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Veränderungen von Verhaltensstandards im Bereich familialer Erziehung und Sozialisation seit 1945. Winfried WolfЧитать онлайн книгу.

Veränderungen von Verhaltensstandards im Bereich familialer Erziehung und Sozialisation seit 1945 - Winfried Wolf


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vieler Lebensbereiche, die zusätzlich für eine verstärkte Nachfrage nach Beratung sorgt48.

      Zeitschriften, die für sich in Anspruch nehmen in kompetenter Weise Lösungen für alle familiären Probleme anbieten zu können, machen sich diese „Notsituation“ des „Verbrauchers“ zunutze. Sie vertrauen offensichtlich darauf, dass die Beratung in Erziehungsfragen nicht mehr nur im engeren Familien- oder Bekanntenkreis gesucht wird. Für viele Menschen ist es scheinbar leichter, sich mit ihren Problemen an „Dr. Brand“ oder „Frau Irene“ zu wenden, als an einen ihnen nahestehenden Menschen oder gar eine öffentliche Einrichtung, wie z.B. eine Familien- oder Erziehungsberatungsstelle.

      Ratsuche in der Zeitschriftenberatung:

      Was mag nun den einzelnen Ratsucher dazu veranlassen, sich Rat und Information gerade in einer Zeitschrift zu suchen? Gründe sozio-kultureller Art49 sollen hier nicht weiter erörtert werden. Behalten wir vielmehr die individuellen Motive des heutigen Lesers im Auge.

      Der Leser ohne besonderes Interesse für Fragen der Erziehung mag wohl eher aus Neugier einen Blick in entsprechende Beiträge werfen und sich vielleicht nur hie und da informieren wollen wie andere „es machen“, ohne gleich Konsequenzen für sein eigenes Handeln zu ziehen. Der stärker Interessierte wird vergleichen und die eine oder andere Empfehlung für sein eigenes Verhalten in Erwägung ziehen. Dabei werden sich die meisten auch nur in der Richtung beeinflussen lassen, in die sie ohnehin schon vorher gehen wollten50. Dass ein Einfluss von Massenkommunikationsmitteln überhaupt unterstellt werden darf, dass in unserem Falle von der Zeitschriftenberatung eine Wirkung erwartet werden kann, macht E. Noelle-Neumann in einer Bemerkung zu diesem Thema deutlich. Aus zahlreichen Beobachtungen zieht sie den Schluss, „dass die Massenkommunikationsmittel einen um so größeren Einfluss auf das Denken und Handeln der Menschen haben, je mehr der gebotene Stoff, der Inhalt der Kommunikation, auf die Praxis des Alltags bezogen ist, oder je größer soziale und psychologische Bedeutung er hat“51.

      Wir dürfen also ein allgemeines Interesse an Beratung, auch an Erziehungsberatung in Zeitschriften unterstellen. Und offenbar genügt vielen Menschen die allgemeine, unverbindliche Beratung nicht, sie suchen den brieflichen Kontakt zur personifizierten Beratung im sog. „Briefkasten“, den viele Zeitschriften verstärkt seit den 60er Jahren anbieten. Versuchen wir nun die Situation eines solchen Ratsuchenden näher zu beleuchten, denn sie wird uns Aufschluss über Inhalt und Form der Raterteilung geben.

      Den Ratsuchenden veranlasst wohl zunächst die subjektiv empfundene Dringlichkeit seines „Falles“ sich um eine Beratung zu bemühen. Für viele Menschen mag dies nicht leicht sein, steht man doch in der Gefahr, sich, wenn auch anonym, eine Blöße zu geben, wenn man andere um Rat fragt und damit zugibt, dass man Probleme hat, die man selbst nicht meistern kann. „So scheuen sich manche Leute, ihre Sorgen vorzutragen, weil sie in einem kleinen Ort wohnen und fürchten, sie würden damit in der Öffentlichkeit oder Bekannten gegenüber bloßgestellt“52. Auch gilt es eine gewisse Schwellenangst zu überwinden, wenn man sich als Ratsuchender vertrauensvoll einem Unbekannten gegenüber öffnen und Schwächen sowie Fehler seinerseits zugeben soll53. Dabei mag die Anonymität der Illustriertenberatung dem Ratsuchenden noch einen gewissen Schutz geben, mehr als in der direkten Begegnung mit dem Therapeuten ist ihm hier ein Rückzug möglich, allerdings auch die Gefahr, dass man seinem Problem letzten Endes durch Nicht-Identifikation wieder ausweicht.

      Problemdruck und allgemeine Akzeptanz von Beratung alle können aber noch nicht das Annehmen und Nutzen des Beratungsangebots erklären; hinzukommen muss beim Ratsuchenden die Überzeugung, dass er hierdurch seine persönliche Lage verbessern kann und dass der Berater für qualifiziert genug gehalten wird, ihn in seiner individuell besonderen und einmaligen Situation verstehen und damit helfen zu können.

