TARZAN UND DER SCHATZ VON OPAR. Edgar Rice BurroughsЧитать онлайн книгу.
und schnitt sich ein mächtiges Stück aus der Hinterkeule. Numa beobachtete ihn mit steigender Wut, während Tarzan zwischen den einzelnen Bissen sein warnendes Knurren ertönen ließ. Nun war dieser Löwe Tarzan noch nie begegnet und schien unschlüssig, wie er sich verhalten sollte. Was er sah und witterte, war ein Mensch. Numa hatte Menschenfleisch gekostet, und obwohl es nicht zum schmackhaftesten gehörte, so zählte doch der Mensch zu den leichtesten Beuten. Dieser Mensch hier stieß allerdings ein furchterregendes Knurren aus und ließ Numa zögern, obwohl der Geruch des frischen Fleisches ihn wahnsinnig zu machen drohte.
Tarzan ließ die große Wildkatze nicht aus den Augen. Er ahnte, was in dem Gehirn der Bestie vorging. Und es war gut, dass er Numa beobachtete, denn plötzlich konnte Numa der Herausforderung nicht länger widerstehen. Er richtete den Schweif steil auf, und Tarzan, der das Zeichen kannte, setzte mit mächtigem Sprung in den nächsten Baum, die Reste der Rehkeule zwischen den Zähnen. Numas Angriff kam mit der Geschwindigkeit und Wucht eines Expresszuges.
Tarzans Rückzug war kein Zeichen dafür, dass er sich fürchtete. Wäre er hungrig gewesen, würde er den Angriff abgewartet und seine Beute verteidigt haben, wie er es oftmals getan hatte. Aber die Hinterkeule war mehr Fleisch, als er verzehren konnte. Dennoch konnte er nicht dulden, dass Numa sich an seiner, Tarzans, Beute labte. Ganz in der Nähe war ein hoher Baum, der große, harte Früchte trug, und Tarzan schwang sich geschmeidig in dessen Geäst. Nun begann ein Bombardement, das den Löwen zu wütendem Brüllen veranlasste. So schnell er sie einsammeln konnte, sandte Tarzan ein Geschoss nach dem andern hinab. Es war dem Löwen unmöglich, unter dem Hagel dieser Geschosse sein Mahl in Ruhe zu beenden. Brüllend und schnaubend vor Wut zog er sich von dem geschlagenen Tier zurück, doch als er die Mitte der Lichtung erreichte, verstummte er plötzlich, und Tarzan sah, wie Numa sich flach an den Boden presste.
Sekunden später entdeckte Tarzan, was die Aufmerksamkeit Numas erregt hatte. Auf dem Wildpfad näherte sich ein Mensch, ein alter, dunkelhäutiger Mann, der sich allein den Weg durch den Dschungel suchte. Der ganze Körper des Mannes war mit Narben und Tätowierungen bedeckt. Er trug das Fell einer Hyäne um die Schultern, der Schädel des Tieres ruhte auf seinem Kopf. Tarzan erkannte die Zeichen des Wunderdoktors. Er mochte diese Männer nicht und sah dem Angriff des Löwen mit gewisser Schadenfreude entgegen. Plötzlich aber erinnerte er sich daran, dass Numa ihm seine Beute streitig gemacht hatte und dafür bestraft werden musste.
Das Geräusch brechender Zweige beim Angriff Numas war das erste Zeichen für den Schwarzen, dass er sich in Gefahr befand. Er schaute auf und erkannte den knapp zwanzig Meter entfernten Löwen mit der dichten Mähne. Sekunden später sprang der Löwe den Zauberer an. Im gleichen Augenblick sprang Tarzan ihm auf den Rücken. Noch im Fall stieß er das Messer tief in den Leib Numas, während seine Rechte sich in der Mähne des Tieres verkrampfte. Wut und Schmerz ließen Numa aufbrüllen. Er stieg vorn hoch und ließ sich auf den Rücken fallen. Aber Tarzan verlor nicht den Halt und versenkte immer wieder das Messer bis zum Heft in die Flanke des Tieres. Er war zerschunden an allen Gliedern, das Blut der Raubkatze, das sich mit dem Erdreich des Wildpfades vermischte, bedeckte auch seinen Körper. Numa rollte und wälzte sich von einer Seite auf die andere, aber seine wilden Tatzenschläge trafen statt des Gegners nur die Luft. Tarzan wusste, dass er verloren wäre, wenn er seinen Griff nur für eine Sekunde lockerte. Der Wunderdoktor lag noch dort, wo ihn der Ansprung des Löwen niedergeworfen hatte. Wie gelähmt beobachtete er den schrecklichen Kampf zwischen Mensch und Bestie, unablässig die Zaubersprüche seines Kultes mit blutleeren Lippen murmelnd.
Lange zweifelte er nicht am Ausgang des Kampfes - der seltsame weiße Mann musste sicherlich dem mächtigen Simba unterliegen. Wer hatte je gehört, dass ein einzelner Mann, nur mit einem Messer bewaffnet, Sieger über den König des Dschungels geblieben wäre! Dann aber weiteten sich die Augen des alten Mannes, und seine Überzeugung geriet ins Wanken. Und eine schwache Erinnerung stellte sich ein - er sah, wie sich ein schlanker weißer Jüngling durch den Dschungel schwang, begleitet von einer Gruppe großer Affen. Furcht ergriff das Herz des alten Mannes, die abergläubische Furcht desjenigen, der an Geister und Dämonen glaubt.
