Vier Jahre für Lincoln. Stillwell LeanderЧитать онлайн книгу.
Drill und außer am Montagnachmittag hatte ich noch niemals bei den Übungen zugesehen. Das damals angewandte System war "Hardees Infanterietaktik". Es war einfach aufgebaut und leicht zu erlernen. Wichtig bei seiner Umsetzung waren Schnelligkeit, Sorgfalt und Konzentration. Den ganzen Tag lang konnte man im Lager die Stimme irgendeines Offiziers hören, der seiner Gruppe oder Kompanie "Links! Links! Links, rechts, links!" zurief, um den Männern den Marschrhythmus einzuimpfen. Wir wurden in Camp Carrollton in der "Schule des Soldaten", der "Schule der Kompanie" und dem Einsatz in loser Gefechtsordnung unterwiesen. Bei Sonnenuntergang wurde stets eine Parade abgehalten. Wir hatten keine Musketen und erhielten erst welche, als wir in die Benton-Kaserne in St. Louis einrückten. Ich glaube nicht, dass wir in Camp Carrollton auch Bataillonsdrill abhielten. Die zahlreichen großen Bäume auf dem Jahrmarktgelände hätten es wohl auch nicht erlaubt. Unsere Verpflegung bestand aus Weizenbrot, Kaffee, je nach Mahlzeit frischem oder gesalzenem Fleisch, Bohnen, Reis, Zwiebeln, Kartoffeln, Süßkartoffeln und gelegentlich Kompott aus getrockneten Äpfeln zum Abendessen. Das Salzfleisch war in der Regel gepökeltes Schweinefleisch und fettes Bauchfleisch. Letzteren "Gaumenschmeichler" nannten die Jungs "Schweinebauch". Hiervon bekamen wir bis zum Ende des Krieges mehr als genug. Soweit es das Futter betrifft, möchte ich behaupten, dass sich die Unionssoldaten (zumindest in den westlichen Armeen) beinahe ausschließlich von Kaffee, Schweinebauch, Bohnen und Hartkeksen ernährten. Selbstverständlich brauchten wir einige Zeit, um zu lernen, wie man diese Dinge zubereiten muss (besonders die Bohnen), aber nachdem wir diese Kunst gemeistert hatten, konnten wir stets auf unser nahrhaftes Essen zählen. Man muss allerdings den Tod so manches armen Jungen (besonders während unserer ersten zwei bis drei Monate im Felde) darauf zurückführen, dass er sein Essen nicht richtig kochte.
Die fröhlichste Zeit des Tages in Carrollton waren jene Stunden nach der Parade und vor dem Trompetensignal, das den Zapfenstreich verkündete. In dieser Zeit fand ein lebhaftes "Kojotengeheul" statt: Die Jungs rannten umher und besuchten die Quartiere der anderen Kompanien, um dort gemeinsam aus vollem Halse zu singen. Alle möglichen patriotischen Lieder waren damals sehr beliebt und was uns an Musikalität fehlte, machten wir durch Lautstärke wett. Am 19. Januar 1862 hatte die Union in der Schlacht von Mill Springs, Kentucky den Sieg davongetragen und dabei den konföderierten General Felix K. Zollicoffer getötet. Dieser war ein Kongressabgeordneter aus Tennessee gewesen und galt im Süden als ein bedeutender Mann. Es dauerte nicht lange, bis ein Lied zur Feier dieses Sieges auftauchte. Es trug den Titel "Das frohe Land Kanaan" und ich kann mich nur noch an eine Strophe erinnern, die wie folgt lautete:
"Old Zolly ist hin
Und der Süden weint um ihn
Denn als General war er ein wichtiger Mann
Er leistete Widerstand
Bei dem Flusse Cumberland
Und ging ein in das frohe Land Kanaan."
[Anm. d. Übers.: Stillwell vermischt hier die ersten drei Zeilen der zweiten Strophe mit den letzten drei Zeilen der ersten Strophe.] Natürlich folgte jeder Strophe ein lebhafter Refrain, der nicht Bestandteil des ursprünglichen Liedes war und zudem, wie es manchmal in den Zeitungen heißt, "nicht zur Veröffentlichung geeignet" war, also werde ich ihn an dieser Stelle verschweigen. Ich kann noch heute meine Augen schließen, mich in meinem Stuhl zurücklehnen und meine Gedanken in jene ferne Zeit zurückstreifen lassen. Dann ist mir, als könne ich Nelse Hegans aus Kompanie C vor mir sehen und hören, wie er nachts in unserem Quartier in Camp Carrollton dieses Lied singt. Er war ein über 1,80 Meter großer, kräftiger Bursche von etwa 21 Jahren mit einer tiefen Bassstimme, deren Gesang wie entfernter Donner dröhnte. Er war rundum ein prächtiger Kerl. Der arme Nelse! Er wurde am Morgen des ersten Tages bei Shiloh von einer Musketenkugel tödlich am Hals verwundet und starb wenige Tage später.
