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Krakatit. Karel ČapekЧитать онлайн книгу.

Krakatit - Karel Čapek


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an der Hand das leichte Wogen ihrer Brust. Ein Schauer durchlief ihn, er hielt den Atem an; auch sie schien in stiller Erregung den Atem anzuhalten. Sie rührte sich mit keiner Wimper und blickte nur starr vor sich hin. Ob es ein berauschenderes Abenteuer gibt als diese erste unbewußte, vertrauliche Berührung?

      Anni richtete sich mit der natürlichsten Bewegung der Welt auf. Ach, Mädchen, du wußtest wirklich von nichts! »Gute Nacht!« sagte sie leise, und ihr Gesicht schimmerte bleich und unklar. »Gute Nacht«, sagte sie etwas unfrei und reichte ihm die Hand; sie war linkisch und schlaff, war wie geknickt und blickte anderswohin. Es schien, als wollte sie noch verweilen. Sie ging und zögerte zugleich; nun stand sie wieder und zerpflückte ein Blatt in kleine Stücke. Was blieb noch zu sagen? Gute Nacht, Anni, schlafen Sie besser als ich.

      Denn jetzt konnte man freilich nicht schlafen gehen. Prokop warf sich auf die Bank und lehnte sich zurück, die Hände hinterm Kopf verschränkt. Nichts, nichts war geschehen! Anni war rein und unwissend wie ein junges Reh, und nun Schluß damit! Da erhellte sich ein Fenster im ersten Stock. Es war Annis Schlafzimmer.

      Prokops Herz begann heftiger zu schlagen. Er wußte, es war nicht recht, heimlich zuzusehen; als Gast dürfte er das nicht tun. Er versuchte sogar, sich durch Hüsteln bemerkbar zu machen, aber es mißlang. Er saß regungslos und starrte zu dem golden schimmernden Fenster empor. Anni ging im Zimmer umher, bückte sich und hantierte lange; offenbar machte sie ihr Bett zurecht. Nun stand sie am Fenster und blickte in die Dunkelheit hinaus, die Hände im Nacken verschränkt: genauso hatte er sie im Traum gesehen. Jetzt wäre es wohl ratsam gewesen, sich bemerkbar zu machen; warum tat er es nicht? Schon war es zu spät. Anni wandte sich vom Fenster ab, ging durchs Zimmer und verschwand. Nein, sie saß nur mit dem Rücken zum Fenster und entledigte sich offenbar sehr langsam und nachdenklich ihrer Schuhe. (Nie träumt es sich besser als mit einem Schuh in der Hand.) Prokop kletterte nun auf die Bank, um besser zu sehen. Anni richtete sich auf, sie war jetzt ohne Bluse, hob die nackten Arme und nestelte in den Haaren. Sie warf den Kopf zurück, so daß die ganze Haarflut über ihre Schultern wallte. Sie schüttelte sich, ließ das Haar über die Stirn nach vorn fallen, worauf sie es mit Kamm und Bürste bearbeitete, bis der Kopf glatt wie eine Zwiebel aussah. Das nahm sich offenbar sehr komisch aus, denn Prokop strahlte übers ganze Gesicht.

      Anni stand da, den Kopf ein wenig geneigt, und flocht das Haar zu zwei Zöpfen. Sie hielt die Lider gesenkt, flüsterte etwas vor sich hin, lächelte, begann sich zu schämen, hob die Schultern, daß das eine Achselband des Hemdes herabzugleiten drohte, verharrte in Gedanken versunken, strich sich zärtlich über die weiße Schulter, bis die Nachtkühle sie frösteln machte. Das Achselband rutschte immer bedenklicher; da verlöschte das Licht.

      Nie hatte Prokop etwas Lichteres und Schöneres gesehen als jenes helle Fenster in der Nacht.

      11

      Frühmorgens traf er sie an, wie sie Hansi im Waschtrog mit Seifenschaum sauber rieb. Der Hund schüttelte verzweifelt das Wasser ab, aber Anni ließ nicht locker, hielt ihn an den Schopfhaaren fest und seifte ihn tüchtig ein. Sie war über und über bespritzt, hatte am Bauch einen nassen Fleck und rote Backen vor Lachen. »Achtung«, schrie sie schon von weitem, »er macht Sie ganz naß!« Sie sah aus wie eine junge, begeisterte Mutter; o Gott, wie einfach und klar ist doch alles auf dieser sonnigen Welt!

      Auch Prokop hielt es nicht aus, müßig zu bleiben. Er erinnerte sich, daß die Hausglocke nicht in Ordnung war, und ging daran, die Batterie nachzusehen. Er kratzte gerade den Zinkstab ab, als sich Anni ihm leise näherte. Sie hatte die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt und die Hände aufgeweicht, denn es war Waschtag. »Wird es nicht explodieren?« fragte sie besorgt. Prokop mußte lachen; sie lachte mit und bespritzte ihn mit Seifenschaum. Aber gleich darauf trat sie mit ernster Miene näher, um ihm mit dem Ellbogen eine Seifenblase aus dem Haar zu streifen. Das hätte sie gestern noch nicht gewagt!