Der Zeitpunkt kam, an dem der Wunderdoktor nicht mehr am Ausgang des ungleichen Kampfes zweifeln konnte. Nun wusste er, dass der Dschungelgott Simba töten würde - doch was würde der Sieger dann ihm bescheren? Er sah, wie der Blutverlust den Löwen mehr und mehr schwächte. Er sah, wie die mächtigen Glieder zu zittern begannen, wie der Löwe niedersank, um sich nie mehr zu erheben.
Er sah, wie sich der Gott oder der Teufel des Dschungels von seinem besiegten Gegner löste, wie er einen Fuß auf dessen Rücken setzte und sein Gesicht dem fahlen Mond entgegenreckte, um jenen unheimlichen Schrei auszustoßen, der das Blut in den Adern des Wunderdoktors erstarren ließ.
Viertes Kapitel
Tarzans Aufmerksamkeit richtete sich auf den alten Mann. Er hatte Numa nicht getötet, um den Schwarzen zu retten, es war lediglich ein Akt der Rache gewesen. Nun aber, da er den alten Mann hilflos und sterbend vor sich liegen sah, regte sich etwas wie Mitleid in ihm. In seiner Jugend hätte er den Zauberer erschlagen, ohne eine Sekunde zu zögern, inzwischen aber hatte die Zivilisation ihre Wirkung auf ihn nicht verfehlt. Er sah einen leidenden alten Mann und kniete nieder, um seine Wunden zu untersuchen und die Blutungen zu stillen.
»Wer bist du?«, fragte der alte Mann mit zitternder Stimme.
»Ich bin Tarzan - Tarzan von den Affen«, erwiderte Tarzan mit dem gleichen Stolz, als würde er sagen: Ich bin John Clayton, Lord Greystoke.
Der Alte begann zu beben und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, las Tarzan in ihnen, dass sich der Zauberer mit seinem Schicksal abgefunden hatte. »Warum tötest du mich nicht?«, fragte der Greis.
»Warum sollte ich dich töten? Du hast mir nichts zuleide getan, außerdem bist du schon fast ein toter Mann. Numa, der Löwe, hat dich getötet.«
»Du willst mich nicht töten?« Zweifel und Ungläubigkeit sprachen aus der bebenden Stimme.
»Ich würde dich retten, wenn es möglich wäre, aber ich kann es nicht«, erwiderte Tarzan. »Warum dachtest du, dass ich dich töten würde?«
Eine Weile blieb der alte Mann stumm. Als er endlich sprach, geschah es nach einem inneren Kampf mit der Furcht, die ihn noch immer beherrschte. »Ich kenne dich seit langem«, sagte er. »Damals streiftest du im Lande Mbongas, des Häuptlings, durch den Dschungel. Ich war schon Wunderdoktor, als du Kulonga und die andern erschlugst und unsere Hütten und Giftkessel ausraubtest. Zuerst erinnerte ich mich nicht an dich - dann aber wusste ich, wer du bist - der weißhäutige Affe, der mit den behaarten Affen zusammenlebte und uns das Leben schwer machte - der Dschungelgott - der Munango-Keewati, für den wir außerhalb unserer Tore Nahrung bereitstellten, und der kam und sie verzehrte. Erzähle mir, bevor ich sterbe - bist du ein Mensch oder ein Teufel?«
Tarzan lachte. »Ich bin ein Mensch«, sagte er.
Der alte Mann seufzte und schüttelte den Kopf. »Du hast versucht, mich vor Simba zu retten«, sagte er, »dafür werde ich dich belohnen. Ich bin ein großer Zauberer. Höre mir zu, weißer Mann! Ich sehe, dass dir schlimme Tage bevorstehen. Die Schrift meines eigenen Blutes verrät es mir. Ein Gott, der größer ist als du, wird auferstehen und dich zerschmettern. Kehre um, Munango-Keewati! Kehre um, ehe es zu spät ist. Gefahr liegt vor dir, Gefahr droht hinter dir, aber größer ist die Gefahr vor dir. Ich sehe...« Er verstummte, rang nach Atem. Dann krümmte er sich zusammen und starb. Niemand beantwortete Tarzan die Frage, was der Alte noch gesehen hatte.
Es war sehr spät, als Tarzan wieder über die Dornenhecke setzte und sich inmitten seiner schwarzen Krieger zur Ruhe legte. Niemand hatte gesehen, wie er gegangen war, niemand hatte seine Rückkehr beobachtet. Er dachte über die Warnung des alten Zauberdoktors nach, bevor er einschlief, und sein erster Gedanke galt ihr, als er erwachte. Aber er kehrte nicht um, denn er kannte keine Furcht. Hätte er geahnt, was dem Menschen, der ihm das Liebste auf der Welt war, drohte, so hätte er keine Sekunde gezögert, auf das Gold von Opar zu verzichten und an die Seite seiner Frau zu eilen.
Hinter ihm brütete am gleichen Morgen ein anderer weißer Mann über das, was er in der Nacht gehört hatte - etwas so Unheimliches und