Die Jungs erfreuten sich während ihrer Zeit in Camp Carrollton bester Gesundheit. Es gab vereinzelte Fälle von Masern, aber soweit ich mich entsinne, endeten diese nicht tödlich. Einmal fing ich mir eine arge Erkältung ein, aber ich kurierte mich selbst mit einem Hausmittelchen und dachte nicht daran, deswegen den Arzt aufzusuchen. Ich schälte etwas Rinde von einem Hickorybaum, der in der Nähe unsers Quartiers stand und brühte mir einen Liter starken Hickoryrindentee auf. Diesen trank ich heiß und in einem Zug unmittelbar vor dem Zubettegehen. Der Tee war von grüner Färbung und ausgesprochen bitter, aber er kurierte meine Erkältung.
Wenige Wochen nach meiner Einschreibung wurde ich zum Corporal befördert. Eine Infanteriekompanie verfügt (oder verfügte zumindest zu meiner Zeit) über acht Corporals und diese werden durchnummeriert. Ich war der Fünfte. Diese Beförderung verdankte ich der Freundschaft und dem Einfluss von Enoch Wallace und es war dies lediglich eine der zahlreichen Nettigkeiten, die er mir während meiner Dienstzeit erwies. Ich kann kaum beschreiben, wie stolz ich auf meinen bescheidenen militärischen Rang war. Ich spreche die reine Wahrheit, wenn ich gestehe, dass mir der Rang eines "Corporals in Kompanie D" mehr Stolz und Freude bescherte als jedes andere Amt, das ich in meinem Leben innehatte, sei es nun militärisch oder zivil. Die Jungs brachten ein Gerücht über mich in Umlauf, das besagte, man habe mich kurz nach meiner Beförderung hinter den Quartieren der Kompanie überrascht, wie ich meinen Kopf so tief wie möglich in ein leeres Fass steckte und mit tiefer, kehliger Stimme ausrief: "CORPORAL STILLWELL! CORPORAL STILLWELL!" Die Jungs erklärten, ich hätte dies getan, da ich den Klang dieser Worte so sehr liebte. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass meine Beförderung zwar noch während unserer Zeit in Carrollton ausgesprochen wurde, die offizielle Ernennung jedoch auf einen Zeitpunkt nach unserem Einrücken in die Benton-Kaserne datierte.
Die einzige Unannehmlichkeit, an die ich mich bezüglich Camp Carrollton erinnern kann, war der völlige Mangel an Privatsphäre. Selbst außerhalb seiner Dienstzeiten war es einem nicht möglich, sich zurückzuziehen und irgendwo etwas Ruhe und Frieden zu finden. Schon der Gedanke daran, ein stilles Fleckchen zu finden, um alleine ein Buch oder eine Zeitung zu lesen, schien absurd. Um mich eines dieser modernen Ausdrücke zu befleißigen: "Irgendwas ging immer ab." Nach dem Abendessen an frostigen Abenden, wenn die Jungs alle in den Baracken saßen und sangen oder herumalberten, schlich ich mich oft hinaus, schlenderte unter den großen Bäumen umher und lauschte dem Knirschen des Schnees unter meinen Füßen, nur um einmal eine Zeit lang alleine zu sein. In dieser Hinsicht besserten sich die Zustände jedoch, als es nach Süden ging und wir nicht mehr auf 15 Hektar zusammengepfercht waren.
Am 16. Februar 1862 errang General Grant seinen großen Sieg bei Fort Donelson und die Nachricht darüber erreichte uns wenige Tage später. Die Jungs sprachen darüber mit einer Mischung aus Überschwang … und Schrecken. Überschwang natürlich ob des "glorreichen Sieges", aber Schrecken ob dessen Auswirkungen auf unsere künftige Soldatenlaufbahn. Von den Offizieren bis hinunter zu den einfachen Soldaten dachten wir alle, dass der Krieg nun enden würde, man uns an der Front nicht mehr benötigte und wir nicht einen einzigen Schuss abfeuern könnten. Man würde uns entlassen und wir würden als lächerliche "Wochenendsoldaten" nach Hause zurückkehren, die künftig still dasitzen und den echten Kriegern bei ihren Geschichten über den Krieg und die Schlachten zuhören mussten. Wir wussten ja nicht, dass wir uns unnötige Sorgen machten … aber das sollten wir noch früh genug herausfinden.
Kapitel II
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Die Benton-Kaserne – St. Louis (März 1862).
Irgendwann gegen Ende des Monats Februar erreichte uns vom Regimentshauptquartier die willkommene Nachricht, dass wir Camp Carrollton in Bälde verlassen sollten. Unser vorläufiges Ziel lautete St. Louis, Missouri, aber wie es von dort aus weitergehen sollte, vermochte noch niemand zu sagen. Später erging dann der offizielle Marschbefehl und da wurde uns bewusst, dass unsere Befürchtungen bezüglich unserer Teilnahme an den Kampfhandlungen wohl ein wenig verfrüht gewesen waren.
Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass als Datum unseres Aufbruchs von Carrollton in der kurzen Regimentshistorie, welche in den Berichten des Generaladjutanten des Staates Illinois veröffentlicht wurde, der 21. Februar genannt wird, was nicht der Wahrheit entspricht. Es ist dies entweder ein Irrtum jener Person, die diesen Teil der Historie niederschrieb