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Die Gräfin von Ascot. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.

Die Gräfin von Ascot - Edgar Wallace


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die Andacht vorüber war, traten Mrs. Carawood und Marie Fioli aus der Galerie in den Gang. Die alte Frau war immer in einer gewissen Hochstimmung, wenn sie bei der jungen Gräfin weilen durfte. Sie bemerkte den Fremden, der in ihrer Nähe stand und sie beobachtete. Es war ein großgewachsener, schlanker, hübscher Mann, der sie freundlich anlächelte.

      »Ich habe doch die Ehre, Gräfin Fioli vor mir zu sehen?« fragte er höflich und hielt den Hut in der Hand.

      Marie sah ihn einen Augenblick überrascht an, dann lachte sie leise.

      »Ach, ich besinne mich auf Sie – Sie sind doch Mr. Morlay?«

      Er war erstaunt, daß sie sich noch an ihn erinnerte.

      »Mr. Lester hat Sie mir doch bei Rumpelmeyer vorgestellt.«

      Allmählich glättete sich die Stirn der älteren Frau wieder, und John glaubte zu bemerken, daß sie erleichtert aufatmete. Sie gingen zusammen bis zum äußeren Schultor, wo das junge Mädchen unversehens Mrs. Carawood umarmte und küßte. Dann nickte sie John noch einmal lächelnd zu und verschwand im Haus.

      Einige Sekunden schwiegen die beiden anderen. Mrs. Carawood schaute noch auf die Tür, in der Marie verschwunden war.

      John staunte, daß diese Frau die junge Gräfin so sehr verehrte. Schon dieses kurze Zusammensein hatte sie in freudige Erregung gebracht.

      »Sie haben Ihre kleine Freundin sicher sehr gern?« sagte er freundlich.

      Sie schrak zusammen und wandte sich nach ihm um.

      »Ja, ich habe sie gern«, erwiderte sie. »Es ist, als ob sie mein eigenes Kind wäre.«

      »Ich habe gehört, daß sie die Schule bald verlassen wird?«

      Sie nickte.

      »Nächste Woche. Sie wird jetzt ihren eigenen Haushalt führen.«

      Mrs. Carawood erklärte das mit einem gewissen Stolz.

      »Ist sie nicht noch etwas sehr jung, um schon ihr eigenes Haus in Ascot zu halten? Oder geht sie vielleicht vorher noch nach Italien?«

      Ihre Blicke trafen sich, und er sah, daß sie argwöhnisch wurde.

      »Nein«, erklärte sie kurz. Aber als ob sie ihren scharfen Ton bedauerte, fügte sie gleich hinzu: »Ich weiß nicht, was ich mit ihr anfangen soll. Sie ist wirklich noch sehr jung.«

      »Zu jung, um zu heiraten«, entgegnete Morlay.

      Er hätte vor allem gern erfahren, ob sie die Annäherungsversuche dieses eleganten Taugenichts Lester begünstigte, und seine unausgesprochene Frage wurde beantwortet, als er in ihr düsteres Gesicht sah.

      »Ja, noch viel zu jung«, wiederholte sie mit Nachdruck. »Außerdem hat Marie auch nicht den Wunsch, von mir fortzugehen.«

      Er konnte nicht gut noch länger bleiben, zog höflich den Hut und entfernte sich. Sie sah ihm nach, bis er um die nächste Ecke bog, und wandte sich dann an den Portier.

      »Wer war eigentlich der Herr, Mr. Bell?«

      »Meinen Sie den Mann, mit dem Sie eben sprachen?«

      Sie nickte.

      »Das ist Mr. Morlay. Er kam vor zwei Jahren einmal hierher. Man hatte ihn gerufen, damit er einen Betrug aufdecken sollte. Er ist nämlich so eine Art Privatdetektiv ...«

      Ihre Hand zitterte plötzlich, und ihr Gesicht wurde grau. Der Portier sprach noch weiter über Mr. Morlay, aber sie hörte seine Worte nicht.

      Ein Privatdetektiv! Ihr Herz schlug wild, während ihre Lippen noch einmal leise das Wort formten. Ein Privatdetektiv!

      4

      John Morlay bog in die breite Hauptstraße ein, die zu beiden Seiten von hohen Bäumen umsäumt wurde. Ab und zu blieb er vor einem der hübschen Läden stehen, aber er sah nichts von den ausgestellten Gegenständen. Nur Maries Bild stand ihm immer vor Augen. Bisher hatte er sich um Frauen sehr wenig gekümmert und sich fast ausschließlich seinem Beruf und dem Sport gewidmet.

