Der Sturm-Heidehof. Emily BronteЧитать онлайн книгу.
Seite zu zeigen, und besaß Einsicht genug, sich dort, wo man ihr so überaus aufmerksam entgegenkam, ihrer Unarten zu schämen, und so gewann sie sich durch ihre schlaue, erfinderische Liebenswürdigkeit die Zuneigung der alten Herrschaften, Isabellas Bewunderung und Edgars Herz und Seele, ohne daß sie eigentlich die Absicht hatte, durch ihr doppeltes Spiel irgend jemanden zu betrügen. Dort, wo Heathcliff als ein »gemeiner Raufbold« bezeichnet wurde, achtete sie darauf, sich nicht nach seiner Manier aufzuführen; zu Hause aber hatte sie wenig Verlangen, ein anständiges Betragen zu zeigen, das nur verlacht worden wäre, und ihre wilde Natur zu zähmen, wenn es ihr doch kein Lob einbrachte.
Mr. Edgar fand selten Mut, den Sturmheidhof offen zu besuchen. Er hatte Angst vor Heathcliff und fürchtete, ihm zu begegnen. Dennoch sah man seine Besuche gern. Der Herr selbst vermied ihm gegenüber seine Unfreundlichkeit, und wenn er nicht liebenswürdig Sein konnte, hielt er sich fern, denn er wußte, weshalb der Jüngling kam. Catherine waren Edgars Besuche, wie ich glaube, unangenehm. Sie war nicht durchtrieben, kannte keine Koketterie und hatte offenbar keine Freude daran, daß ihre beiden Freunde zusammentrafen. Denn wenn Heathcliff im Beisein Lintons seiner Verachtung für denselben Ausdruck gab, konnte sie dem nicht halb so zustimmen, wie in dessen Abwesenheit, und wenn Linton dann seinen Widerwillen vor Heathcliff bekundete, so durfte sie das nicht gleichgültig hinnehmen, da das wiederum ihren alten Spielgenossen verletzt hätte.
Ich habe viel gelacht über ihre Verlegenheiten und heimlichen Nöte, die sie vergebens vor meinem Spott zu verbergen suchte. Das klingt wohl boshaft, aber sie war so stolz – es war wirklich unmöglich, mit ihren Bedrängnissen Mitleid zu haben, solange sie nicht demütiger sein lernte. Doch schließlich kam sie und beichtete mir, denn sie hatte sonst keine Seele, die sie hätte um Rat fragen können.
Mr. Hindley war eines Nachmittags von Hause fortgegangen, und Heathcliff beschloß daher, sich einen freien Tag zu machen. Er war damals etwa sechzehn Jahre alt; er hatte keine unsympathischen Gesichtszüge, war auch nicht unintelligent, doch hatte er sowohl im Äußeren als im Wesen viel Abweisendes. Vor allem hatte er ganz seine frühere gute Erziehung eingebüßt: fortgesetzte harte Arbeit von früh bis in die Nacht hatte allen Wissensdrang bei ihm ausgelöscht und alle seine frühere Liebe zu Büchern und Kenntnissen. Das Überlegenheitsgefühl, das er in der Kindheit besessen, und das durch des alten Earnshaws Vorliebe für ihn noch gesteigert worden war, war dahin. Er hatte lange versucht, sich von Catherine belehren zu lassen, gab es aber bald mit tiefem, schweigendem Bedauern auf. Er sah ein, daß es zwecklos sei, eine Höhe zu erklimmen, von der er doch infolge seiner dienenden Stellung wieder herabstürzen würde. Seine äußere Erscheinung hielt Schritt mit seinem geistigen Niedergang: er nahm eine schlaffe Haltung an und einen trägen Blick; sein ohnehin verschlossenes Wesen wurde unglaublich schroff und mürrisch, und er hatte sichtlich Freude daran, von den paar Menschen, die er kannte, verabscheut statt geliebt und geachtet zu werden.
Catherine und er waren in seinen freien Stunden noch immer unzertrennliche Gefährten. Aber er hatte es aufgegeben, seine Liebe zu ihr in Worten zu äußern und entzog sich ärgerlich ihren kindlichen Zärtlichkeiten, als sei er sich bewußt, daß sie ihre Zuneigung an einen Unwürdigen verschwende.
An jenem Nachmittag also kam er auf die Diele, um mitzuteilen, daß er heut nicht mehr zu arbeiten gedenke. Miß Cathy hatte ein Empfangskleid an, und ich war damit beschäftigt, seinen Faltenwurf zu ordnen. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß es ihm einfallen werde, sich von der Arbeit zu drücken; sie hatte vielmehr angenommen, sie werde ganz allein im Hause sein und hatte daher Mr. Edgar von der Abwesenheit ihres Bruders Mitteilung zukommen lassen und bereitete sich nun zu seinem Empfang vor.
»Cathy, hast du heut etwas vor?« fragte Heathcliff. »Gehst du fort?«
»Nein, es regnet«, antwortete sie.
