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Vor dem Mast – ein Nautiker erzählt vom Beginn seiner Seefahrt 1951-56. Klaus PerschkeЧитать онлайн книгу.

Vor dem Mast – ein Nautiker erzählt vom Beginn seiner Seefahrt 1951-56 - Klaus Perschke


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1946 wieder eröffnet. Die erste Schule war die Deichschule in Cuxhaven-Mitte, direkt hinter dem Deich am Hafen. Und die Klassen waren voll, so voll, ich glaube zwischen 40 und 50 Schüler waren in einer Klasse zusammengepfercht. Dazu kam, dass die meisten Lehrer noch in Kriegsgefangenschaft oder noch nicht entnazifiziert waren. Anfangs hatten wir eine Doppelstunde Rechnen und eine Doppelstunde Deutschunterricht. Danach kam die nächste Klasse. Viele Flüchtlingskinder waren dabei; und es war lausig kalt im Winter 1947/48. Es gab keine Kohlen für die Schulen. Kohlen bekamen nur die Fischdampfer im Hafen. Trotzdem, wenn einer von uns nicht spurtete, dann bekam er für Kleinigkeiten von den heimgekehrten Lehrern mit dem Rohrstock mindestens fünf Schläge hinten übergezogen, und dabei wurde einem warm, und man kam mächtig ins Schwitzen. Der Rohrstock wurde sehr oft benutzt in der Deichschule. Damals hatten wir verdammten Respekt vor den heimgekehrten Lehrern. Wer hat heute noch vor den Lehrern Respekt? Manche haben übertrieben geprügelt, aber mein Vater gab immer den Lehrern Recht, niemals mir oder überhaupt uns Schülern. Schüler hatten Pflichten zu erfüllen, hatten also keine Rechte. So einfach war das im untergegangenen Reich gewesen. Nennt man so etwas nicht auch Generationenkonflikt?

      Es war eine bescheidene Zeit damals. Der Schwarzmarkt blühte. Jugendfreunde, deren Väter die Kunst des Handels und des „schnellen Untertauchens“ auf dem Schwarzen Markt erfolgreich beherrschten und nie von der Polizei geschnappt wurden, liefen immer in den neusten trendy Klamotten herum, die damals gerade „in“ waren. Mein Vater, Ex-Marine-Verwaltungs-Offizier, also Marine-Oberzahlmeister oder auch „Silberling“ genannt, war eine absolute Niete im punkto „Anpassen an diese neue Zeit“. Es gab ja nichts mehr zu verwalten, es gab nur noch etwas zu organisieren, zu verschieben, also blieb er erfolglos, soll heißen „arbeitslos“. Die Sozialdemokraten in Cuxhaven waren, ob qualifiziert oder nicht, von den Siegern in alle öffentlichen Ämter verpflichtet worden und sollten für Ordnung sorgen. Man hatte etwas gegen alles, was früher nach Militär und Partei roch. Diese Leute wollte man nie wieder einstellen, denn sie hatten ja den böhmischen Gefreiten zum Führer gewählt, der den Krieg und den totalen Zusammenbruch gewollt hatte. Es ging nicht nur meinem Vater dreckig, es ging einem ganzen Heer von entlassenen Heimkehrern so. Es war ganz schön traurig. Nur eins vergaß mein Vater meistens, wenn er sich beklagte: „er hatte nämlich das Glück und die Gnade gehabt, aus den ganzen Schlamassel heil heraus gekommen zu sein, sogar unverwundet. Wie viele waren durch diesen gottlosen Krieg auf der Strecke geblieben?! In unserer Nachbarschaft wohnten etliche Kriegerwitwen, besonders von der U-Boot-Gattung. Trotzdem war Vater Willi unzufrieden. Schlangestehen vor dem Arbeitsamt mit alten Kriegskameraden, die auch keinen Job bekamen, war seine einzige Tätigkeit.

      1948 waren wir vor der Währungsreform einmal für vier Wochen zum Torfstechen gefahren. Dafür gab es dann ein paar Säcke getrockneten Torf für den kommenden Winter. Ansonsten gab es ab 1948 jede Woche 34 D-Mark „Stütze.“ 1949 war meine kleine Schwester Sabine geboren worden. Sabine war so etwas wie unser kleiner Lichtblick, unsere Freude und Hoffnung in dieser trostlosen Zeit. Wenn sie lachte, vergaßen wir für einen Moment unsere bescheidene Lage. Als meine Schwester zwei Jahre alt war, nahm mein Vater diesen kleinen Wurm auch mit zum Arbeitsamt. Und wenn die arbeitslosen Kameraden Sabine fragten, was sie denn später einmal werden möchte, wenn sie groß sei, dann antwortete sie zum Gaudi der wartenden Kameraden: „Wenn ich einmal groß bin, dann gehe ich stempeln“!

      „Zur Lage der Nation im Jahre 1948“

      Aus der Sicht eines 13jährigen Jungen entwarf ich diese politische Karikatur. Meine überforderten Eltern nahmen sie gar nicht zur Kenntnis. Doch der Reklamemaler, Herr Krollmann, bei dem ich mich 1950 mit diesem Entwurf bewarb, war begeistert und meinte, diese Veranlagung wäre noch aufbaufähig. Leider hatte mir meine damalige Chefin, Frau Neubauer, einen Strich durch die Rechnung gemacht.

