Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
sagte jetzt Hulda, ihrerseits erröthend, „was Du auch schwatzest! An eine Heirath hat doch weder der Herr Lieutenant noch ich gedacht, und ihm war es jedenfalls nur darum zu thun, seinen romantischen Gefühlen etwas Luft zu machen; aber wie rasch verging uns dabei die Zeit. Ich sage Dir, es war zu hübsch, und dazu dann die ganze /95/ Umgebung: der herrliche Wald, in dem es eine Masse von wilden Thieren gab, die Hasen sprangen uns oft über den Weg; wenn man ein wenig höher in die Berge stieg, konnte man auch dann und wann auf einer grünen Wiese Rehe grasend finden, und einmal haben wir sogar einen großen mächtigen Hirsch gesehen, der gräßlich hohe und gezackte Hörner hatte, so daß ich einen Todesschreck bekam. Aber er that uns nichts, sondern sprang mit einem Satz in die Büsche zurück, wo wir aber sein Stampfen noch lange hörten.“
„Ach, das hätte ich auch sehen mögen, Hulda,“ sagte Paula, in Bewunderung die Hände zusammenfaltend, „es muß gar so herrlich sein!“
„Und dann die Jäger, die mit ihren Hunden in den Wald hinein zogen, die Flinten auf der Schulter,“ fuhr Hulda begeistert fort, „die grauen Joppen an mit grünen Kragen und graue Hüte auf, mit wunderlich zusammengebogenen Federn daran, es sah zu reizend aus, und was für wunderhübsche Menschen waren darunter, und wie stolz sie dabei einherschritten, als ob sie uns andere arme Sterbliche nur so von oben herab betrachteten.“
„Es ist etwas Merkwürdiges um die Jagd,“ sagte Paula, still vor sich hinnickend, „und Großpapa, ja selber noch Jäger mit Leib und Seele. Freilich ein wunderliches Vergnügen, das ich wenigstens nicht begreife. Wenn er aber auch manchmal naß wie eine Katze nach Hause kommt, und hat nur etwas geschossen, so ist er doch vergnügt und erzählt und lacht den ganzen Abend. Aber, ich glaube wahrhaftig, es wird Zeit zum Schlafengehen, sieh nur, es ist schon halb zwölf Uhr geworden. Wie mir der Abend verflogen ist! Wir sind aber auch so lange nicht beisammen gewesen.“
Es war wirklich Zeit, und Hulda von der Reise über Tag auch etwas müde geworden, hatte sie doch jetzt bald in vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen.
„Gute Nacht, Hulda,“ sagte Paula zur Schwester, die zuerst unter ihre Decke schlüpfte, „schlaf’ recht wohl und merke Dir, was Du diese erste Nacht wieder träumst – das hat immer Bedeutung.“
„Ich werde aufpassen, Paula,“ sagte das junge Mädchen /96/ und legte sich ebenfalls zur Ruhe. Reichlich zehn Minuten mochten sie auch ruhig gelegen haben, das Licht war ausgelöscht, und nur das langsame monotone Ticken des Regulators an der andern Wand unterbrach die Stille.
„Hulda,“ sagte da plötzlich Paula’s weiche und vorsichtig gedämpfte Stimme, „schläfst Du schon, Schatz?“
Sie bekam keine Antwort.
„Hulda!“ flüsterte sie noch einmal, nur halblaut, „schläfst Du schon?“
„Nein, Paula,“ erwiderte Hulda, aber wirklich schon mehr als drei Viertel in Schlaf, „was willst Du?“
„Sag’ mir einmal,“ frug Paula, sich halb in ihrem Bett emporrichtend, als ob sie die Frage ganz besonders interessire, „was hattet Ihr denn eigentlich für einen Badearzt?“
„Wir?“ frug Hulda, die den Sinn kaum noch faßte, „wo?“
„Nun, in Ludwigsroda. War es ein angenehmer Mann?“
„Ganz und gar nicht; ein dicker alter Herr,“ murmelte das junge Mädchen halblaut als Antwort.
„In der That?“ erwiderte Paula, die indeß ihren eigenen Gedanken folgte. „Und waren recht hübsche Toiletten dort? – Hulda! schläfst Du?
Sie bekam keine Antwort mehr, der Schlaf hatte die Uebermüdete in seinen Arm genommen und wiegte sie leicht unter freundlichen Träumen ein. – Und was gaukelte er ihr vor? Kindesträume: flüsternde Buchenwipfel, zitternde Mondstrahlen, junge Lieutenants in Uniform und Civil – hübsche Jäger mit der Büchse auf der Schulter – sich haschende Kinder, bunte flatternde Schmetterlinge, und dazu hörte sie im Geiste immer einen wunderhübschen Galopp, den die Dragoner, gerade als sie in Dresden einfuhren, unterwegs gespielt, und süß schlafend und mit lächelnden Lippen schlug sie mit den Fußspitzen den Tact dazu. /97/
3.
