Propellerheim. Thomas NollЧитать онлайн книгу.
ab und schaue über den handtuchgroßen Balkon ins Freie. Es ist schönes, helles Wetter. Im Hintergrund sind afrikanisch anmutende Bäume, welche leider nicht den Blick auf ein Kohlekraftwerk verstellen. Ich werde wieder nachdenklich… wieso bin ich erneut in einer Klinik?
Klar, es gab leicht problematische Arbeitsverhältnisse.
„Deutschland geht es gut!“ ist das geflügelte Wort. Das heißt, dass unser Gott, die Industrie, gute Zahlen schreibt. Und das muss wiederum heißen, dass es den Menschen in Deutschland gut geht. So jedenfalls das Kurzsicht-Denken der Politiker. Eigentlich heißt es aber, aus unserer Religionssprache BWLisch übersetzt: möglichst wenige Menschen (als größter Kostenfaktor) arbeiten mit möglichst wenigen Mitteln möglichst viel zur Gewinnmaximierung. Wer das nicht (mehr) kann, steht in unserer Gesellschaft dumm da. Ich glaube, jeder Leser mag dies in seiner jetzigen Situation nachvollziehen können – sei er Arbeiter oder Angestellter im sich immer schneller drehenden Hamsterrad, oder sei er Selbständiger, den die Nebenkosten auffressen. Oder sei er gar Kind, Jugendlicher, Student, Hausfrau/Hausmann, Rentner oder Kranker, für die kein Geld da und für die kein Einsparziel zu hoch ist, weil diese Randgruppen (Kinder, Alte und Kranke) bwl-technisch nicht direkt profitabel sind.
Wir haben einen Wertewandel durchgemacht, der als Lebenssinn alleinig die Arbeit sieht – die jedoch strukturell am Menschen gar nicht interessiert ist, höchstens an seiner Wertschöpfung – und die ist austauschbar. Was viele gerade zu spüren bekommen.
Wirtschaftswachstum um jeden Preis. Und diesen Preis zahlen wir gerade durch das erdrutschartige Ansteigen psychischer Erkrankungen.
Es gab Zeiten, da war die Kirche der gesellschaftliche Mittelpunkt, später dann war es das Militär. Jeder musste dort Karriere machen, von Kindesbeinen an wurde dies angestrebt. Familien wurden hoch angesehen, deren Sprösslinge Karriere bei Kirche oder Militär gemacht haben! Die Geschichte hat beiden Institutionen ihren Platz zugewiesen, ihre Hohepriester und Generäle werden nicht mehr in goldenen Karossen durch die Straßen am jubelnden Volk vorbei chauffiert, und sind nicht mehr bei jedem Staatsakt zugegen – wobei Klerus und Militär mit der politischen Herrschaft verschmolzen waren.
Woher kennen wir das? Ein Schelm, wer hier Parallelen zwischen Politik und Wirtschaft sieht…
Man darf sich fragen, wann großflächig die große Kunde von Butan bis nach Deutschland dringt, dass gute Wirtschaftszahlen nicht automatisch unbedingt bedeuten, dass es „Deutschland [und seinen Einwohnern!] gut geht.“
Und, liebe Wirtschaftsfreunde:
Genauso wenig wie der Glaube durch die Säkularisierung abgeschafft wurde, oder das Militär durch die Auflösung Preußens, genauso wenig soll „die Wirtschaft“ aufhören zu produzieren.
Es muss nur ihr Stellenwert erheblich zurechtgerückt werden, die Wirtschaft hat nicht ihrer selbst zu dienen, sie ist nicht um ihrer selbst willen da (analog dem früheren Klerus und dem Militär), sondern sie muss für uns, für die Allgemeinheit da und dienbar sein – mit allem Machtverlust, der damit verbunden ist!
Ich bin mir ziemlich sicher, in wenigen Jahren wird man das affige Getue um Industrie und Wirtschaft in ihren wichtigen business-Anzügen für genauso lächerlich halten wie heute den Hofstaat aus ergebenen Generälen um unseren letzten Kaiser. Realitäten werden das Theaterspielen überholen, wie das bei jeder Gesellschaftsänderung der Fall war.
Dies als kleine Hintergrund-Exkursion – gesellschafts-philosophische Themen sollen nicht Hauptthema sein – jedenfalls nicht dieses Buches!
