und weiß vielleicht gar nichts davon. Übrigens, was ging ihn das an!

      »Wünschen Sie noch etwas?«

      »Nein, nichts.« Zu dumm; am liebsten möchte er fest zupacken! Eine Frau weiß nie, wie sehr sie einen aus der Fassung bringt.

      Anni zuckte ein wenig gekränkt mit den Schultern. »Also schön!« Und fort war sie.

      Er stand auf und ging hin und her. Er ärgerte sich über sich selbst und auch über sie und hatte vor allem keine Lust mehr zu schreiben. Er versuchte, seine Gedanken zu sammeln, doch ohne Erfolg. Mißmutig und verärgert ging er zwischen den Wänden auf und nieder mit der Regelmäßigkeit eines Uhrpendels. Eine Stunde, zwei Stunden. Von unten hörte man Tellergeklirr. Der Mittagstisch wurde gedeckt. Er setzte sich wieder an seine Arbeit und stützte den Kopf in die Hände. Eine Weile später brachte die Magd das Mittagessen.

      Er ließ es fast unberührt und warf sich übellaunig aufs Bett. Es war klar: sie hatten ihn satt, und auch er hatte schon von allem hier genug. Es war höchste Zeit abzureisen. Ja, gleich morgen. Er faßte allerlei Pläne für seine künftigen Arbeiten und wußte selbst nicht, warum er ein so beschämendes und peinliches Gefühl dabei hatte. Schließlich schlief er todmüde ein. Er erwachte spät nachmittags voll widerwärtiger Dumpfheit und Schlaffheit an Körper und Seele. Er lief ziellos im Zimmer umher, gähnte und war gedankenlos verdrießlich. Es wurde dunkel, aber er machte kein Licht. Die Magd brachte ihm das Abendessen. Er ließ es kalt werden und lauschte, was unten vorging. Die Gabeln klirrten, der Doktor brummte und schlug sehr bald nach dem Abendessen die Tür seines Zimmers zu. Dann war es still.

      Überzeugt, niemandem mehr zu begegnen, raffte sich Prokop auf und ging in den Garten hinunter. Die Nacht war lau und klar. Schon blühte der Flieder, Bootes streckte seine Sternenarme weit am Himmel aus, und aus der Tiefe der Stille tönte von fernher Hundegekläff. An der Steinmauer im Garten lehnte etwas Helles: es war Anni.

      »Eine schöne Nacht heute!« sagte er, bloß um überhaupt etwas zu sagen, und lehnte sich neben sie an die Mauer. Anni schwieg, wandte das Gesicht ab, nur ihre Schultern zuckten ungewohnt und unruhig.

      »Das ist Bootes«, erklärte Prokop mitteilsam. »Darüber – ist der Drache und der Cepheus, und dort die Kassiopeia, die vier Sterne beisammen. Sie müssen höher schauen.«

      Anni stand abgewandt und fuhr sich über die Augen. »Der helle dort ist der Pollux«, sagte Prokop zögernd. »Sie dürfen mir nicht böse sein. Vielleicht bin ich Ihnen grob erschienen. Ich bin – irgendwas quält mich. Beachten Sie es nicht.«

      Anni seufzte tief. »Und . . . der dort?« fragte sie mit leiser, schwankender Stimme. »Der hellste dort?«

      »Das ist der Sirius im Großen Hund. Man nennt ihn auch Alhabor. Und ganz links sehen Sie den Arcturus und die Spica. Jetzt fiel eine Sternschnuppe. Haben Sie gesehen?«

      »Ja. Warum ärgerten Sie sich heute morgen so über mich?«

      »Ich ärgerte mich nicht. Ich bin . . . manchmal . . . vielleicht etwas schroff. Aber ich habe ein hartes Leben hinter mir, allzu hart und immer allein wie – ein Vorposten. Ich kann ja nicht einmal ordentlich sprechen. Ich wollte heute . . . etwas Schönes schreiben . . . etwas wie ein wissenschaftliches Gebet, für jeden verständlich. Ich . . . hätte es Ihnen gern vorgelesen; aber in mir ist alles verdorrt. Man schämt sich förmlich schon . . . seiner Begeisterung, als ob das eine Schwäche wäre. Oder überhaupt etwas frei herauszusagen. So verkrustet ist die Seele. Ich werde schon recht grau.«

       »Das steht Ihnen doch gut«, sagte Anni leise.

