Flucht aus dem Morgengrauen. Marc LindnerЧитать онлайн книгу.
der Anblick von Geld durchaus vertraut sein musste.
Obschon die Bürokratie in diese Praxis Einlass gefunden hatte, so hatte sie dennoch keinen Sieg davon tragen können. Die beiden Herren hatten ihre eigenen Regeln und sie verstanden es zu spielen.
Hätte ich nicht eine angeborene Schwäche für Zahlen gehabt, so wäre es mir nie aufgefallen. Abgesehen von den anfänglichen bedächtigen Blicken, war keiner der Männer irgendwann ein Unbehagen anzumerken gewesen.
Ich musste lachen über die Vorstellung von der Welt, wie wir sie hatten lernen müssen. Nun begann es erst, das Leben, das wahre. Und mein Flug war gebucht, und ich gesund, beziehungsweise so krank, wie die Menschheit mich nun gemacht hatte, mit all ihren Regeln. Diesmal hatte ich das Gift direkt eingespritzt bekommen, was nicht bedeutete, dass ich es sonst nie bekam, vorher war es nur immer langsamer gewesen, und ohne Einstichstellen. Es waren die Werte, die Erwartungen, die ich nach und nach hatte inhalieren müssen, als wäre ich sonst nur ein Wrack gewesen, ohne diese Kur, die das Leben einem verschreibt.
Der Korridor war nicht mehr der gleiche, als ich wieder raustrat. Der Arzt hatte mich freundlich verabschiedet und mir viel Glück gewünscht. Ich kannte den Menschen nicht, und doch hatte es etwas von einem Abschied an sich haften, in dem Moment, da ich seinen Raum verließ und sich die Tür hinter mir schloss.
Den Dicken hinter mir, sah ich in den Gang, wie in einen langen Tunnel. Zurück konnte ich nicht mehr, da war nur dieses eine Zimmer, mit dem einen, seltsamen Arzt.
Und vor mir lag die Welt, wie in diesem einen, unzählige Male geträumten Traum. Ich hatte nie lange genug schlafen können, um das Licht zu erreichen, aber diesmal würde ich nicht aufwachen.
Bisher hatte ich alles leicht genommen, für mich war es nur ein Spiel, und ich hatte geglaubt, ich, ein untersetzter Knabe, könnte die Regeln bestimmen.
Doch nun musste ich feststellen, dass ich das Spiel nicht einmal mehr beenden konnte.
Es war ein befremdlicher Marsch den Korridor entlang. Dieser mündete in einen Flur, welcher mich an einer hohen Fensterfront vorbei, und weg führte.
Der Dicke ging immer noch hinter mir und sein erregtes Atmen trieb mich weiter. Er, der alles gesehen hatte, hoffte endlich etwas zu finden, was ihn wieder erfreuen konnte, und ich, der noch nichts gesehen hatte, freute mich auf die Suche.
Jetzt waren diese Geier vom Fernsehen wieder da, aber nur noch einer der Kastenträger hatte sein Ungetüm ausgepackt.
Als letztes Mittel seiner Verzerrungskunst hatte er sich weit hinten im Flur platziert, um mich nun wie eine Heldenfigur bei ihrem Aufbruch einzufangen.
Nun half mir auch der Dicke dabei, den Flur und das Bild auszufüllen. Um mir nicht nachher Sabotage nachsagen lassen zu müssen, bemühte ich mich um einen möglichst starken Gesichtsausdruck. Da mir der Verlauf der Reise noch recht ungewiss vorkam, und ich mir nicht die Mühe gemacht hatte, mich dem Ausmalen möglicher Szenarien hinzugeben, wählte ich eine skeptische Miene, die mir mit reichlich übertriebener Brauenverzerrung wohl auch überzeugend gelang.
Recht versöhnlich lächelte der Kameramann mir zu und ich zeigte meinen guten Willen und gab ihm eine Zugabe.
Langsam hob ich meine Hände und fuhr mir genüsslich durch mein Gesicht, wobei ich mich durch die Präsenz einer Brille nicht stören ließ. Nachdem ich die Spannung der Miene aus meiner Haut gezerrt hatte, faltete ich die Finger ineinander und ließ die Handflächen mit auseinander gespreizten Armen fest gegen meine Stirn gedrückt ruhen, bevor ich mit den Händen über meinen Kopf, durch mein dichtes Haar fuhr, um dann mit einem genussvollen kräftigen Atemzug meine Arme neben meinem Körper auszuschütteln.
«Jetzt bin ich doch ein bisschen aufgeregt», trat ich an die Journalistin heran.
Mich beschlich die Befürchtung, dass wenn ich nicht bald zu reden anfing, ich nachher beim Schnitt sehr schlecht davon kommen könnte. Mir machte der Gedanke Angst, dass ich vielleicht als dummer umhertänzelnder Affe in die Wohnzimmer der verstrahlten Zuschauer gesendet würde.
