Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
»Ja, Andrew Macleod, so heißt er. Das ist derselbe, der hierhergeschickt wurde, um den Einbrecher zu verhaften. Das hat er auch tatsächlich sehr fein gemacht. Er ist ein ausgezeichneter Beamter. Es ist ungewöhnlich, einen Detektiv zu finden, der zugleich auch Gentleman ist. Würdest du nicht auch gern seine Bekanntschaft machen? Er würde dich sicher interessieren.«
»Nein«, sagte sie so schnell, daß er sie überrascht anschaute. »Ich interessiere mich wirklich nicht für ihn, und außerdem habe ich ihn ja schon gestern auf dem Postamt gesehen – er gefällt mir nicht.«
Mr. Nelson gähnte und schaute auf die Uhr.
»Ich muß jetzt gehen, ich habe Pearson versprochen, zu einer Bridgepartie zu kommen. Würdest du nicht zum Tee nachkommen?«
Sie ärgerte ihn nicht mehr durch unangenehme Fragen nach dem unvollendeten Pygmalion. Vor drei Jahren, als sie aus dem Pensionat gekommen war, wäre sie erstaunt gewesen, daß er seine guten Absichten so schnell vergessen konnte. Sie hätte ihm dann zugeredet, den Nachmittag im Atelier zu bleiben, und er hätte ihr geantwortet, daß er am nächsten Morgen ganz früh aufstehen werde, um einen guten Anfang zu machen. Und wenn sie ihn heute gebeten hätte, zu Hause zu arbeiten, hätte sie wahrscheinlich dieselbe Antwort bekommen. Also ließ sie den Dingen ihren Lauf. Ihr krampfhaftes Bemühen, dem Schicksal zu entkommen, war nutzlos – es ließ sich nicht mehr aufhalten.
Stella hatte an diesem Morgen einen Brief von Artur Wilmot vorgefunden und ihn ungelesen zerrissen und in den Papierkorb geworfen. Der Gedanke an ihn bedrückte sie am wenigsten.
Auch in dem Erscheinen des Detektivs lag etwas Schicksalhaftes. Er mußte ja seine Pflicht tun. Sie war auf das Schlimmste vorbereitet. Auch er würde in all das Unglück verkettet sein, das über sie hereinbrechen mußte.
Am Nachmittag bekam sie über eine Stellenvermittlung zwei ungeschulte Dienstboten. Es waren ungeschliffene Landmädchen, die sie anstarrten und lachten, als sie ihnen zeigte, wie sie alles anfassen mußten. Es wäre vergebene Mühe gewesen, sich nach gelernten Leuten umzusehen, denn die hatten alle von Kenneth Nelson und seinen Verrücktheiten gehört.
Stellas kleine, geheimgehaltene Reservesumme, die immer mehr und mehr zusammenschmolz, ermöglichte es ihr, die Löhne der entlassenen Dienstboten zu zahlen.
Sie hatte eben versucht, der neuen Köchin beizubringen, wie man guten Tee aufgießt, als Mr. Merrivan sich dem Hause näherte. Sie hatte ihn schon durch das Fenster gesehen und öffnete selbst die Haustür.
Sein Besuch war ihr unangenehm, obwohl sie ihn ganz gut leiden konnte. Aber auch er gehörte nun einmal zu den Unvermeidlichkeiten des Schicksals, und dieser Gedanke machte sie ruhiger.
»Ich komme in einer sehr heiklen Angelegenheit, Miss Nelson«, begann er und schüttelte den Kopf, als ob er durchaus schon ausdrücken wollte, daß er sich zur Lösung seiner Aufgabe nicht fähig fühle. »Wirklich, eine sehr heikle Angelegenheit. Ich weiß kaum, wie ich anfangen soll –«
Sie wartete und fürchtete schon, daß er sie an eine frühere Schuld erinnern würde, die sie ihm aber glücklicherweise hatte zurückzahlen können. Sie atmete erleichtert auf, als sich herausstellte, daß er gekommen war, um das brutale Auftreten seines Neffen zu entschuldigen.
»Ich kann nur vermuten, was er zu Ihnen gesagt hat. Gestatten Sie, daß ich Platz nehme?«
Sie schob ihm einen Sessel hin. Er setzte sich langsam und dankte umständlich.
»Er hat Sie so schwer beleidigt, daß Sie ihm eigentlich nicht verzeihen können«, begann er, aber sie unterbrach ihn sofort.
