Im Schlaraffenland. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
und sich die Nägel pflegten. Hoch über dieser unpersönlichen Verwaltungsmaschine aber, hinter dem Gehege der Gesetze und gedeckt durch die Verantwortlichkeit seiner Minister, die er berief und entließ, thronte der große Jekuser, der Besitzer des »Nachtkurier«, ein konstitutioneller Monarch. Von den Tagesmeinungen unabhängig wie andere gekrönte Häupter, bewahrte er dennoch einen unbeschränkteren Einfluß als diese, da er sogar die Volksvertreter vermöge seines »parlamentarischen Büros« zu zensieren und zu maßregeln vermochte. Und er war reicher als sie, denn von den Abgaben seines Volkes, von den fünfzehn Pfennigen, die Hunderttausende von Lesern täglich erlegten, blieb der größere Teil in seiner Tasche zurück.
Die Flügeltür öffnete sich halb, ohne daß jemand sichtbar wurde. Aber in der wartenden Menge pflanzte sich sogleich ein Stoß fort, den schließlich der gegen die Wand gedrückte Andreas vor die Brust erhielt. Er griff hastig in die Tasche, die seine Papiere enthielt. Glücklicherweise fand sich der Brief des Herrn Schmücke noch vor. Seit einem Jahre hatte der junge Mann nicht mehr des Empfehlungsschreibens gedacht, das ihm der alte Herr in Gumplach, der sich mit Literatur befaßte, an den Doktor Bediener mitgegeben hatte. Andreas kam mit zu großer Ehrfurcht vor den Mächtigen der Erde nach Berlin, um sich gleich anfangs bis zu einem von ihnen vordrängen zu wollen. Herr Schmücke war gewiß ein braver liberaler Bürger, aber ob der Chefredakteur des »Nachtkurier« auf seine Empfehlung großes Gewicht legen würde, war mehr als zweifelhaft. Um den Brief nicht unbenutzt zu lassen, übergab Andreas ihn einem vorübergehenden Diener, der mit einer Handvoll Depeschen das Erscheinen des Chefs erwartete. Gleich darauf verabschiedete sich der Generalkonsul, den Doktor Bediener bis zur Treppe begleitete. Andreas verfolgte mit scheuem Blick jede Bewegung des Mannes, von dem sein Schicksal abhing. Er sah ihn mit einigen jungen Leuten, die zunächst an seinem Wege standen, leise Worte wechseln und nachdenklich, die Hand, auf der ein großer Brillant blitzte, an seinem grauen Spitzbart, in seinem Kabinett verschwinden. Welche betäubende Fülle von Geschäften und wie wenig Hoffnung für einen bescheidenen Neuling, hier ans Ziel zu gelangen! Doch schon nach wenigen Minuten trat ganz unerwarteterweise derselbe Diener, dem Andreas seine Empfehlung anvertraut hatte, auf den jungen Mann zu, um ihn zum Eintritt in das Büro des Herrn Chefredakteurs aufzufordern. Andreas durchschritt blutübergossen die Reihen der Wartenden. Er meinte, die Bevorzugung, die ihm zuteil ward, müsse jedermann auffallen.
Und dann führte er eine möglichst korrekte Verbeugung vor Doktor Bediener aus, der ihm lächelnd die Hand mit dem Brillanten entgegenstreckte.
»Sie sind mir als ein sehr aussichtsreiches Talent empfohlen, Herr – re ...«
»Zumsee«, ergänzte Andreas.
»Herr Zumsee«, wiederholte Doktor Bediener.
Er wies auf einen Sessel, und Andreas, der dem Leiter des »Nachtkurier« gegenüber Platz nahm, sagte sich, daß der Empfang gar nicht günstiger hätte sein können. Doktor Bediener begann wieder:
»Die Empfehlung, die Sie geltend machen, ist mir besonders wertvoll, weil sie von einem langjährigen, lieben Freunde kommt. Ich hoffe, es geht meinem alten Schmücke gut?«
Andreas erteilte befriedigende Auskunft über die Gesundheit des alten Herrn. Aber er erfuhr mit Erstaunen die nahen Beziehungen des Chefredakteurs zu Schmücke, der sich deren nie gerühmt hatte.
»Ich meine sogar, Ihren Namen schon irgendwo gefunden zu haben, Herr, Herr – re ...«
»Zumsee«, ergänzte Andreas.
»Herr Zumsee«, wiederholte Doktor Bediener, und er strich mit zwei gespreizten Fingern suchend über seine hohe Stirn. Dachte er an den »Gumplacher Anzeiger«? Andreas hätte gern von seinen Erfolgen und Hoffnungen, von den Gedichten, der Novelle, Köpf, dem »Cafe Hurra« und Türkheimer des längeren gesprochen. Aber durch die ungeahnte Liebenswürdigkeit des mächtigen Mannes ward in ihm ein solches Entzücken erregt, daß er, minutenlang stumm und rot vor heftiger Schwärmerei, den Doktor Bediener ansah.