      Ob jemand um Rat nachsucht, wird natürlich auch davon abhängen, inwieweit man Kenntnis von der Möglichkeit einer persönlichen Beratung hat, was man beim Leser einer Zeitschrift mit Beratungsangebot allerdings voraussetzen kann. Ein Faktor übrigens, der in einer zunehmend „therapeutisierten“ Gesellschaft wohl an Bedeutung auch in den sog. unteren Bevölkerungsschichten verloren hat.

      Viele werden jedoch trotz Problemdruck und der Überzeugung, dass ihnen geholfen werden könnte, nicht um Rat nachfragen, weil ihnen die form der Beratung nicht zusagt: Sich schriftlich oder mündlich, in Briefform oder im persönlichen Gegenüber zu äußern, und damit gegebenenfalls vor ein größeres Publikum zu treten, ist schließlich nicht jedermanns Sache. Wir dürfen daher annehmen, dass auch die Ratsuchenden in den Zeitschriften eine besondere Auswahl der Gesamtleserschaft ausmachen. Es wäre eine eigene Untersuchung wert, wie eine solche Auswahl die Beratung in Form und Inhalt selbst wiederum beeinflusst.

      Und letztlich mag es auch von der Attraktivität des Beratungsangebots und des Beraters abhängen, ob jemand den Mut findet, sich auf eine Beratung in einer Illustrierten einzulassen. Eine Vertrauen schaffende Maßnahme ist hier schon die Fotografie des Erziehungsberaters im Kreise seiner eigenen Familie, wie sie etwas im „Ratgeber“ zu finden ist oder auch die Vorstellung des Ratgebers anhand einer Kurzbiografie, die sowohl auf die berufliche Qualifikation Bezug nimmt als auch die Kompetenz qua Lebenserfahrung berücksichtigt (vgl. 9/69/1158). Der Ratgeber ist also dem Ratsuchenden in d. R. kein Unbekannter. Der Frager wendet sich vielmehr an „eine Autorität, die ihm aus veröffentlichten Antworten schon bekannt ist“54.

      Was kann der Ratsuchende erwarten?

      Wir können wohl annehmen, dass die Bereitschaft Rat anzunehmen beim Ratsuchenden schwindet, wenn er das Gefühl haben muss, dass er vom Berater weder mit seinen Problemen angenommen noch verstanden wird. Aus der Kritik an sog. „Kommunikationssperren“ hat man etwa für die partnerzentrierte Beratung folgende Verhaltenseigenschaften vom Berater gefordert (die ihn damit für den Ratsuchenden attraktiv machen):

      emotionale Wärme, Akzeptieren und Achten des Klienten (Akzeptanz);

      einfühlendes Verstehen (Empathie); und

      Echtheit im Verhalten (Kongruenz).

      Das Akzeptieren und Achten des Ratsuchenden erfordert vom Berater, dass er die Aussagen des Ratsuchenden nicht sofort negativ bewertet. Empathie heißt, dass der Berater sich in die Gefühlslage des Ratsuchenden einfühlen soll. Die emotionale Wärme des Beraters will besagen, dass dieser sich „echt“ verhält; seine Gefühle also, mit aller gebotenen Vorsicht natürlich, klar zum Ausdruck bringt55.

      Hier wird nun deutlich, dass in der schriftlichen Kommunikation zwischen Berater und Ratsuchendem in der Zeitschriftenberatung diese drei Grundhaltungen des Beraters zwar auch durchgehalten werden56, aber doch nicht so zum Ausdruck kommen können, wie in der ‚face to face’ – Situation des verbal und nonverbal geführten Beratungsgesprächs. So sind gerade hier Gesprächsmethoden wie die Techniken des Paraphrasierens und des Verbalisierens emotionaler Erlebnisse, die zur Verbesserung der Beratung führen sollen, nicht oder doch nur sehr eingeschränkt möglich.

      Der Verzicht auf eine persönliche Begegnung zwischen Ratsuchendem und Ratgeber ist jedoch auch und gerade unter therapeutischen Gesichtspunkten nicht ausschließlich negativ zu werten. Im Gegenteil: „Durch das Alleinsein beim Schreiben (eines Briefes, d. V.) ist man wie beim Tagebuch nicht gehemmt durch die unmittelbare Gegenwart eines Partners, wie dies beim Gespräch mehr oder weniger stark der Fall ist“57.

      Was unterscheidet die Zeitschriftenberatung von anderen Beratungssituationen?

      In der Zeitschriftenberatung erfährt der Berater und noch mehr das Publikum in d. R. wenig über die Normen und Wertvorstellungen, die sozialen, wirtschaftlichen, räumlichen und zeitlichen Abhängigkeiten, in denen der Ratsuchende steht und die sein Handeln, Denken und Fühlen beeinflussen58. Und das ist das Besondere dieser Art von Beratung: sie richtet sich eben nicht nur an den Ratsuchenden selbst, sondern auch an ein Publikum. So kann ein Fall schon im Interesse der noch anderen interessierenden Fälle nicht „ewig“ behandelt und ausgebreitet werden. Beschränkt sich der Kontakt zwischen Ratsuchendem und Ratgeber nicht auf ein einmaliges, druckwürdiges Ereignis, so bleibt dies doch dem Publikum in der Regel verborgen. Eine Kontrolle


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