Die Schatzkammer des Pharao. Robert KraftЧитать онлайн книгу.
geht's zu Bett.«
»Sie sind ja die reinsten Wahabiten. Habe schon vorhin einmal daran gedacht, und Sie werden es ja immer mehr!« staunte Dr. Tannert.
»Was sollen wir sein?«
»Wahabiten. Wissen Sie nicht, was das für eine arabische Sekte ist?«
»Nein. Noch niemals davon gehört.«
»Natürlich - verzeihen Sie mir - ich falle manchmal noch in den Fehler zu glauben, daß alle anderen Menschen das wissen müssen, was meine ganze Gedankenwelt ausmacht. Kennen Sie nicht den alten Witz mit dem Geschichtsprofessor, der auf der Eisenbahnstation sein Cupe verläßt, sieht sich die Nummer des Waggons, 715, prägt sich die zur Vorsicht mnemotechnisch ein, 715 vor Christi Geburt: Numa Pompilius wird als zweiter römischer König auf den Thron erhoben - jetzt geht er beruhigt in das Restaurant. Der Zug wird abgeläutet, der Herr Professor stürzt heraus, findet seinen Waggon nicht, hat die Nummer vergessen - aber er hat sie sich ja mnemotechnisch gemerkt. Also er stürzt auf einen Schaffner los: »Schaffner, Schaffner, wann hat Numa Pompilius den römischen Königsthron bestiegen?!!«
Die Geschwister lachten.
»Und wie ist es nun mit den Wahabiten?«
Der Gelehrte wurde etwas gründlicher, als es nötig gewesen wäre.
»Eine mohammedanische Sekte, die sich im 18. Jahrhundert furchtbar gemacht hat. Ihr Stifter war ein reicher Kaufmann namens Abd el Wahab in der Provinz Nedschd, das fruchtbare Hochland im Herzen Arabiens. Ihm gefiel die immer mehr zunehmende Vergötterung des Propheten Mohammed nicht, womit auch die Lockerheit der Sitten seiner Landsleute wuchs. Für ihn war Mohammed nur ein einfaches Werkzeug Allahs gewesen, er hätte sich eben so gut in jedem anderen Menschen offenbaren können. Und tatsächlich war Mohammed auch ein recht minderwertiger Geist, litt an epileptischen Anfällen, was dort aber, weil den Leute unbegreifliches, als ein Zeichen der Heiligkeit gilt. Wahab wollte den ganzen Koran nicht gelten lassen, den Mohammed erst später diktiert hat, als er nur noch seinen Herrschergelüsten nachging, als er die Vielweiberei eingeführt hatte und anderes mehr. Für Wahab galt nur die Sunna, das ist die reine Lehre, die ersten Religionsformeln Mohammeds, die nicht niedergeschrieben worden sind, nicht geschrieben werden durften, die nur als Sprichwörter von Mund zu Mund gehen. Übrigens hat, nebenbei bemerkt, des Propheten erste Frau, die ganz gewaltige Aische, die wahrscheinlich viel bedeutender war als Mohammed selbst, ihm von dem Verfassen des Korans abgeraten, und das ist der Grund, warum die Wahabiten dann ihren Herrscher aus der Verwandtschaft dieser Aische wählten, warum sie noch heute lieber eine Emira als einen Emir haben, lieber eine Fürstin als einen Fürsten, und warum noch heute bei den Wahabiten auch die jüngeren Frauen mit in den Kampf ziehen, wofür sie natürlich auch ganz anderes Ansehen genießen, als sonst bei den Mohammedanern üblich ist.
Abd al Wahab fand schnell Anhänger, die streng nach der Sunna lebten. Der Koran zählte alles gewissenhaft bis ins Kleinste auf, was erlaubt und mehr noch was verboten ist. Das Weintrinken ist verboten. Aber nicht das Trinken von Bier und Branntwein. Weshalb nicht? Weil Mohammed noch nichts von Bier und Schnaps wußte. Heute zechen die meisten Mohammedaner ganz tüchtig. Bier wird massenhaft vertilgt, die Schnapsbrüder torkeln auf der Straße herum. Nur keinen Wein! Die Sunna aber sagt: du sollst kein berauschendes Getränk trinken. Also natürlich auch kein Bier und keinen Branntwein. Rauchen heißt auf arabisch ischrub tuchan, das ist Tabak trinken, weil der Orientale den Rauch doch stets inhaliert, und daß das den Kopf betäubt, weiß jeder, der es probiert hat. Also darf auch nicht geraucht werden. Der Koran zählt allen Luxus auf, der verboten ist. Die Sunna verbietet einfach jeglichen Luxus, jeden Schmuck. So dürfen die Wahabiten nicht den geringsten Zierrat tragen, sich keine Blume anstecken, von Ringen und dergleichen gar nicht zu sprechen. Sie tragen Kleidung in größtmöglicher Einfachheit, auch im Essen und so weiter.
