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Lotti, die Uhrmacherin. Marie von Ebner-EschenbachЧитать онлайн книгу.

Lotti, die Uhrmacherin - Marie von Ebner-Eschenbach


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le Quint, Roi de France

      Me fit par Jean Jouvence.

      Der nämliche weise König ließ auch (1364) Herrn Heinrich von Wick nach Paris kommen, wo dieser eine Uhr für den Turm des königlichen Schlosses verfertigte. Er erhielt Wohnung in demselben Turm und eine Besoldung von sechs Sous täglich. –

      Noch andere Randglossen machten darauf aufmerksam, daß Luther seine Bibelübersetzung zu derselben Zeit geschrieben hat, zu welcher Peter Hele, Andreas Heinlein und Caspar Werner in Nürnberg die ersten Taschenuhren zustande brachten, daß im Jahre des Unterganges der spanischen Armada Andreas Landek, Schüler Abraham Habrechts und Verfertiger der ersten Kirchenuhr in Nancy, zu Wertheim in Franken geboren wurde; daß Anno 1690 – glorreichen Andenkens für Deutschland wegen der Gründung der Universität Halle, und für Frankreich wegen der Siege Luxemburgs, Catinats und Tourvilles – in Paris, wo bisher nur kleine Taschenuhren beliebt gewesen, plötzlich sehr große in die Mode kamen ... Und so weiter! noch viele wichtige und höchst seltsame Zusammenstellungen, die jedem, der ein Herz hat für die Uhrmacherei, gar viel zu denken geben.

      Was ihm selbst dabei eingefallen, hatte Meister Johannes niemals verraten, sehr oft aber sein Bedauern darüber ausgesprochen, daß er nur ein ungelehrter Mann war und nicht imstande, eine ausführliche und genaue Geschichte der Entwickelung der Uhrmacherkunst zu schreiben. Das beste Material, das es geben kann – wenigstens zu einem Hauptzweig eines solchen Werkes –, besaß er selbst. Er hatte im Laufe seines langen Lebens eine Sammlung von Taschenuhren zusammengebracht, wie sie vor ihm so vollständig und lückenlos schwerlich ein Privatmann (Herrn Asthon Levers ausgenommen, das versteht sich!) besessen haben dürfte. Lauter seltene und auserlesene Exemplare, jedes der Vertreter einer eigenen Gattung, jedes wertvoll an und für sich und doppelt wertvoll als Teil des Ganzen, zu dem es gehört. Wäre diese Sammlung bekannt, sie wäre gewiß auch berühmt geworden, sie hätte die Bewunderung aller Kenner erwecken müssen. Aber dem Meister Johannes war um Berühmtheit gar nicht zu tun, und was die Bewunderung betrifft, die ihm eigentlich ganz recht gewesen wäre – wer hört nicht gern loben, was er liebt? –, so hat sie doch meistens Neid und Verlangen in ihrem Gefolge, die Feßler um keinen Preis zu erwecken wünschte. Er freute sich im stillen an seinem Schatze, was nicht heißen soll, daß er sich allein daran freute. Es gab zwei Getreue, die keine anderen Interessen kannten als die seinen, für die sein Wort das Evangelium war, sein Beifall das Ziel aller Wünsche, seine Zufriedenheit das höchste Lebensgut. Die beiden waren seine Tochter Lotti und sein Ziehsohn Gottfried. »Meine Gesellen« nannte er sie in ihrer Kindheit, und später mit Stolz »meine Gehilfen«. Endlich schien ihm auch diese Bezeichnung nicht mehr ehrenvoll genug, und er sprach sie niemals aus, ohne sich dabei in Gedanken zu verbessern: Ich sollte eigentlich sagen: Meine Berufsgenossen ... solche noch dazu, die im besten Zuge sind, mich zu überflügeln.

      Daß sie es doch möchten, und recht bald, und recht weit – sein liebster Traum wäre erfüllt. Aber nicht allein dieser, jeder Traum von Erfolg und Glück, den er für seine Kinder im treuen Vaterherzen hegte, schien in Erfüllung gehen zu wollen. Ihr Lebensweg lag so glatt geebnet vor ihnen, sie waren so ganz geschaffen, die Bahn, die das Schicksal ihnen vorgezeichnet, eines auf das andere gestützt, ohne Abirrung, ohne Wanken und Straucheln zu verfolgen. Sie waren beide brav und talentvoll, hatten ein und dasselbe geistige Interesse und dienten ihm mit dem gleichen Eifer. Niemals war ihre Einigkeit getrübt worden. Von dem Augenblick an, in welchem Feßler den kleinen Gottfried, den Sohn eines in der Fremde verstorbenen Verwandten, in sein Haus aufgenommen, hatte sich dieser, so jung er selbst war, zum Beschützer des noch jüngeren Mühmchens aufgeworfen. Gottfried war völlig verwaist, Lotti hatte vor kurzer Zeit ihre Mutter verloren.

