Die verborgenen Geheimnisse. Marc LindnerЧитать онлайн книгу.
doch hoch, wenn du dich traust.“ Der Junge streckte ihm die Zunge heraus und hielt sich für den Größten.
„Na warte, dir werde ich noch Manieren beibringen!“ Mit diesen Worten nahm Ismar Anlauf und war in drei Zügen auf dem Dach, wo er dem verdutzten Mauricius gegenüber stand.
Ismar nutzte dessen Überraschung und entriss ihm gleich die Schleuder. Der Junge war stärker als Ismar, doch Ismar war flinker und wusste die Bewegungen seines Gegenübers zu seinem Vorteil zu nutzen. Bald lag Mauricius flach auf dem Dach mit einem Arm hinter dem Rücken.
„Komm da herunter“, schrie eine Männerstimme.
Ismar blickte verwundert hinunter und sah dort den Burgherren stehen, seinen Vater. Ismar schluckte kräftig und stand sogleich auf und gab Mauricius frei. Ohne zu zögern ging Ismar auf dem Dach nach vorne, da er wusste, dass alles Zögern die Konsequenzen nur verschlimmern würde.
Er wollte eben hinabspringen, als er hörte, dass Mauricius auf ihn zulief. Im letzten Moment duckte sich Ismar und sprang zur Seite. Mit dem Schwung mit der er Ismar hinab stoßen wollte, fiel Mauricius herunter. Schmerzhaft landete er auf allen Vieren und begann gleich zu weinen. Ismar beeilte sich hinab.
„Sei still und verschwinde du hinterhältiger Hund. Das geschieht dir nur Recht!“
Ismar stellte sich aufrecht vor seinen Vater, so wie dieser es ihn gelehrt hatte. Als Dank empfing er eine derbe Ohrfeige, die sogar Ells Vater zusammenzucken ließ. Vielleicht lag es auch nur an seinem schlechten Gewissen.
„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du dich nicht herumprügeln sollst.“
Ell stellte sich neben den Burgherren und wollte es wagen ihm zu wiedersprechen. Ismar schüttelte rasch den Kopf und drückte sie zur Seite.
„Verzeiht Vater, ich war unartig. Last mich helfen, dem Mädchen ihren Schaden gutzumachen, sie hat drei ihrer Hühner verloren.“
Der Burgherr wank einen Mann zu sich.
„Zahle dem Mädchen für ihre drei Hühner und verdoppele es für den Schreck, den es erlitten hat.“
Ell bedankte sich mit einem ungeübten Knicks. „Vielen Dank Herr, ihr seid zu gnädig.“
„Ein Mann hat sich ehrenhaft zu benehmen. Es soll nicht euer Schaden sein, wenn mein Sohn sich nicht zu benehmen weiß.“
Ell knickste vorsichtshalber gleich noch einmal und nahm mit großen Augen die Zahlung des Schatzmeisters entgegen. Sie hatte in ihrem Leben noch keine so teuren Hühner besessen, als sie nun bezahlt bekam. Selbst Ells Vater machte große Augen und sah sich auch zu Dank verpflichtet und verneigte sich ungelenk.
„Du wirst deine Schuld abarbeiten, Ismar!“ Sein Vater erhob die Stimme, so dass es jeder im Umkreis gut verstehen konnte. „Du gehst in den Stall die Pferde missten und du wirst solange deine Dienste anbieten, bis die Schuld beglichen ist. Es sind nicht die Steuerzahler, die für deinen Unfug einstehen müssen.“ Mit diesen Worten verließ der Burgherr den Schauplatz.
„Warum hast du deinem Vater nicht die Wahrheit gesagt?“, fragte Ell ungläubig.
„Weil sie ihn nicht interessiert hätte. Es gibt Väter, die strafen lieber, als zu verstehen.“ Ein Seitenblick ließ Ells Vater verstehen, wer gemeint war. Dieser stand unbeholfen umher, da er wusste, dass Ismar an diesem Tag zweimal wegen seiner Tochter ungerechtfertigt Ohrfeigen bezogen hatte.
„Komm wir müssen uns beeilen die Hühner einzufangen, bevor sie wirklich verschwunden sind.“ Ismar versuchte die verschreckten Hühner einzufangen und diesmal half ihm gar Ells Vater.
Doch sie fanden nurmehr zwei der drei Fehlenden. Das Dritte würde wohl einen glücklichen Dieb sättigen. Ells Vater wollte ihm die zwei Hühner geben, da er sie schließlich auch bezahlt hatte, aber Ismar lehnte ab, und ließ sich stattdessen das Versprechen geben, dass er Ell fortan gerecht behandeln sollte. Ismar war sich nicht sicher, ob es etwas helfen würde, aber er war gewillt an das Gute im Menschen zu glauben.
„Die Strafe wird mir nicht schaden“, verabschiedete sich Ismar selbstbewusst und verschwand in der gaffenden Menge.