Dann als die Sekte der Wahabiten zu einer Macht angeschwollen war, die sich zum Religionskrieg rüstete, erfand Wahab aus eigener Initiative eine Vorschrift, welche seine Anhänger so furchtbar machte. Wenn sich die Wahabiten im Kriege befanden - und das waren sie ja immer - wurde die Nacht zum Tage gemacht und umgekehrt. Am Tage schlief im Lager alles, bei Nacht waren sie wach. Das erscheint höchst unbedeutend. In Wirklichkeit wurden die Wahabiten dadurch so furchtbar. Am Tage wichen sie dem Feinde aus, überließen ihm unter Umständen sogar ihr Lager. Sie griffen den Feind in der Nacht an, oder bei Nacht erschienen die Geflohenen wieder, und die nächtliche Finsternis war ihr Element geworden, da sahen sie wie die Katzen, da nahm jeder Mann zehn Feinde auf sich, die im Finsteren herumtappten. Die Wahabiten hatten im Laufe zweier Jahrhunderte keine einzige ihrer zahllosen Schlachten verloren, die sie bei Nacht lieferten. - Sehen Sie, daran dachte ich. Sie nähren sich nur von den einfachsten Naturprodukten, trinken keinen Alkohol, rauchen nicht, ich bemerke an Ihnen - verzeihen Sie, daß ich darauf Obacht gegeben habe - gar keinen Schmuck, Monsieur Lavoir dort hat zwar eine goldene Uhr, hat sie aber an einem einfachen schwarzen Bindfädchen hängen, und nun offenbaren Sie mir auch noch, daß Sie die Nacht zum Tage machen, nur überhaupt in der Nacht leben - Sie sind ja die echten Wahabiten.«
Die Geschwister lachten wieder.
»Brennen die auch solche Wachskerzen?«
»Das weiß ich allerdings nicht. Ich bezweifle es. Die wollen sich ihre Augen ja durch kein Licht verderben. Die brennen wohl nur Kameldünger, um ihre Brotfladen zu backen.«
»Leben sie auch nur von Früchten und Nüssen?«
»Nun die Dattel spielt sicher eine große Rolle. Sonst besteht die Hauptnahrung aus Reis und durra, das ist Hirse.«
»Kein Fleisch?«
»Das kommt dort selten vor, daß einmal ein Zicklein geschlachtet werden kann, so daß darüber gar kein Verbot zu existieren braucht. - Bekommt Ihnen denn dieses Nachtleben?«
»Wie Sie sehen. Sind wir etwa melancholisch?«
»Sind Sie davon nicht nervös geworden?«
»Na nun hören Sie aber auf!« wurde gelacht.
»Wie sind Sie denn darauf gekommen?«
»So nach und nach. Durch langes Aufbleiben und spätes Aufstehen. Und das wurde immer länger ausgedehnt. Jetzt sind wir vollkommen daran gewöhnt, sind richtige Nachtvögel geworden. Ach es gibt doch zahllose Menschen, die die Nacht zum Tage machen, es tun müssen, denken Sie doch nur an die vielen Bäcker und Verkehrsbeamten. Na, und die werden auch nicht krank. Und in die helle Sonne können wir auch noch gehen, in die Sonne blicken aber kann irgend ein anderer Mensch so wenig wie wir. - Was ist nun aus diesen Wahabiten geworden?«
»Zuletzt wurden sie doch geschlagen. Erst von Ibrahim Pascha, dann von dem gleichfalls ägyptischen Pascha Khurschid. Die ägyptischen Soldaten wurden speziell im Nachtkampf ausgebildet, wurden deswegen in Nachtvögel verwandelt. In den letzten fünfzig Jahren haben die Wahabiten Ruhe gehalten, haben aber wohl viel innere Kämpfe auszufechten, wegen der Thronnachfolge. Es sind zwei Parteien entstanden, die jede ihren eigenen Emir haben will. Wenn sie sich da geeinigt haben, dann werden die Wahabiten schon wieder von sich hören lassen.«
»Wo wohnen sie jetzt?«
»Immer noch in der Provinz Nadschd. Das ist ein Gebiet so groß wie Deutschland, für arabische Verhältnisse ein gar reiches, fettes Land. Es sind ziemlich anderthalb Millionen Wahabiten, die in mehr als 300 Ortschaften wohnen. Jetzt haben sie wieder eine Fürstin, die Emira Aische al Sela, das heißt übersetzt, das Brot von Stein, das steinerne Brot/
»Das steinerne Brot? Ein seltsamer Name!«
»Nur für uns, wenn wir es übersetzen. Aische heißt Brot, und das ist für die Araber schön ein heiliger Begriff. Dem Fremden wird Brot und Salz gereicht als Zeichen, daß er die unverletzliche Gastfreundschaft genießt. Nun, und die Emira wird wohl eine steinerne Jungfrau sein, sowohl dem Herzen wie dem Körper nach, ein tüchtiges Kriegsweib, das Lanze und Schwert zu schwingen versteht. Die Gegenpartei möchte lieber einen Emir aus einer anderen Dynastie haben. Vorläufig aber herrscht die Emira al Sela.«
»Sie sprechen arabisch?« fragte der Bruder, der sich sonst nur selten am Gespräch beteiligte.