Marx und Nietzsche mischen sich ein - Die heillose Kultur - Band 1.1. Dr. Phil. Monika EichenauerЧитать онлайн книгу.
nicht frei ist. Er bezeichnet dies als Entfremdung und in der Konsequenz aus dem Privateigentum resultierend:
„Der einzige Zusammenhang, in dem sie [die Arbeiter] noch mit den Produktivkräften und mit ihrer eigenen Existenz stehen, die Arbeit, hat bei ihnen allen Schein der Selbstbestätigung verloren und erhält ihr Leben nur, indem sie es verkümmert.“ (MEW, I.5., 1972, S. 5)
Diese Marx’sche Aussage besitzt in unserer gesellschaftlichen Gegenwart eine nie geahnte Aktualität und Brisanz durch die Zweiklassengesellschaft und die für sie notwendig einzuführenden Armuts- und Verarmungsprogramme. Wie ausgeführt, führt der Kapitalismus der Gegenwart nicht mehr ins Reich der Freiheit, die, wie Marx schreibt, jenseits des notwendig zu erarbeitenden liegt, sondern geradezu in die Unfreiheit, in die Armut hinein!
Während früher galt: Je mehr Arbeiter und Angestellte ein Produktionszweig hat, desto mehr kann produziert werden, desto größer wird der Mehrwert und – nach Abzug aller Kosten – der Gewinn des Unternehmers. Heute hingegen wird der Gewinn größer, je weniger Arbeiter und Angestellte notwendig und desto billiger sie sind. Sind weitere Entlassungen nicht möglich, wird als nächstes über die Verlagerung der Standorte in so genannte Billigländer nachgedacht. Stich- und Codewort: Globalisierung. Damit verrät die Wirtschaft die eigene Kultur, das eigene Land. Der Staat, also die sinkende Zahl der heimischen Steuerzahler, also wir, müssen die abgewanderten Steuergelder und die für die Armen und Verarmten notwendigen Unterhaltszahlen mittels Steuern leisten und ausgleichen.
Konsequenterweise mutiert nun der Staat selbst zum Unternehmer. Sein Plan ist, einen kompletten, bislang selbstständig tätigen Berufszweig, den Ärzte- und Psychotherapeutenstand, ebenfalls in die demokratisch-kapitalistische Politik der Abhängigkeiten einzupflegen: Allerdings nicht, damit Kranke gesünder werden und Gesunde gesund bleiben, sondern um – als guter Unternehmer – Gewinne gemeinsam mit der privaten Wirtschaft im Gesundheitsmarkt zu erwirtschaften. Ärzte/Psychotherapeuten und Patienten sind ebenso Mittel zum Zweck wie generell der Bürger im Kapitalismus. Alle sollen sie hinsichtlich ihrer Existenz, ob nun materiell oder gesundheitlich – vom Staat und der (Gesundheits-)Wirtschaft abhängig sein, werden und bleiben.
Karl Marx definiert Arbeit generell „als Bildnerin von Gebrauchswerten“. Als nützliche Arbeit sei die Arbeit „eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln“. (Karl Marx: MEW 23, S. 58; Block M.E.)
Menschen werden also immer auf die eine oder andere Art arbeiten – je nach Technologiestand und moralisch-ethischer Haltung. Wird die Art und Weise der Produktion einfacher und werden nicht mehr so viele Menschen im Produktionsprozess gebraucht, folgt daraus, dass Menschen weniger Zeit im Reich der Notwendigkeit verbringen müssen:
„Die Freiheit in diesem Gebiet“, so Karl Marx, „kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den, ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann. Die Verkürzung des Arbeitstages ist Grundbedingung.“
(Marx, Karl 1959, S. 873f.)
Folglich sind wir in einem Stadium des Kapitalismus angelangt, in dem wir frei werden könn(t)en – und es politisch in gewissem Sinne auch schon sind –, um nicht nur ausschließlich der Notwendigkeit der Arbeit nachgehen zu müssen:
In den letzten Jahrzehnten haben Menschen erlebt, dass sie insgesamt mehr Freizeit hatten und sich kulturell etwas mehr leisten konnten, als sie zum unmittelbaren monatlichen Überleben brauchten. Dies bedeutete nichts anderes, als dass Freiheit eine Folge von reduziert zu erfüllenden Notwendigkeiten in dieser Zeit war. Eine Notwendigkeit ist es, Geld zu verdienen, zu erwirtschaften und damit kann man zu einer Teilfreiheit gelangen, zur Selbstverwirklichung seiner individuellen Natur, wie Marx mitteilt: nach Feierabend. Arbeitszeiten wurden reduziert, Rentenalter vorverlegt – Menschen hatten Zugang zu Bildung und Ausbildung von individuellen Fähigkeiten in Beruf und Freizeit. Sie konnten Vorlieben nachgehen. Aber es führte nicht grundsätzlich zur Veränderung der bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse. Die Zeit wurde in den letzten Jahren wieder zurückgedreht: Arbeiter und Angestellte wurden entlassen und beziehen Hartz-IV. Das Rentenalter soll wieder angehoben werden, und zwar auf 67 Jahre! Der Mittelständler, Menschen, die wirtschaftliche und existenzielle Risiken auf sich genommen hatten, um selbstständig wirtschaftlich tätig zu werden, wurden nach und nach reduziert, um die Basis für eine Zweiklassengesellschaft zu verdichten. Steuergesetze ergänzten, was die Wirtschaft allein nicht schaffte: Der Mittelstand wurde immer kleiner. Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten zählen ebenfalls zu den Menschen, denen der dünne berufliche Ast gekürzt und abgesägt wurde und wird.