Der Besuch.
Lieutenant Alfred von Bersting brach in der That seine Cur in Ludwigsroda, nachdem es „der Engel“ verlassen, sehr kurz ab; sein Gesundheitszustand ließ auch wirklich nichts zu wünschen übrig, und er konnte in Dresden eben so gut eine Nachcur gebrauchen, wie irgend wo anders.
Was ihn aber, als er dort ankam, in die größte Verlegenheit brachte, war, daß er weder Namen noch Wohnung seiner Angebeteten kannte – nur den Namen der Tante, und bei dieser hatte er auch bis jetzt geglaubt, daß sie in der Hauptstadt wohne. Als er aber das Logis derselben, und zwar mitten in der Stadt aufsuchte, und sich erst vorsichtig unten beim Hausmann nach den Familienverhältnissen – d. h. nach den Familiengliedern erkundigte, – ob der Mann nämlich glaube, daß er das „gnädige Fräulein“ zu Hause fände, erklärte ihm dieser, ein gnädiges „Fräulein“ gäbe es nicht in der ganzen Etage – nur eine schon ziemlich bejahrte gnädige Frau, die verwittwete Frau Forsträthin von Loswall, die hier nur mit einer Gesellschafterin – auch schon ziemlich in den Jahren – und einer Köchin wohne. Der Mann wollte auch nichts von ihrer Nichte wissen; sie bekäme allerdings sehr häufig Besuch von jungen Damen, sei auch mit einer solchen erst kürzlich von der Reise zurückgekehrt – lieber Gott, das war ja Hulda – aber wo die wohnten und ob sie verwandt mit einander wären, könne er nicht sagen.
Da stand er – die Frau von Loswall aufzusuchen wagte er nicht, und sie nach ihrer Nichte zu fragen, das hätte doch zu aufdringlich ausgesehen, und außerdem wußte er auch gar nicht, wie sie eine solche Anfrage aufnehmen würde, in Ludwigsroda war sie wenigstens immer ziemlich kalt gegen ihn gewesen. Daß er auch Hulda nie nach ihrem Familiennamen gefragt, denn Loswalls gab es sonst in der ganzen Stadt nicht mehr, sie würde ihn gewiß und sicher genannt haben – und wie /98/ sollte er sie jetzt in der großen und volkreichen Stadt auffinden!
Es war allerdings ein schwer Stück Arbeit, und drei Tage lang suchte er vergebens alle Vergnügungsorte, Terrasse, Großen Garten, zoologischen Garten und alle sonstigen Plätze ab, ja musterte Abends im Theater mit einem guten Operngucker auf das Sorgfältigste den ersten Rang und die Parterrelogen – und selbst – wenn auch mit wenig Hoffnung – den zweiten Rang. Es blieb Alles nutzlos, und trübselig schlenderte er am vierten Morgen eben über die Promenade, in der Nähe des Café français, als er plötzlich zwei junge Damen auf sich zukommen sah, von denen er die Jüngere – das Herz hämmerte ihm in dem Augenblick in der Brust, als ob es seine Banden sprengen wolle – Hulda – seine Hulda erkannte.
Er blieb auch wie rathlos, von seinem ersten Gefühl wirklich übermannt, mitten auf der Promenade stehen, starrte die junge Dame an und mochte dabei wohl ein so verblüfftes Gesicht gemacht haben, daß ihm beide junge Mädchen die lieben Köpfchen zuwandten und vielleicht unwillkürlich ein wenig über ihn lächelten – es giebt für junge Damen gar nichts Interessanteres, als einen verblüfften Lieutenant. Damit glitten sie an ihm vorüber; jetzt aber kam Alfred auch wieder zu sich selber, denn die Gelegenheit durfte er nicht unbenutzt entschlüpfen lassen.
Sich rasch wendend, bemerkte er eben noch, wie beide junge Damen sich nach ihm umsahen, aber auch blitzschnell wieder mit ihren Köpfchen herumfuhren, als sie entdeckten, daß er sich ebenfalls nach ihnen drehte – es war das auch fatal. Jetzt zögerte er aber auch nicht mehr; mit wenigen raschen Schritten hatte er sie eingeholt, und militärisch, aber sehr artig grüßend, sagte er zu Hulda:
„Mein werthes, gnädiges Fräulein, Sie wissen gar nicht, wie glücklich es mich macht, Ihnen hier zu begegnen.“
Die Angeredete schrak etwas vor ihm zurück und bekam einen feuerrothen Kopf, anwortete dann aber, und zwar etwas schnippisch, was ihr übrigens vortrefflich stand:
„Sie irren sich wahrscheinlich in der Person, mein Herr – ich habe nicht das Vergnügen, Sie zu kennen,“ – und mit /99/ einem kaum halb versteckten Kichern ihrer Begleiterin drehten sich die beiden jungen Mädchen ab und liefen jetzt mehr, als daß sie gingen,