»Wir wollen nicht mehr darüber sprechen, Mr. Merrivan. Artur ist noch sehr jung und weiß nicht, wie man mit Frauen umgeht.«
»Meinen Sie?« fragte er. »Es tut mir leid, daß ich Ihnen darin widersprechen muß. Er weiß genug über Damen, um seine Pflichten Ihnen gegenüber zu kennen.«
»Hat er Ihnen denn alles erzählt?« Sie war erstaunt, daß Merrivan von dem Vorfall unterrichtet war.
»Ja, er hat es mir gebeichtet, und er bat mich, meinen Einfluß bei Ihnen geltend zu machen.« Er räusperte sich. »Ich habe ihm aber geantwortet«, sagte er dann langsam und nachdrücklich, »daß er sich keine Hoffnungen zu machen brauchte. Ich würde den Heiratsantrag eines andern nicht unterstützen.«
Es trat eine Pause ein, und sie dachte über seine Worte nach.
»Eines anderen?« wiederholte sie dann. »Sie wollen doch nicht etwa sagen, ach nein – das können Sie doch nicht meinen –«
»Doch, ich meine mich selbst«, entgegnete Mr. Merrivan ruhig. »Aber der Altersunterschied zwischen uns ist vielleicht ein unüberwindliches Hindernis für unser Glück, Miss Nelson.«
»Nein, Ihr Alter hat damit nichts zu tun, Mr. Merrivan«, erwiderte sie hastig. »Ich werde überhaupt nicht heiraten. Aber das ist doch nicht Ihr Ernst? Sie wollen mich ja gar nicht heiraten.«
»Ich meine es wirklich im Ernst«, erklärte Darius Merrivan feierlich. »Ich habe diesen Schritt lange bedacht, Miss Nelson. Und mit jedem Tag wurde es mir klarer, daß Sie die einzige Frau auf der Welt sind, mit der ich glücklich werden könnte.«
Stella lachte: »Ich hätte es mir nie auch nur im Traum einfallen lassen, daß Sie – es ist mir natürlich eine große Ehre, Mr. Merrivan. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich das zu schätzen weiß – Sie waren immer so gut zu mir.«
Er hob abwehrend die Hand. »Wir wollen nicht davon sprechen. Ich kann Ihnen –«
»Moment!« unterbrach sie ihn schnell. »Ich werde unter keinen Umständen heiraten, das ist die reine Wahrheit. Ich bin noch sehr jung und habe keine bestimmten Vorstellungen von der Ehe. Ich habe weder gegen Sie etwas, Mr. Merrivan, noch gegen Artur. Der einzige Grund meiner Ablehnung ist mein Entschluß, wenigstens jetzt noch nicht zu heiraten.«
Er nahm ihre Antwort so ruhig auf, als ob er keinen anderen Bescheid erwartet hätte, und war nicht im geringsten gekränkt.
»Es hat ja noch Zeit. Ich kann auch nicht erwarten, daß Sie sich auf der Stelle entscheiden – aber ich werde die Hoffnung nicht aufgeben.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich glaube, es ist besser, Sie hoffen nicht mehr. Ich habe Sie gern, und Sie sind mir immer sehr freundlich entgegengekommen, aber ich will sie ebensowenig heiraten wie Ihren Neffen. Es ist eine ganz unwiderrufliche Antwort.«
Er machte keine Anstalten, sich zu erheben. Er saß ruhig da, strich seine dicken Backen und schaute an ihr vorbei.
»Sind Ihre Verhältnisse jetzt besser und geregelter, Miss Nelson?«
»Ja, es geht uns jetzt sehr gut«, erwiderte sie strahlend.
»Haben Sie gar keine Sorgen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich möchte noch etwas mit Ihnen besprechen – ich bin ein reicher Mann und ohne Verwandte. Wenn Ihnen zweitausend Pfund über diese schlechten Zeiten hinweghelfen können, so brauchen Sie es mir nur zu sagen:«
»Nein, Mr. Merrivan. Es ist sehr großzügig und liebenswürdig von Ihnen. Ich habe ein einziges Mal Ihre Güte in Anspruch genommen, und es war eine böse Erfahrung für mich. Sie waren sehr entgegenkommend, aber ich kann von Ihnen nichts mehr annehmen.«
Er erhob sich, wischte ein Stäubchen von seinem Ärmel und nahm seinen Hut.
»Artur weiß es«, sagte er. »Ich habe es ihm gesagt.«
»Was haben Sie ihm gesagt?« fragte sie verwirrt.
»Daß ich die Absicht hatte, Sie um Ihre Hand zu bitten. Er war sehr heftig, Miss Nelson, und er drohte – ich glaube, er drohte, mich umzubringen.« An der Tür wandte er sich noch einmal um. »Hat er Ihnen übrigens etwas davon gesagt, daß er Ihr Geheimnis kennt?«
»Hat er Ihnen auch das gesagt?«
»Nein,