      »Es war nicht richtig, daß ich hierherkam«, sagte er sich.

      Während der Rückfahrt nach London dachte er über das Problem nach, das durch den Besuch Julian Lesters in sein Leben getreten war. Aufgrund seiner vielfachen Erfahrungen besaß er gute Menschenkenntnis und war deshalb fest davon überzeugt, daß Mrs. Carawood ein durchaus ehrlicher, aufrichtiger Charakter war.

      Es war schon spät, als er in seiner Wohnung ankam. Er hatte im Zug zu Abend gegessen, schlüpfte nun in Hausjacke und Pantoffeln und setzte sich mit einem Buch in einen Lehnsessel, um sich die Zeit bis zum Schlafengehen zu vertreiben.

      Aber die Lektüre fesselte ihn nicht. Nach einigen vergeblichen Versuchen legte er den Band beiseite und begann über das Verhalten Mrs. Carawoods nachzudenken.

      Plötzlich klingelte es an der Haustür, und nach einiger Zeit erschien sein Diener und meldete einen Besucher an, den John um diese Stunde am wenigsten zu sehen wünschte.

      »Es tut mir leid, daß ich Sie störe, alter Freund«, sagte Julian, als er mit seinem stereotypen Lächeln ins Zimmer trat. Er trug einen Abendanzug. »Ich habe mit der Familie Weirs zu Abend gegessen. Ich rief Sie an, um Sie auch einzuladen, aber Sie waren nicht zu Hause. Geht die Uhr auf dem Kamin richtig? Dann ist es ja schon zehn.«

      Er hatte den Frackmantel vorsichtig über die Lehne des Sofas gelegt und setzte sich nun in den bequemen Sessel.

      »Ihr Diener erzählte mir, daß Sie nach Cheltenham gefahren seien. Außerordentlich liebenswürdig von Ihnen. Nach Ihrem Verhalten neulich im Büro dachte ich nicht, daß Sie bereit wären, den Fall zu übernehmen.«

      »Darin haben Sie sich auch nicht getäuscht. Ich habe nicht die Absicht, Ihren Auftrag auszuführen.«

      Lester runzelte die Stirn.

      »Sie wollen mir nicht helfen?«

      »Ich will Ihnen wenigstens eine Aufklärung geben«, sagte John langsam. »Mrs. Carawood ist meiner vollen Überzeugung nach eine durchaus ehrliche Frau. Wenn Marie Fioli überhaupt ein Vermögen besitzt, dann ist es vollkommen sicher in den Händen ihrer Erzieherin, genauso sicher, als ob es auf der Bank von England läge.«

      Julian lächelte.

      »Für einen Mann mit Ihrer großen Erfahrung –«

      »Bei meiner Menschenkenntnis«, unterbrach ihn John, »fällt es mir leicht, einen Verbrecher zu durchschauen, ganz gleich, ob es sich um einen Mann oder um eine Frau handelt. Und ich sage Ihnen, ich habe die größte Achtung vor Mrs. Carawood.«

      »Haben Sie sie eingehend nach allem gefragt?«

      John füllte seine Shagpfeife und grinste.

      »Selbstverständlich. Ich habe sie auf die Folterbank gespannt, und dann hat sie zugegeben, daß sie ehrlich ist! Meinen Sie, ich wäre so blöd, daß ich hinginge und sie geradewegs fragte? Daß ich sie traf, war ein Zufall – allerdings habe ich ihn herbeigeführt.«

      »Haben Sie auch Marie gesehen?« fragte Julian eifrig.

      »Ja.«

      »Was halten Sie von ihr?«

      »Meiner Meinung nach ist sie« – er zögerte einen Augenblick –, »sehr, sehr lieb. Außerdem bin ich davon überzeugt, daß sie für Sie viel zu jung ist.«

      Auf Julian machten diese Worte wenig Eindruck. Er war es gewohnt, daß sich die Leute ihm gegenüber unfreundlich und abweisend verhielten.

      »Möglich«, erwiderte er langsam. »Wenn wir alles mit der Goldwaage wiegen wollten, paßten die Leute überhaupt nicht zusammen, mein Lieber. Ich habe Sie wirklich nicht engagiert, um das zu entdecken.«

      »Ich möchte vor allem zunächst klarstellen, daß Sie mich nicht engagiert haben. Es war eine Laune von mir, daß ich nach Cheltenham fuhr.


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