Fazit: „Wahre“, aber dennoch eingeschränkte Unabhängigkeit entspringt im Kapitalismus offenbar dem Besitz von Geld oder aber den Voraussetzungen, angemessen leben zu können. Von Lebensmittelproduktion und grundsätzlichen Lebensbedingungen her gesehen, könnten Menschen auf der Welt in Frieden und mit Dach über dem Kopf und genügend Nahrungsmittel leben – wäre da nicht das Ziel, um jeden Preis Gewinne machen zu wollen..... Allein die Umschreibung „eingeschränkte Unabhängigkeit“ verweist auf Spaltung und Paralyse, die sich dann in Menschen fortsetzt: Im Kapitalismus ist kein Mensch gänzlich frei – es gibt immer einen Haken, an dem er hängt.
Die innere Einstellung, die ein Mensch in seiner kulturellen Zeit entwickelt, um sich Freiheiten zu verschaffen, ist begrenzt. Natürlich könnte man persönlich sagen, genauso wie andere Menschen auch: Ich habe die Freiheit, meine Arbeit niederzulegen und Hartz-IV zu beziehen – bevor jedoch Bezüge monatlich überwiesen werden, werden sämtliche Sparbücher und Wertgegenstände staatlich verrechnet, die übrigen Familienangehörigen durchforstet, ob es da niemanden gibt, der das monatliche Hartz-IV-Salär zahlen könnte. Dass kein Mensch in Deutschland freiwillig auf diesen Weg möchte, unterstelle ich einmal. Wie begreift der Einzelne sich selbst, das Leben und das Leben anderer, bleibt humanistische Orientierung, die noch zu erfüllen bleibt. Aber die benannte Einschränkung, „ohne Moos nichts los“, bleibt bis in alle kapitalistische Ewigkeit die gleiche. Dann werden Menschen auch krank oder gehen unter bedrohlichen Umständen zur Arbeit, um ihre Miete bezahlen zu können. Dann sind wir mitten in feudalistische Strukturen zurückgekehrt, von denen Sen differenziert berichtet und Christoph Keese sie falsch auffasst und missdeutet.
Die Betreiber des Kapitalismus, die Geldbesitzer, sind jahrzehnte-, jahrhundertelang immer um den eigentlichen Kern des Kapitalismus herumgeschlichen. Aus Angst vor seinem alles Menschliche ausschließenden Wesen, an dessen Eiseskälte die Finger und grundsätzlich Freiheit kleben bleiben; man muss schon einiges aufwenden, um sie wieder loszueisen und seine Seele nicht völlig zu verkaufen. Über Folgen und Bedeutung des Kapitalismus sollte, wenn überhaupt nur mit größter Sorgfalt, Vorsicht und Umsicht gesprochen, berichtet und wenn überhaupt, diskutiert werden. Als besser erwies es sich, zu politisieren, Folgen als Meinungen und Interpretationen darzustellen, statt als unbequeme Wahrheiten.
Viele Menschen sind an dieser Aufgabe, sei es als Unternehmer oder Manager oder Bürger, diesem kapitalistischen Kern zu entkommen, zerschellt. Die Furcht der Kapitalisten vor einer öffentlichen Aufdeckung dieser Abgründe ähnelt der des Neurotikers, der davor zurückschreckt, sich mit dem Inhalt seines Konfliktes gefühlsmäßig auseinanderzusetzen.
Lieber lebt man mit dem Übel – „so lange es geht.“ Kapitalisten werden innerlich zerrissen, schließlich möchten sie so gut sein, wie jeder andere Mensch auch (zum Beispiel Sen), tun „ihr Bestes“ und wollen „nur das Beste.“ Und da hakt es: Sie wollen immer das Beste – das haben Menschen auch immer gegeben. Doch sie sind enttäuscht worden. Tausch- bzw. der Gegenwert stimm(t)en einfach so nicht.