»Warum hast du denn dann dies Seidenkleid an?« sagte er. »Ich hoffe, es kommt kein Besuch?«
»Nicht daß ich wüßte«, stotterte sie, »aber du solltest jetzt draußen im Feld sein, Heathcliff. Es ist eine Stunde nach Tisch. Ich dachte, du wärest längst fort?«
»Hindley befreit uns nicht oft von seiner verfluchten Gegenwart«, bemerkte der Knabe. »Ich werde heut nicht mehr arbeiten; ich werde bei dir bleiben.«
»O – aber Josef wird es erzählen«, mutmaßte sie; »du solltest doch lieber gehen!«
»Josef ist in den Kalkgruben drüben bei Pennistow Crag; das hält ihn bis Abend auf, und er wird also gar nichts merken.«
Und Heathcliff trat ans Feuer und setzte sich. Catherines Blick verfinsterte sich; sie überlegte. »Isabella und Edgar Linton sprachen davon, heut Nachmittag zu kommen«, sagte sie dann. »Da es regnet, erwarte ich sie eigentlich nicht. Wenn sie nun aber doch kommen sollten, so würdest du dich unnützerweise Unannehmlichkeiten aussetzen.«
»So soll Ellen ihnen sagen, du seiest verhindert, Cathy«, meinte er hartnäckig. »Setz mich doch nicht um dieser läppischen dummen Dinger willen vor die Tür! Wirklich, ich könnte mich manchmal beklagen, daß sie – aber ich werde es nicht tun – –«
»Daß sie was?« rief Catherine verwirrt. »O, Nelly!« schrie sie dann auf, »du hast meine ganzen Locken ausgekämmt! Hör auf! Laß mich in Ruh! – Worüber könntest du dich beklagen, Heathcliff?«
»Nichts – nur betrachte dir mal den Kalender dort.« Er zeigte auf ein gerahmtes Blatt, das beim Fenster an der Wand hing, und fuhr fort: »Die Kreuze sind für die Abende, die du mit den Lintons verbracht hast, die Punkte für jene, die du mir geschenkt. Siehst du es nun? Ich habe jeden Tag angemerkt.«
»Ja; wie albern! Als ob ich mich daran kehrte!« erwiderte Catherine verdrießlich. »Was hat das für einen Sinn?«
»Es soll dir zeigen, daß ich mich daran kehre!« sagte Heathcliff.
»Und soll ich denn etwa immer bei dir hocken?« fragte sie ärgerlich. »Was hab ich davon? Was sprichst du denn mit mir? Du könntest stumm sein oder ein Baby – so wenig verstehst du es, mich zu unterhalten!«
»Du hast mir noch nie gesagt, Cathy, daß ich dir nicht gesprächig genug sei oder daß dir meine Gesellschaft unangenehm wäre!« rief Heathcliff aufgebracht
»Es ist überhaupt keine Gesellschaft, wenn einer nichts weiß und nichts redet«, murmelte sie.
Ihr Kamerad stand auf, aber er hatte keine Zeit, seine weiteren Gefühle auszusprechen, denn man hörte das Galoppieren eines Pferdes auf den Steinen der Gartenallee; dann pochte es an die Tür, und der junge Linton trat ein. Sein Gesicht strahlte vor Entzücken über die unerwartete Botschaft, die er erhalten hatte.
Zweifellos fiel Catherine der Gegensatz zwischen ihren beiden Freunden auf, jetzt, wo der eine eintrat und der andere hinausging. Es war etwa so, wie wenn man aus einem düsteren, unwirtlichen Lande kommend ein fruchtbares, sonniges Tal betritt. Schon allein Stimme und Gruß der beiden waren einander so entgegengesetzt, wie nur denkbar. Linton hatte eine süße, sanfte Sprechweise und setzte seine Worte so, wie Sie es tun, Mr. Lockwood. Das klingt weniger hart als wir hier sprechen.
»Ich bin doch hoffentlich nicht zu früh gekommen?« sagte er mit einem Blick auf mich. Ich hatte mich daran gemacht, die Schubfächer einer entfernt stehenden Kommode aufzuräumen.
»Nein«, erwiderte Catherine. »Nelly, was tust du dort?«
»Meine Arbeit, Miß«, entgegnete ich. Mr. Hindley hatte mir Auftrag gegeben, bei allen privaten Besuchen Lintons stets als Dritte zugegen zu sein.
Catherine trat zu mir und flüsterte zornig: »Mach dich mit deinem Staublappen davon! Wenn Besuch da ist, schickt es sich nicht, daß die Dienstboten im Zimmer herumwirtschaften!«
»Es ist grad heut eine gute Gelegenheit, da der Herr fort ist«, antwortete ich laut. »Er haßt es, wenn ich in seinem Beisein die Fächer aufräume. Mr. Edgar wird mich gewiß entschuldigen.«
»Ich hasse es, wenn du in meiner Gegenwart aufräumst«, rief die junge Dame hoheitsvoll, ehe ihr Gast Zeit hatte, etwas zu sagen. Sie hatte seit dem kleinen Zwist mit Heathcliff ihre Ruhe noch nicht wiedergewonnen.
»Das tut mir