      Gegen Mittag schleppte sie mit Nanni einen Korb voll Wäsche zum Bleichen in den Garten. Prokop klappte dankbar das Buch zu; er konnte sie doch nicht die schwere Gießkanne tragen lassen. Also bemächtigte er sich der Kanne und besprengte die ausgebreiteten Wäschestücke. Ein dichter Sprühregen trommelte lustig und eifrig auf die faltenreichen Tischtücher, die weißschimmernden Bettüberzüge und die weit ausgebreiteten Herrenhemden, schäumte, rieselte und ergoß sich in Fjorde und kleine Seen. Prokop beeilte sich nun, auch die weißen Glocken der Frauenröcke und andere aufregende Dinge zu begießen, doch Anni entriß ihm die Kanne und besorgte es selbst. Prokop hatte sich inzwischen ins Gras gesetzt und atmete mit Wonne den Duft der Feuchtigkeit ein, während er Annis rege, schöne Hände betrachtete. Mögen die Götter dir schenken, so viel dein Herz nur begehret, erinnerte er sich andächtig. Mit Staunen erfüllt mich dein Anblick!

      Anni setzte sich zu ihm ins Gras. »Woran haben Sie jetzt gedacht?« fragte sie, blinzelte, von Sonne und Freude geblendet, hatte rote Backen und schien aus irgendeinem Grunde sehr glücklich. Sie riß eine Handvoll frisches Gras aus und wollte es ihm aus Übermut ins Haar werfen. Aber auch jetzt noch, ohne daß sie wußte, warum, hielt sie eine Art ehrfürchtige Scheu vor diesem gezähmten Helden davon ab. »Haben Sie schon einmal jemanden gern gehabt?« fragte sie ganz unerwartet und blickte rasch zur Seite.

      Prokop lachte. »Ja. Sie doch auch.«

      »Da war ich noch recht dumm«, entfuhr es ihr; sie wurde wider Willen rot.

      »Einen Studenten?«

      Anni nickte nur und kaute an einem Grashalm. »Das war nichts«, sagte sie hastig. »Und Sie?«

      »Ich kannte einmal ein Mädchen, das hatte die gleichen Wimpern wie Sie. Vielleicht sah sie Ihnen ähnlich. Sie war Verkäuferin in einem Handschuhladen.«

      »Und was war weiter?«

      »Nichts. Als ich mir das zweite Mal Handschuhe kaufen wollte, war sie nicht mehr da.«

      »Hat sie . . . Ihnen gefallen?«

      »Ja.«

      »Und . . . Sie haben sie nie mehr . . .«

      »Nein. Meine Handschuhe fertigt jetzt . . . der Bandagist an.«

      Anni blickte hartnäckig zu Boden. »Warum . . . verbergen Sie immer Ihre Hände vor mir?«

      »Weil . . . weil sie so zugerichtet sind«, antwortete Prokop und wurde ganz rot dabei.

      »Das ist doch gerade schön«, flüsterte Anni und hielt weiter die Augen gesenkt.

      »Das Mittagessen, das Mittagessen ist fertig!« rief Nanni vor der Haustüre. »Ach schon«, meinte Anni seufzend und erhob sich höchst unwillig.

      Nach dem Mittagessen wollte sich der Doktor nur für eine ganz kleine Weile niederlegen. »Wissen Sie«, entschuldigte er sich, »ich habe heute morgen ehrlich gerackert.« Kaum hatte er sich niedergelegt, begann er schon regelmäßig und ausdauernd zu schnarchen. Sie lächelten einander mit den Augen zu und schlichen auf den Zehenspitzen hinaus; selbst im Garten redeten sie, als ob sie seinen satten Schlummer respektierten.

      Prokop mußte von seinem Leben erzählen. Wo er zur Welt gekommen und wo er aufgewachsen war. Was er bisher erlebt und getan hatte. Er berichtete, daß er in Amerika war, viel Not gelitten hatte, und es tat ihm wohl, sein ganzes Leben noch einmal vorüberziehen zu lassen. Es war viel weniger geradlinig und viel merkwürdiger, als er selbst gedacht hatte. Dabei verschwieg er noch manches, namentlich ein paar Herzensangelegenheiten; sie waren gewiß nicht von großer Bedeutung (außerdem hat bekanntlich jeder Mann etwas zu verschweigen). Anni rührte sich nicht; es schien ihr ein wenig komisch und seltsam, daß Prokop auch einmal ein Kind und ein Knabe gewesen war, also ganz etwas anderes als der brummige und sonderbare Mensch, neben dem sie sich immer so unfrei und winzig vorkam. Jetzt hätte sie sich nicht einmal mehr gefürchtet, ihn anzurühren, seine Krawatte zu binden, ihm durchs Haar zu fahren und überhaupt . . . Zum erstenmal bemerkte sie jetzt seine dicke Nase, seinen harten, ernsten Mund und die strengen, blutgeäderten Augen; das kam ihr alles höchst merkwürdig vor.

      Nun war sie an der Reihe, von ihrem Leben zu erzählen. Schon öffnete sie den Mund, holte tief Atem – da brach sie in Lachen aus.


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