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Vier Jahre für Lincoln. Stillwell LeanderЧитать онлайн книгу.

Vier Jahre für Lincoln - Stillwell Leander


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in der Benton-Kaserne an meinen Vater schrieb. Hierin nenne ich den 28. Februar als den Tag unserer Ankunft in St. Louis und ich weiß genau, dass unsere Verlegung nur zwei Tage in Anspruch nahm. Abgesehen von dem genannten Datum in meinem Brief erinnere ich mich genau an einige weitere ungeschriebene Tatsachen und Begebenheiten, welche mich zu der über jeden Zweifel erhabenen Gewissheit gelangen lassen, dass wir Carrollton am 27. Februar 1862 verließen. Früh am Morgen dieses Tages marschierte das Regiment durch das große Tor und auf einem Feldweg in Richtung Süden. Lebewohl, gutes altes Camp Carrollton! Etliche der Jungs sollten es nie mehr wiedersehen und auch ich bin nur einmal dorthin zurückgekehrt, im Sommer des Jahres 1894. Damals befand ich mich auf Besuch in Jersey County und es überkam mich das Bedürfnis, nach Carrollton zu gehen und mir das alte Lager anzusehen. Zwischenzeitlich war in dieser Gegend (in den letzten Kriegsjahren oder zumindest irgendwann um diesen Zeitraum) eine Bahnstrecke verlegt worden, die von dem Städtchen aus nach Süden verlief und weniger als eine Stunde von Jerseyville, wo ich mich aufhielt, entfernt war. Ich bestieg also den Frühzug und gleich Jona auf seinem Wege nach Tarschisch "bezahlte ich das Fahrgeld und ging an Bord". Ich erfuhr, dass das Areal des alten Lagers noch immer als Jahrmarktgelände diente und dass die alten, großen Bäume, oder zumindest die meisten von ihnen, noch standen und genauso aussahen wie 32 Jahre zuvor. Unsere alten Baracken waren inzwischen natürlich restlos verschwunden. Ich stand dort eine Weile herum und ließ, in Gedanken versunken, meinen Blick schweifen. Dann ging ich wieder und seitdem bin ich nicht mehr dort gewesen.

      Bei Sonnenuntergang erreichte das Regiment Jerseyville. Im ganzen Umland hatte sich die Kunde verbreitet, dass Frys Regiment auf dem Wege an die Front war und aus einem Umkreis von mehreren Kilometern war die Landbevölkerung auf ihren Heuwagen in dem Städtchen zusammengeströmt, um einen letzten Blick auf uns zu werfen und uns herzlich zu verabschieden. Das Regiment marschierte in Kompaniekolonne, mit einem Abstand von jeweils einer Kompanie, die nach Süden verlaufende Hauptstraße hinauf. Als wir das Zentrum des kleinen Ortes erreichten, schwenkten wir in Linienformation, richteten uns an der Regimentsfahne aus und standen in Habachtstellung. Auf den Bürgersteigen drängten sich die Leute aus dem Umland und musterten mit angespannten Mienen unsere Reihen, wobei jede Familie aufmerksam nach ihrem Jungen, Bruder, Gatten oder Vater suchte. (An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass die Mehrheit der Soldaten des Regiments, ebenso wie die meisten seiner Offiziere, Junggesellen waren.) Ich war mir gewiss, dass sich meine Eltern irgendwo in dieser Menge befanden, da ich ihnen eigens geschrieben hatte, wann genau wir durch Jerseyville marschieren würden. Ich stand in der vordersten Reihe und hielt meinen Kopf starr nach vorne gerichtet, aber meine Augen schweiften suchend so weit den Bürgersteig entlang, wie es mir in dieser Haltung möglich war. Plötzlich entdeckte ich sie, wie sie sich etwa drei Meter von mir entfernt mühsam ihren Weg zum Straßenrand bahnten. Ich fürchtete mich ein wenig vor unserem Treffen und dem bevorstehenden Abschied. Ich erinnerte mich noch an den Gefühlsausbruch meiner Mutter, als sie mich erstmals in meiner Uniform gesehen hatte und nun befürchtete ich, sie könne vollends zusammenbrechen. Doch da stand sie, ihren Blick unablässig auf mich geheftet und ein stolzes Lächeln zeigend! Wir waren ein prächtig aussehender Haufen von 800 bis 900 Burschen. Unsere Uniformen waren sauber und noch recht neu und unsere Gesichter waren rotbackig und strahlten förmlich vor Energie. Neben der Regimentsfahne trug jede Kompanie damals noch eine eigene, kleine Flagge und all diese flatterten nun im Wind, während unsere Regimentskapelle nach Kräften patriotische Melodien schmetterte. Ich schätze, für all diese Leute muss es ein beeindruckender Anblick gewesen sein, da sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, derartiges wohl noch niemals zuvor gesehen hatten. Wie dem auch sei, meine Mutter war offensichtlich froh, mich im Schatten der wehenden Fahne stehen zu sehen, bereit, für unsere alte Union zu kämpfen, anstatt mich zuhause herumzudrücken wie einige der kräftigen Jungs aus unserer Nachbarschaft, die Familien von Copperheads angehörten und entsprechende Sympathien hegten.