      Prokop war überrascht, wie sie die Dinge sah. »Nun, angenehm ist es gerade nicht«, sagte er verwirrt. »Es wäre an der Zeit . . . es wäre hoch an der Zeit, die Ernte einzubringen. Was hätte ein anderer aus meinem Wissen gemacht! Aber ich habe nichts, nichts von alldem. Ich bin bloß . . . ›berühmt‹, ›célèbre‹, ›highly esteemed‹, freilich, bei uns weiß niemand davon. Ich halte meine Theorien für ziemlich falsch; ich bin kein Theoretiker. Aber was ich gefunden habe, ist nicht ohne Wert. Meine exothermischen Sprengstoffe zum Beispiel . . . die Diagramme . . . und die Atomexplosion . . . das bedeutet schon etwas. Dabei habe ich kaum ein Zehntel meiner Kenntnisse publiziert. Was würde ein anderer daraus machen! Ich verstehe die Theorien der anderen nicht einmal mehr; sie sind so subtil, so geistreich – daß sie mich nur verwirren. Ich bin ein Küchengeist. Halten Sie mir irgendeinen Stoff unter die Nase, und ich schnuppere förmlich, was sich daraus machen läßt. Aber begreifen, was daraus zu folgern wäre – theoretisch und philosophisch –, das vermag ich nicht. Ich kenne . . . nur Tatsachen, ich schaffe sie, es sind meine Tatsachen, verstehen Sie das? Und doch fühle ich dahinter eine – eine Wahrheit, eine ungeheure, allgemeine Wahrheit, die – alles umstürzen wird –, wenn sie einmal entfesselt ist. Aber diese große Wahrheit steckt hinter den Tatsachen – nicht hinter den Worten. Und deshalb, deshalb muß ich hinter die Tatsachen gelangen, und wenn es mich beide Hände kosten sollte . . .«

      Anni, die an der Mauer lehnte, wagte kaum zu atmen. Nie zuvor war dieser düstere Mensch so redselig gewesen, und nie noch hatte er von sich gesprochen. Er rang schwer mit den Worten; ein gewaltiger Stolz durchbebte ihn, aber auch Scheu und Gequältheit. Doch selbst wenn er in Integralen geredet hätte, würde Anni begriffen haben, daß sich ihr da etwas ganz Innerliches und menschlich Aufgewühltes offenbarte.

      »Das Schlimmste aber«, fuhr Prokop verhalten fort, »das Schlimmste ist, daß mir manchmal – und hier besonders – auch das töricht, unnütz scheint, ich meine jene letzte Wahrheit – und überhaupt alles. Das habe ich früher nicht gekannt: dieses Wofür und Wozu! . . . Vielleicht wäre es vernünftiger, sich zu ergeben . . . sich einfach all dem, all dem zu ergeben –« (Er bewegte dabei die Hand in der Runde.) »Dem Leben! Der Mensch soll nicht glücklich sein; es verweichlicht ihn. Dann erscheint ihm alles übrige klein, überflüssig . . . sinnlos. Das Größte . . . das Höchste leistet der Mensch aus Verzweiflung, Verlassenheit, aus Einsamkeit, Betäubung. Weil ihm nichts genügt. Ich habe wie ein Wahnsinniger gearbeitet. Aber hier, hier begann ich glücklich zu werden. Hier erkannte ich, daß es vielleicht . . . etwas Besseres gibt als zu denken. Hier lebt der Mensch einfach . . . und merkt, daß es etwas Gewaltiges ist, nur zu leben. So wie Ihr Hund, Ihre Katze, wie die Hühner. Jedes Tier vermag es . . . mir erscheint das so großartig, als hätte ich bisher überhaupt nicht gelebt. Und so . . . habe ich zum zweitenmal zwölf Jahre verloren.«

      Seine verunstaltete, so oft geflickte Hand an der Mauer erzitterte. Anni schwieg, selbst in der Dunkelheit waren ihre langen Wimpern zu sehen. Sie stützte sich mit den Ellbogen auf die Mauer und blickte zu den Sternen empor. Da raschelte etwas im Strauchwerk; Anni erschrak so heftig, daß sie gegen Prokops Schulter stieß. »Was ist das?«

      »Nichts, vielleicht ein Marder; er schleicht wohl in den Hof zu den Hühnern.«

      Anni rührte sich nicht. Ihre jungen Brüste berührten jetzt voll und sanft Prokops rechte Hand. Vielleicht, sicher ahnte sie nichts davon, Prokop aber wußte es in diesem Augenblick mehr als alles andere in der Welt; er fürchtete sich, die Hand zu bewegen. Sie sollte nicht glauben, er habe die Hand mit Absicht hingelegt, und sie sollte sich nicht abwenden. Das Merkwürdige war, daß er jetzt nicht mehr von sich und seinem verlorenen Leben sprechen konnte. »Niemals«, sagte er stockend und verwirrt, »niemals noch war ich so glücklich wie hier. Ihr Vater ist der beste Mensch, den ich kenne, und Sie . . . Sie sind so jung . . .«

      »Ich glaubte, Sie halten mich . . . für dumm«,


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