      Für mich hatte 1948 eine neue Schulstufe angefangen, d. h. meine Eltern hatten mich von der Volksschule in die Mittelschule gehievt, und anfangs lief auch alles gut. Nur, weil wir zuhause jeden Pfennig dreimal umzudrehen hatten, musste auch ich nach der Schule nachmittags Geld verdienen gehen. Durch Vermittlung unseres damaligen Pastors Arno Pötzsch von der Garnison-Kirche bekam ich einen Botenjob in der Buchhandlung von Hans Neubauer in der Schillerstraße.

      In der Mittelschule, die in der Rathausstraße eingerichtet war, Klasse 7 k Gruppenbild mit Lehrer Tonn. Aufnahme von 1949.

      Oben links steht Edgar Busse, 3.v. l. Detlef Krönke, 3. v. r.: Harald Hilmer,

      viele Namen sind mir entfallen. Aber eine Gang von

      5 Schülern tauchte später in der Seefahrt wieder auf: Harald Hilmer, Fritz Almstedt, Helmut Mammes, Erhard Michaelsen und Klaus Perschke. Vier von uns hatten die Kapitäns-Laufbahn eingeschlagen, Helmut Mammes wurde Funkoffizier.

      Ich musste dreimal in der Woche Bücher und Zeitschriften an Kunden austragen, Pakete zur Post und andere wieder zurück ins Geschäft bringen. Zu den Kunden gehörten Ärzte, Rechtsanwälte, gut gehende Geschäftsinhaber, Lotsen, Lehrer usw. Für einen Nachmittag zum Ausliefern der Zeitschriften und Bücher benötigte ich in der Regel vier Stunden. Mein Botenlohn betrug 16 DM im Monat, oder 4 DM in der Woche, oder 1,33 DM für einen 4-Stunden-Nachmittag, natürlich steuerfrei. Hart war es im Winter 1947/48 und 1948/49. Vor der Währungsreform gab es an Schuhwerk nichts zu kaufen. Ich weiß noch, dass ich im Winter 1947/48 Filzstiefel mit Holzsohlen trug. Weiterhin bekam ich aus einer CARE-Paketsendung von der Kirche eine warme dreiviertel lange Hose, natürlich second hand, die irgend so ein „Cowboy“ in den USA getragen haben mochte. Egal, wie auch immer, ich hatte warme Füße und Beine. Denn frierend durch die Straßen zu laufen war unangenehm. Natürlich regnete es mehr als es schneite in unseren norddeutschen Wintern. Und das war auch schon unangenehm genug, vor allen Dingen, wenn die Filzstiefel in Winter langsam aufweichten und immer schwerer wurden. Und so hielten diese Filzstiefel meistens nur knapp zwei, drei Monate.

      Am 26. März 1950 wurde ich zusammen mit 30 gleichaltrigen Jugendlichen konfirmiert. Obwohl wir schon die Bundesrepublik Deutschland hatten, war es für uns eine verdammt armselige Feierlichkeit. Eine Tante mütterlicherseits hatte mir einen Anzug aus Leipzig (damals noch DDR) geschenkt. Der Anzugstoff war so bescheiden, dass man die „Bügelfalte“ der Hose aufgenäht hatte. Ich war fast der kleinste Hungerhaken dieser Gruppe. Unsere Feier daheim war auch entsprechend bescheiden ausgerichtet.

      Die Zeichnung stellt die St.Petri-Kirche dar, sie war die ehemalige Garnisonkirche des in Cuxhaven stationierten kaiserlichen III Seebataillons und der Ausbildungs-Küstenartillerie. Als 15jähriger hatte ich die Kirche damals 1950 vom Küchenfenster unserer Wohnung in der Gorch-Fock-Straße 12 skizziert. Sie steht heute noch dort.

      Pastor Arno Pötzsch, der 1950 amtierende Pastor, hatte als junger Matrose in der kaiserlichen Kriegsmarine auf einem der dicken Pötte seinen Wehrdienst abgeleistet und hatte während des 1. Weltkriegs die Skagerrakschlacht miterlebt. Sein Schlachtschiff hatte das Ende der Schlacht zwischen der Royal Navy und der Kaiserlichen Flotte fast heil überstanden. Doch nach Kriegsende war der von diesem Schlachterlebnis gezeichnete junge Mann ein anderer geworden und machte in den 1920er Jahren eine theologische Ausbildung bei den „Herrnhutern“. Nachdem er zum Pastor geweiht war, zog es ihn wieder zur Kriegsmarine, wo er im Dritten Reich als Standort-Marineoberpfarrer anfangs in Cuxhaven an der Garnisonkirche eingesetzt wurde. Während des 2. Weltkriegs war er nach Den Haag als Gefängsnisseelsorger abkommandiert worden, konnte sich aber rechtzeitig vor Kriegsende zurück nach Cuxhaven versetzen lassen. Arnold Pötzsch hat mehrere Kirchenlieder gedichtet, die inzwischen ins Evangelische Kirchengesangbuch aufgenommen wurden.

      Unsere Konfirmationsgruppe am 26.03.1950.

      Links außen in der mittleren Reihe Pastor Arno Pötzsch, rechts außen in der mittleren Reihe stehend: Klaus Perschke, wie man erkennt, konnte ich tatsächlich das „Vater-User“ ohne Gesangbuch durch die Backen blasen.


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