Replay. Jon PanЧитать онлайн книгу.
»Hab' ich heute Morgen gefunden«, antwortete Pauly, der sich kräftig abfrottierte.
»Gefunden?«, fragte Kim erstaunt.
»Hätte ja Geld drin sein können, oder?«, sagte er. »Geld aus dem Abfallkorb.«
Im Wohnzimmer stellte sich Pauly vor den Sessel und schaute auf das auseinandergefallene Papierbündel.
»Das ist ein Manuskript oder so was Ähnliches«, sagte Kim, die völlig verschlafen herumtrödelte. »Ich glaube, ich melde mich heute krank«, meinte sie dann.
»Schon wieder?« Pauly schlüpfte in einen engen Slip und zog ihn kräftig hoch.
»Seit wann kramst du eigentlich im Abfall herum?«, fragte Kim. »Damit schleppst du uns noch eine Krankheit ins Haus.«
Pauly zog sich an, griff nach seiner Lederjacke und verabschiedete sich mit einem flüchtigen Kuss von seiner Freundin. Draußen auf der Treppe prüfte er, ob sein Haar bereits trocken war. Dann fuhr er mit dem Aufzug in die Tiefgarage hinunter. Er setzte sich in seinen alten Triumph und machte sich auf den Weg.
Heute wollte Pauly einmal pünktlich sein. Seit zwei Jahren arbeitete er in einem Fitness-Center. Doch wie jeden Morgen hielt ihn der Verkehr auf. Als er im Center ankam, waren Leo und Frau Kuval schon da. Pauly klopfte gegen das Glas, hinter dem sich die Anmeldung befand. Frau Kuval hob kurz den Kopf. Die Tür zu Leos Büro war zugeschlossen.
Durch einen breiten, gut beleuchteten Flur, in dem viele Bilder mit muskelzeigenden Männern hingen, gelangte Pauly zu einem kleinen Raum mit Neonbeleuchtung. Dort zog er sich um, denn zum Arbeiten trug er eine dünne Stoffhose, ein T-Shirt und Turnschuhe – alles in Weiß.
Auf dem Weg zum großen Geräteraum rief ihn Leo.
»Was ist?«, fragte Pauly.
Leo kam den Flur herunter geschlendert. Sein Gesicht wirkte nachdenklich, was bei ihm nichts zu bedeuten hatte.
Pauly wartete ab, bis sein Chef vor ihm stand.
»Um zehn kommt Bacher«, sagte Leo. »Leg volles Gewicht in die Hackenschmidt.« Die Hackenschmidt war eine Trainingsmaschine, bei der man – in Rückenlage gegen eine verstellbare Polsterung gelehnt – mit Schultern, Armen und Beinen ein Gewicht hochziehen konnte.
»In Ordnung.« Pauly wollte sich umdrehen.
»He!« Leo tippte ihm kurz gegen den Oberarm. »Unten in der Sauna sieht's nicht gerade ordentlich aus!«
»Was abends nach meinem Weggang geschieht, geht mich nichts mehr an.«
»Du weißt genau, dass am Dienstag die Sauna blitzblank sein muss.« Leo strich sich über sein schwarzes Haar, das er mit Gel nach hinten gekämmt hatte.
»Überstunden sind nicht drin«, sagte Pauly.
»Okay, wir haben ein bisschen Schwierigkeiten, Nino.« Leo lächelte kalt.
»Ich mache meine Arbeit gut«, rechtfertigte sich Pauly.
»Dann ist ja alles bestens«, sagte Leo und schritt in seiner selbstgefälligen Art davon.
Das Telefon auf dem Nachttisch klingelte. Kim wurde aus einem kurzen Schlaf gerissen. Sie hatte sich, nachdem Pauly zur Arbeit gegangen war, wieder ins Bett gelegt. Ihre Hand tastete nach dem Hörer und holte ihn hinunter ins weiche Kissen. »Hallo?«, murmelte sie in die Sprechmuschel.
»Frisch und munter klingt das ja nicht gerade«, sagte eine aufgeweckte, leicht schrille Stimme.
»Ach, du bist es, Astrid«, begriff Kim.
»Sag bloß, du liegst noch im Bett!«
Kims Blick blieb am Wecker hängen. Es war schon nach neun.
»Ich bin krank«, sagte sie. »Daher kann ich heute nicht ins Büro kommen.«
»Lehner sucht dich überall.« Astrid lachte.
»Lehner kann mich mal«, erwiderte Kim.