Erfreut darüber, dass ich doch noch auftaute, zog die Frau mich gleich wieder in ihre Arme. Sie hatte die Hoffnung nicht aufgegeben und glaubte nun, dass sie ihre Erwartung in die Reaktion eines normalen Menschen bald erfüllt sehen würde.
Wie sehr sie sich da irrte, denn als sie mich nun zu sich heranzog, fehlte die Wärme. Es war, als wäre sie wieder die Frau, die ich kennengelernt hatte. Die andere, die, die mich zuvor umarmt hatte, war kaum mehr als eine verblassende Spiegelung in einem großen Fenster, von dem ich mich eben abwendete und wusste, dass ich nicht wieder zurückkommen würde.
Dieser Schock, dieses erbarmungslose Verschwinden der Illusion ließ mich schlagartig erfrieren. Weder ihre hingebungsvollen Versuche mich zum Reden zu bewegen, noch die erwachte Hoffnung in den Augen des Kameramannes konnten daran etwas ändern.
Fast erdrückte sie mich mit ihrem verkrampften Bemühen, mich an sich zu binden. Doch je fester sie ihren Arm um mich schlang, desto weiter entfernte ich mich wieder aus ihrer Welt. Mein schüchternes Wesen duldete keine Aufforderung, sich zu zeigen.
«Sabrina, jetzt lass den Jungen doch endlich los», befreite mich Konrad aus ihrem hilflosen Griff, lange nachdem der Kameramann resigniert hatte.
Sabrina, dachte ich, erfreut, dass ich ihren Namen nun endlich wusste. Nur Sabrina kannte ich noch nicht, sie war mir, seit ich sie kennengelernt hatte immer fremder geworden. Das Spiel, auf das ich mich eingelassen hatte, war mir längst entglitten, ich war nun nur noch ein Spieler. Regeln und Drehbuch hatte inzwischen jeder aufgeben müssen. Dies sollte ein Abenteuer werden, so hatte sich Konrad es vorgestellt, und ich es mir gewünscht, und gemeinsam mussten wir merken, dass man ein solches nicht planen konnte. So traten wir nach draußen und die erste frische Brise, die unsere Nase umspülte, ließ uns diese nur oberflächlich wahrgenommene Erkenntnis rasch vergessen.
Nirgends gab es eine Absperrung und niemand schien uns aufhalten zu wollen. Nur ein einzelner Angestellter des Flughafens war zu uns gestoßen und führte uns nach einer knappen Begrüßung wortlos auf die Rollbahn hinaus.
Dort stand ein wahres Schlachtross an Flugzeug. Allein die Größe schlug mich fast zu Boden. Nur am Himmel und im Fernsehen hatte ich sie bisher winzig klein gesehen. Selbst aus dieser, noch beachtlichen Entfernung, lehrte mich dieses Ungetüm Ehrfurcht.
Bei den riesigen Rädern angefangen, wusste ich nicht, wo mein Staunen aufhören sollte.
Mein Blick klebte förmlich am Flugzeug, und so fiel mir nicht auf, dass ich meinen Kopf immer weiter hatte drehen müssen, und wir allesamt am Flugzeug vorbei gegangen waren.
Erst als mein Hals zu schmerzen anfing, riss es mich aus meiner Bewunderung und ich blickte vorwurfsvoll den Flughafenangestellten an, der in einem unverschämten Tempo mir dieses ehrfurchterregende Monstrum wieder kleiner werden ließ.
Ich hatte kein Verständnis für diese Missachtung dieser atemberaubender Größe gegenüber. Wiederholt drehte ich mich, fast wie ein kleines Kind, zu diesem Flugzeug um, hin und her gerissen zwischen Staunen und Enttäuschung.
Völlig fassungslos nahm ich die nüchterne Teilnahmslosigkeit der Anderen wahr. Sie hatten es nicht einmal bemerkt und ihm sicher nicht die Bewunderung entgegen gebracht die dieser enormen Erscheinung angemessen war.
Es war ein befremdlicher, beeindruckender Weg über die ebenmäßige Startbahn hinweg. Alles wirkte so gehetzt, und doch hatte man die Ruhe zu gehen, eigentlich gar zu spazieren. Wenn ich den Dicken betrachtete, so hatte ich das Gefühl, als ging er durch einen Wald hindurch, so entspannt, so gelöst schritt er voran.
Nichts erinnerte an den herrschsüchtigen, alles kontrollieren wollenden Manager, vielleicht noch sein Blick, aber den konnte ich, hinter ihm herschreitend, nicht erkennen.
Kurz nachdem die Truppe hinter einem Tankwagen verschwunden war, konnte ich abermals ein Flugzeug erblicken. Dieses aber konnte mich nun nicht mehr mitreißen. Klein und unauffällig, wenn es nicht so spitz und schnittig frech einen angestarrt hätte, rollte es