      Die beiden Kinder wuchsen munter heran. Er wurde ein kräftiger, ernster Jüngling von nachdenklichem, etwas zurückhaltendem Wesen, sie ein hoch aufgeschossenes, schlankes Mädchen, verständig, sanft, und dabei immer lustig und guter Dinge. Sie bewunderte und verehrte ihren Vetter und fürchtete seinen Tadel mehr noch als den ihres Vaters. Ihren ersten großen Schmerz erfuhr sie, als Gottfried nach London geschickt wurde, um dort seine Lehrjahre durchzumachen. Er selbst hatte die Stunde der Abreise kaum erwarten können, aber als sie herankam, war sie so düster und leidvoll, wie sie aus der Ferne licht und freudig geschienen. Lotti schluchzte bitterlich. Der frohe Mut, mit dem sie bisher der Trennung von ihrem Jugendgespielen entgegengesehen, war plötzlich verschwunden, sie wollte nicht mehr begreifen, warum er denn fort müsse und wie es sich ohne ihn leben lassen solle.

      Feßler jedoch bestand auf seinem Sinn. Er umschloß seine beiden Kinder in einer Umarmung, dann trennte er sie sanft:

      »Leb wohl, Gottfried«, sagte er, »in drei Jahren bist du wieder bei uns. Geh, lieber Sohn. Im Vaterlande eines Harrison« – in seinen feuchten Augen leuchtete es begeistert auf-, »eines Mudge, eines Arnold müssen unsere künftigen Meister leben. Wenn du heimkommst, werde ich von dir lernen.«

      Allein dieses Wort sollte nicht zur Wahrheit werden. Als Gottfrieds Lehrzeit um war und er nach Hause zurückkehrte, behauptete er, bei seinen neuen Meistern nichts so gut gelernt zu haben, als seinen alten Meister und dessen Kunst zu schätzen. So berühmt jene auch seien, so teuer ihre Arbeiten bezahlt werden, Feßler dürfe sich mit dem Größten von ihnen messen. Eines nur verstände auch der Geringste unter allen besser, nämlich seine Geschicklichkeit geltend zu machen und zu verwerten. Diesen Vorwurf wies Feßler lächelnd zurück. Beehrten ihn die vorzüglichsten Uhrmacher nicht mit ihren Bestellungen? zögerten sie, ihren Namen in eine Uhr schreiben zu lassen, die aus seinen Händen kam?

      Aber Gottfried schüttelte den Kopf und meinte, das sei es eben, was ihn kränke. – »Ihr Name auf deinem Werk! wo steht denn der deine? Wer kennt dich? wer weiß etwas von dir!... Was hast du von deinen unvergleichlich schönen und genauen Arbeiten?«

      »Die Freude, sie zu machen!« war die Antwort Feßlers, und das Herz schwoll ihm vor Wonne über die Anerkennung, die sein weitgereister Sohn ihm zollte.

      Die kleine Familie verlebte damals eine herrliche Zeit. Eine Zeit voll beseligenden Friedens und erfolgreicher Tätigkeit. Feßler war mit der Vollendung eines Chronometers beschäftigt, den er selbst für sein bestes Werk hielt. Gottfried lieferte dazu eine Kompensationsunruhe von so einziger und zarter Ausführung, daß Meister Johannes bei ihrem Anblick laut ausrief:

      »Unübertrefflich!« – Dieses Lob hatte er noch nie einer Leistung gespendet, die aus seiner Werkstatt hervorgegangen war. Lotti hingegen gelang es, eine höchst merkwürdige und komplizierte Taschenuhr aus dem 16. Jahrhundert in Gang zu bringen. Es bedurfte dazu außerordentlicher Geschicklichkeit, unsäglicher Geduld – aber welche Freude, als sie belohnt wurden und das seltsame kleine Ding seine abenteuerlich geformten Räder in Bewegung zu setzen begann. Feßler und Gottfried lachten, staunten, bewunderten; das Herz des jungen Mädchens pochte vor Entzücken ... Ja, es war eine herrliche Zeit! – warum mußte sie so rasch vergehen? Warum mußten ihr, die so erfüllt war von stillem und harmlosem Glück, Tage folgen voll Pein und Qual? Böse Tage, in denen die fleißigen Hände Lottis ruhten, aus ihrer Seele jedoch die Ruhe gewichen war. Tage, in denen alles, was sonst ihr Leben erhellte, ihr gleichgültig geworden, und das Leben selbst – eine Last.

      3

      Diese schreckliche Zeit war nun längst vorüber; doch hielt Lotti die Erinnerung an sie in ihrer Seele wach. Sie wollte nicht vergessen, daß auch ihr ein gehöriges Maß an Leid und Enttäuschung zugeteilt worden, sie wäre sich sonst im Vergleich mit anderen Menschenkindern ungerecht bevorzugt erschienen. Wie vielen wird es denn so gut, mit ihr sagen zu können: Ich habe das Leben, das ich brauche!

      Ihrer alten Beschäftigung, zu der sie zurückgekehrt war, verdankte sie täglich neue Freude, verdankte ihr Frieden, Frohsinn und Unabhängigkeit. Wäre ihr Vater nur noch dagewesen, um dies alles mit ihr zu genießen! Aber leider, Meister Johannes ruhte schon seit geraumer Zeit in der kühlen Erde.

      Er hatte keine Mühseligkeit des Alters kennengelernt; niemals hatten ihm Auge und Hand bei Ausführung der Gedanken seines erfinderischen Kopfes ihre Dienste versagt. Wohl waren seine Haare weiß geworden, hatten seine Wangen sich entfärbt, aber aus seinen klaren Zügen leuchtete der Glanz einer unverwelklichen Jugend.


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