      Man hatte Vorkehrungen getroffen, das Regiment für diese Nacht in mehreren öffentlichen Gebäuden des Städtchens einzuquartieren und so wurden die einzelnen Kompanien zu ihren jeweiligen Unterkünften gebracht. Kompanie D hatte man die Baptistenkirche zugewiesen und dort traf ich mich mit meinen Eltern zu einer letzten Unterhaltung. Sie waren auf dem alten Heuwagen 15 Kilometer von Zuhause bis hierher gefahren. Die Straßen verliefen zumeist durch dichte Wälder, über Anhöhen und durch Senken und zudem näherte sich der kurze Wintertag seinem Ende und die Nacht würde bald anbrechen, weswegen sich unser Gespräch notwendigerweise kurz gestaltete. Der Abschied war einfach und ungekünstelt, ohne Zurschaustellung unserer Emotionen, aber Mutters Augen hatten einen ungewöhnlichen Glanz und nachdem sie "Lebewohl, Leander" gesagt hatte, wandte sie sich sogleich ab. Was meinen Vater betrifft, so war er ein alter Sohn North Carolinas, geboren und aufgewachsen in einer von Cherokee-Indianern besiedelten Gegend am Fuße der Great Smoky Mountains. Folglich galt ihm, wie allen Männern seines Schlages, das Zeigen "weibischer" Gefühle als beinahe schändlich. Seine Abschiedsworte waren knapp und wohlbedacht. Er sprach sie in seiner gewöhnlichen Art und Weise, machte auf dem Absatze kehrt und schritt davon.

      Mutter hatte mir ein Brathühnchen mitgebracht, eine große, fette Henne mit reichlicher Füllung und viel Salbei und Zwiebeln, zudem eine Früchtepastete, einige Krapfen nach altem Rezept und eingelegte Essiggurken. Ich teilte all dies mit Bill Banfield (meinem guten Freund) und es reichte für ein reichhaltiges Abendessen und ein üppiges Frühstück am nächsten Morgen, wonach noch immer die Hähnchenschlegel und einige weitere Fetzen Fleisch zum Mittagessen übrigblieben.

      Am nächsten Morgen brachen wir in aller Frühe in Richtung Alton am Mississippi River auf, allerdings mussten wir an diesem Tage kaum marschieren. Ein Großteil der Bevölkerung aus der Gegend um Jerseyville hatte sich mit seinen Wagen eingefunden und die Leute bestanden darauf, uns nach Alton zu fahren, was wir gerne akzeptierten. Einige Kilometer nördlich von Alton passierten wir eine damals (und womöglich noch heute) dort gelegene, bekannte und vielgerühmte Mädchenschule, das sogenannte "Monticello Seminar für Damen". Die Mädchen hatten bereits von unserer Ankunft gehört und standen alle am Wegesrand. Es waren wohl hundert oder mehr und sie trugen rote, weiße und blaue Schleifen in ihren Haaren oder an ihrer Kleidung. Sie winkten uns mit weißen Taschentüchern und kleinen Fahnen zu und sahen einfach hinreißend aus. Wir ließen uns nicht lange bitten, ihnen herzlich zuzujubeln, das kann ich dir versichern! Wir standen in den Wagen auf, schwenkten unsere Mützen und stießen ein Jubelgeheul aus, bis das letzte der Mädchen außer Sichtweite war. Dieses Ereignis bewahrten wir alle stets in liebevoller Erinnerung, denn es waren dies die letzten Bekundungen von Unterstützung und Patriotismus durch das weibliche Geschlecht, die dem Regiment zuteilwurden, bis wir schließlich einige Monate nach Kriegsende auf unserem Wege heimwärts den Boden des Staates Indiana betraten.

      Gegen Sonnenuntergang erreichten wir Alton, wo wir uns unverzüglich an Bord des Seitenraddampfers "City of Alton" begaben, der am Kai auf uns wartete. Sogleich wurden Wachen aufgestellt, um die Männer am Verlassen des Schiffes zu hindern. Doch "'s ward irgendwo geblundert" und man hatte uns keine Verpflegung für unser Abendessen zugeteilt. [Anm. d. Übers.: Stillwell spielt hier auf eine Zeile aus Alfred Tennysons Gedicht "The Charge of the Light Brigade" an. Um den Zitatcharakter zu wahren, wurde an dieser Stelle die bekannteste (wenn auch aus Gründen des Reims sehr unbeholfene) Übersetzung von Theodor Fontane gewählt.] Wir waren ausgehungert, denn unser Mittagessen (zumindest das von Kompanie D) hatte nur aus den Überbleibseln unseres Frühstücks bestanden. Die Offiziere nahmen sich der Sache an, suchten das Städtchen auf und kauften mit ihrem eigenen Geld Nahrungsmittel für uns. Meine Kompanie erhielt ein Fass Austernkekse, die damals "Butterkekse" genannt wurden, und dazu tranken wir Flusswasser.

      Die Neuartigkeit und Aufregung der vorigen beiden Tage hatten mich emotional wie körperlich erschöpft und, um die Wahrheit zu sagen, ich fühlte bereits einen ersten Anflug von Heimweh. Nach dem Abendessen begab ich mich auf das Oberdeck, breitete dort meine Decke aus, legte mich nieder, wobei mir mein Tornister als Kopfkissen diente und war bald eingeschlafen. Der Dampfer verließ Alton erst nach Einbruch der Dunkelheit und als er ablegte, rissen mich das Schrillen der Dampfpfeife, das Rauschen der Schaufelräder und das Stampfen und Hämmern der Dampfmaschinen aus dem Schlaf. Ich setzte mich auf, schaute mich um und beobachtete die Lichter von Alton, wie sie in der Schwärze der Nacht schimmerten und funkelten, bis ich sie in einer Flussbiegung aus den Augen verlor. Ich legte mich wieder nieder, schlief ein und erwachte erst am nächsten Morgen nach Tagesanbruch,


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