Es war längst nicht die erste Strafe dieser Art. Sein Vater verabscheute Gewalt und unnütze Strafen. Eine Ohrfeige war das Höchstmaß an körperlicher Pein, die Ismar ertragen musste, doch selbst dies kam nur selten vor und meist nur bei einem großen Publikum, wie an diesem Tag. Obwohl Ismar erst zehn war, gab es nurmehr wenige Arbeiten, bei denen er noch keinen Strafdienst geleistet hatte. Das Interessante an diesen Strafen war, dass er sich diese selbst aussuchen durfte, diesmal mit Ausnahme des Stallmistens, was eine der Lieblingsstrafen seines Vaters war. Doch das störte Ismar nicht. Er mochte Casper und Michel beide gut leiden und einer der Beiden war meist in den Ställen. Sie erlaubten ihm bisweilen gar, den Pferden das Fell zu striegeln oder sie am Zügel auszuführen. Obwohl die Arbeit des Stallmistens hart war, mochte es Ismar, so nah bei den Pferden zu sein. Dass das Ganze Strafe sein wollte, erheiterte ihn dabei nur. Ohnehin half er hier, wie auch woanders mehr, als er sich durch Strafen als Pflicht einhandelte. Doch nur im Falle einer Strafe tauschte er seine Dienste gegen Geld. Üblicherweise tauschte er es gegen kleine Kunstwerke oder Lehrstunden. Beim Schmied beispielsweise hoffte er mit 17 ein eigenes Schwert zu erlangen, aber das konnte er mit bloßer Arbeit nicht erreichen. Doch zum Glück wusste Haman, der Schmied, es zu schätzen, dass Ismar ihm das Rechnen und in Ansätzen das Schreiben beibrachte. Das war weit mehr Arbeit als Ismar es sich hätte vorstellen können, denn ihm selbst bereitete das Rechnen keinerlei Mühe. Doch so geschickt Haman mit dem Eisen umging, so ungeschickt stellte er sich mit Zahlen an. Nicht selten bezeichnete er es gar als Hexenwerk, kurz bevor er die Lehrstunde abbrach. Aber Ismar hatte ihn mehrmals davor bewahrt über den Tisch gezogen zu werden und so willigte er immer wieder ein, doch weiter zu üben.
An diesem Tag hatte Ismar allerdings wenig Glück. Michel kam der Arbeit nicht hinterher. Wegen des Monatsmarktes war der Stall zum Bersten gefüllt, ebenso drinnen, wie auch draußen die überdachten Flächen. Sogar einige störrische Esel wollten gefüttert werden. Zu allem Übel war Caspar ausgefallen, weil ein junger Hengst in der Unruhe ausgetreten und ihn getroffen hatte. Dabei konnte Caspar sich noch glücklich schätzen. In drei Tagen würde er wohl wieder stehen können, aber auf Wochen würde er keine schwere Arbeit verrichten können.
Michel war völlig damit ausgelastet, die Pferde notdürftig zu versorgen und den Reitern ihre Pferde abzunehmen oder zu geben, wenn sie die Stadt verließen. An Ausmisten war nicht zu denken, auch wenn ihm zwei ältere Männer halfen. Dementsprechend viel war für Ismar zu tun und Michel war mehr als froh über seine Hilfe. Bis in den späten Nachmittag füllte Ismar die Karren, die die Gehilfen dann hinaus fuhren. Gegen Ende schaffte er es kaum noch die Mistgabel hochzuheben, selbst wenn er kaum Mist darauf legte. Deshalb war er diesmal froh als die Arbeit vollrichtet war und er den Dienst quittieren konnte.
Danach war er zu müde um noch über den Markt zu gehen, der sich ohnehin bereits im Rückbau befand. Zumindest für all jene aus dem Umland, die nur einen der zwei Tage blieben und noch vor Einbruch der Nacht zu Hause ankommen wollten. Zurück zu seinem Vater wollte Ismar aber noch weniger. Er verspürte keine Lust ihm über den Weg zu laufen und zudem wollte er seine Schuld begleichen. So ging er zu Haman, weil er dort auch im Sitzen Arbeit fand.
„Ah, Ismar, gut dass du kommst. Es gibt viel Arbeit, wie du siehst.“ Haman war bester Laune und konnte sich nicht über mangelnde Kundschaft beklagen. Viele Reisende wünschten neue Hufeisen für ihre Pferde, gaben Bestellungen auf oder wünschten Reparaturen, die sie dann später im Jahr abholen würden.
„Kannst du Holz nachlegen?“ Haman schenkte Ismar nur kurz Aufmerksamkeit, weil er nicht wusste, was er zuerst tun sollte.
„Pfff“, stöhnte Ismar. „Ich war eben bei Michel.“ Obwohl er seine Arme kaum mehr spürte legte er einige Scheite Holz nach.
„Der kann nicht viel Arbeit für dich gehabt haben“, scherzte Haman, „so viele Pferde wie bei mir sind, muss der Stall bei ihm leer sein.“
„Caspar ist von einem Pferd getreten worden“, berichtete Ismar.
„Oh,