»Ruf ihn besser an«, sagte Astrid. »Du weißt ja, wie er ist.«
»Schon gut«, seufzte Kim und legte auf.
Zehn Minuten später stand sie auf. In der Küche setzte sie Kaffeewasser auf, begab sich dann ins Bad, wo sie mit ihrer ausgiebigen Körperpflege begann, die sie nur kurz unterbrach, um sich eine Tasse Kaffee zu holen.
Als sie nach etwa einer halben Stunde das Wohnzimmer betrat, fiel ihr der auseinandergefallene Papierbund auf dem Sessel wieder auf. Der zerfetzte, flache Pappkarton lag daneben. Kim hatte Mühe damit, dieses gefundene Zeugs anzufassen. Besonders ekelte ihr vor dem Zeitungspapier auf dem Esstisch. Zögernd griff sie nach einigen Blättern. Sie waren einseitig mit Schreibmaschine vollgetippt.
Eine gewisse Neugier befiel Kim. Als halte sie einen giftigen Gegenstand in den Händen, schaute sie sich einige Seiten an. Ein leeres Blatt kam zum Vorschein, auf dem nur oben stand:
ABSTIEG INS DUNKEL
Roman
Was hatte Nino da gefunden? Es musste ein Manuskript sein. Das Romanmanuskript eines Schriftstellers? Nur, wer warf so etwas weg? Möglicherweise war es wertlos, eine Kopie, die nicht gebraucht wurde. Allerdings konnte Kim sehen, dass mit Kugelschreiber in dem Manuskript herum korrigiert worden war.
Sie stand da, überlegte. Warum sollte sie das Manuskript wegwerfen? Vielleicht handelte es sich um eine spannende Geschichte? Sie las gerne spannende Geschichten.
Sie fing zu lesen an und wurde schon nach wenigen Seiten von der Geschichte, die erzählt wurde, gefesselt. Die Spannung trieb sie dazu, das Manuskript nicht aus den Händen zu legen. Es schien sich um einen Thriller zu handeln.
Sie las über hundert Seiten, lehnte sich dann im Sessel zurück, rieb ihre ermüdeten Augen. Schon nach wenigen Minuten nahm sie das Manuskript wieder zur Hand und ließ sich vom Strudel der Handlung weiter mitreißen.
Am Nachmittag fuhr Kim in die Innenstadt. Nachdem sie einige Einkäufe erledigt hatte, entschloss sie sich, bei Robert, einem Fotografen, für den sie ab und zu als Model arbeitete, vorbeizuschauen. Robert hatte sein Atelier in einem Hinterhaus, dessen unterstes Stockwerk er für seine Arbeit benützte.
Kim passierte den Durchgang, schritt die drei Stufen hoch, die zur Eingangstür des Ateliers führten, und trat ein. Robert stand in der Mitte des Raums, eine Hand nachdenklich am Kinn. Durch die Geräusche, die Kim beim Eintreten machte, aufmerksam geworden, drehte er sich langsam um. Als er sah, wer kam, breitete sich ein Lächeln über sein gebräuntes Gesicht aus.
»Störe ich?«, fragte Kim.
»Hallo«, sagte Robert. Entschlossen schritt er auf sie zu. Da er großgewachsen war, musste er sich vornüberbeugen, um Kim auf beide Wangen zu küssen. Sie erwiderte diese Geste mit spitzem Mund, ohne Berührung.
»Gut siehst du aus«, sagte Robert.
Kim stand da, die Hände in den Taschen ihrer modischen Jacke vergraben. »Hast du viel Arbeit?«, fragte sie und warf ihr langes, blondes Haar zurück.
»Setz dich doch«, bot ihr Robert an. Und: »Willst du etwas trinken?«
»Hast du eine Cola?«
»Aber klar.«
Kim schlenderte zu der Sitzgruppe, die sich in der einen Ecke des nicht besonders großen Ateliers befand. Robert servierte das gewünschte Getränk mit Flasche und Plastikhalm.
»Vielleicht habe ich nächsten Monat einen Job für dich«, sagte Robert, holte eine Packung Zigaretten hervor, bot Kim eine an, die dankend ablehnte. »Ich rauche lieber meine eigene Marke«, erklärte sie.
Robert setzte sich auf die Lehne eines anderen Sessels, eine brennende Zigarette im Mundwinkel. »Was treibst du so?«, wollte er wissen.
»Ich bin momentan krank.«
»Krank?«