Nie im Leben hatte Andreas solche ausgesuchten Manieren kennengelernt, solche weltmännische Haltung, solche natürliche Glätte in jeder Bewegung, jedem Blick und jedem Worte. Doktor Bediener saß ein wenig seitwärts über die Lehne geneigt, auf die er einen Arm stützte. Mit dem andern beschrieb er zuweilen eine flüchtige, doch unnachahmlich runde Geste, die alles zu erklären schien, was er andeuten wollte. Sein Lächeln war offenbar so ganz für sein Gegenüber bestimmt, daß dieses sich nicht denken konnte, er werde je einem andern soviel Aufmerksamkeit schenken. Er sprach zögernd, mit leicht verschleierter Stimme und ließ das »R« weit hinten im Halse verschwinden, was distinguiert klang. Er mochte mit einem armen jungen Manne noch so familiär tun, ohne es zu wollen, bewahrte Doktor Bediener in seinem ganzen Wesen stets eine so vornehme Zurückhaltung, daß es Andreas vorkam, als steige er aus einer höheren Diplomatensphäre hernieder, wohin er jeden Augenblick entrückt zu werden drohte.
Er ließ die Frage, wo er Andreas' Namen schon gefunden haben mochte, auf sich beruhen, um sich zu erkundigen:
»Haben Sie schon literarischen Anschluß gefunden?«
»Es ist mir als ganz unbekanntem Anfänger sehr schwer gefallen«, erwiderte Andreas bescheiden.
»Ich kenne ein paar Redakteure, zum Beispiel Doktor Pohlatz.«
»Oh, Pohlatz«, sagte Doktor Bediener mit einer Handbewegung, die nicht viel Hochachtung auszudrücken schien. Doch setzte er hinzu:
»Ich schätze Pohlatz persönlich hoch, ich kann sogar sagen, daß wir recht gute Freunde sind.«
›Schon wieder jemand, mit dem ich verkehrt habe, ohne zu wissen, daß er mit dem Chefredakteur des »Nachtkurier« befreundet ist,‹ dachte Andreas.
»Nur möchte ich Ihnen davon abraten«, fuhr Doktor Bediener fort, »an seinem Blatte mitzuarbeiten. Es würde für Sie wenig Wert haben – dies unter uns.«
Andreas verbeugte sich, voll Vergnügen über die vertrauliche Mitteilung, deren er gewürdigt wurde. Wie gut, das Pohlatz gar nicht daran gedacht hatte, ihn beim »Kabel« einzuführen! Er lauschte atemlos auf Doktor Bedieners Belehrung.
»Alle diese Blätter mit strenger Parteirichtung taugen nichts für ein aussichtsreiches Talent«, sagte der Chefredakteur. »Sie würden sich dort kompromittieren, ohne für den Verlust Ihrer Selbständigkeit entschädigt zu werden. Bei uns dagegen, wissen Sie wohl, behält jeder Mitarbeiter seine Eigenart. Der ›Nachtkurier‹ hat vor allen anderen erkannt, daß die Parteipresse sich überlebt hat. Daß man eine gesunde liberale Wirtschaftspolitik vertritt, versteht sich von selbst; wir wären verrückt, wenn wir es nicht täten. (Hier vollführte Doktor Bediener eine Armbewegung, die einer längeren Parenthese gleichkam.) Im übrigen betrachten wir uns als ein Organ der deutschen Geisteskultur.«
Doktor Bediener hielt an; er war beinahe warm geworden. Aber er erlangte sofort sein vornehmes Gleichgewicht wieder, dessen augenblickliches Abhandenkommen Andreas in seiner Hingerissenheit gar nicht bemerkt hatte. Der Chefredakteur betrachtete den Eindruck, den er auf den jungen Mann machte, mit Wohlwollen. Er lächelte sogar, denn er hatte die Bemerkung gemacht, daß Andreas' Blick, der zwischen dichten und langen Wimpern hervorkam, in seiner Treuherzigkeit merkwürdig einschmeichelnd sei, und daß die bedingungslose Verehrung, die er ausdrückte, einer Dame überaus angenehm sein müsse. Flüchtig dachte er sogar an Frau Türkheimer. Er zögerte noch, denn der mißlungene schwarze Rock, der dem gut gewachsenen Jüngling etwas Ungeschicktes gab, forderte zur Vorsicht auf. Das Haar war erbärmlich geschnitten, doch trug Andreas den Kopf recht gut. Dann entschloß sich Doktor Bediener.
»Sie sollten sich vor allem beim Theater einführen, ich meine in den Kreisen, die dem Theater nahestehen.«
›Schon wieder das Theater,‹ dachte Andreas. ›Es muß doch etwas damit los sein.‹
Er öffnete den Mund, aber Bediener schnitt seinen Einwand ab.
»Sie werden noch nichts für die Bühne geschrieben haben, das tut nichts zur Sache. Man erobert die Welt nicht mehr von der Schreibstube aus. Auch der Schriftsteller muß heutzutage mit seiner Person eintreten. Sie werden sich in der Gesellschaft umsehen müssen.«