Ich war Banker bei einer filiallosen internet-Bank. In deren CallCenter. Zum Teil auch noch mit Personalverantwortung. Zumindest in Vertretung, mein Aufgabengebiet waren die Prozessoptimierung und die Qualitätssicherung. Das heißt: mit den vorhanden (billigsten) Mitteln das Maximum für die Versorgung des Kunden herausholen. Und damit dies nicht so langweilig wurde, musste alles, was endlich funktionierte, sofort von einem neuen Manager komplett umgeworfen und neu aufgezogen werden; damit der Neu-Manager seinem Chef wiederum zeigen konnte, was für ein toller Hecht er ist! Das hieß für uns an der Front: Wieder in monatelanger Arbeit alles behelfsmäßig-eingeschränkt gangbar machen; und sobald es funktionierte, kam ein neuer Manager – er kam, sah, reorganisierte, und das Ganze begann von vorn. Keiner der Manager hatte Ahnung von unseren technischen Systemen und somit Möglichkeiten, die Anforderungen waren mit den gegebenen Mitteln gar nicht umzusetzen. Es war eine Flickschusterei während meiner gesamten Dienstzeit, dass es einer Sau gegraust hätte. Selbst direkt darauf angesprochen (wenn man einem solchen Menschen überhaupt einmal körperlich gegenüber sitzt, was sehr selten vorkam) und mit mathematisch-technischer Beweisführung, dass Wasser nicht den Berg hochfließt, kamen nur Worthülsen wie „Das sind doch nur Stellschrauben! Und mit Ihrer Erfahrung, Herr Noll, schaffen Sie das schon!“ Mehr wollte Mister BWL nicht von der Realität wissen und ging dem Gespräch aus dem Weg. Unterstützung von direkten Vorgesetzten gab es auch nicht, denn die konnten ja beim Strammstehen nicht reden… Schließlich sorgte ja Mister BWL eventuell für deren weitere Beförderung. Nur wenige fragten etwas nach. Die sind aber heute nicht mehr auf ihren Plätzen…
Vom Grundgerüst her hieß der Job auch: Druck vom Konzern, Druck vom Standort, Druck vom Kunden, Druck von den anderen Abteilungen, innerer Druck als Perfektionist, weil alles nur noch provisorisch läuft – das bringt Kompression in den Kessel!
Bis der Deckel aus dem Gewinde fliegt. Ein paar Jahre hielt ich dem 5-Fronten-Krieg stand. Robotete. Kaum Ausfalltage. Bei Erkältungen gab´s Tabletten oder Tag-Durchsteh-Saft, mit „Hallo-Wach“ wurden die Müdigkeitserscheinungen von dem Saft bekämpft. Von den vielen Medikamenten gab´s Magenprobleme – da gab´s so Tütchen mit milchiger Emulsion für.
Ging aber alles noch… es lief ja gerade das wichtige Projekt, da konnte ich nicht krank machen. Später vielleicht. Irgendwann. Jetzt heißt es „Gas, Gas, Gas!“ Der Lieblingsspruch unseres Geschäftsführers. Kleine Hinweise des Körpers ignorierte ich. Gegen den Reizdarm, der mir wohl ein paar Pausen zwischendrin gönnen wollte (im Nachhinein betrachtet), schluckte ich starke Durchfall-Kapseln wie Smarties, um einsatzbereit zu bleiben.
Aber meine Zeit als Banker ist eine andere Geschichte…
Das Ergebnis war:
Erste Reha 2007. 1 Jahr Krankenschein. Reha-Ziel: „Bitte wieder einsatzfähig machen!“
Das wurde geschafft. Arbeitsfähig entlassen. So wollte ich es. Was sonst? Mit 39? Hielt ja auch drei Jahre…
Zweite Reha 2010, 1 Jahr Krankenschein. Reha-Ziel ist die Beantwortung der Frage, ob es nochmal in den alten Beruf zurückgeht oder nicht. Mit Hilfe der Psychologen kam „man“ zu dem Entschluss „Ja, zurück!“ Hielt ja auch ein paar Wochen…
Ende 2011 war alles vorbei mit dem Banking…
Freiwillige Aufgabe, totaler Ausstieg. Eintritt in ein Yoga- und Meditationskloster. Lebensverändernd. Aber das ist auch eine andere Geschichte…
Leider habe ich dort – vom Umfeld mal abgesehen – dasselbe gemacht wie vorher: die Bankgeschäfte des Ashrams, die Buchführung, Papier, kaufmännisches Arbeiten. Keine gute Idee!
Ende 2012 auch dort Zusammenbruch. Nachdem ich die Schublade mit den Rückständen meines Vorgängers öffnete…
Inzwischen waren alle Krankentage und natürlich auch Lohnfortzahlungen aufgebraucht, und der nächste Schritt ist ein Antrag auf Erwerbsunfähigkeits-Rente. Die Rentenversicherung möchte dies abwiegeln und probiert es mit einer erneuten Reha, die zum Ziel hat herauszufinden, wie arbeitsfähig ich noch bin.
Das ist für mich prinzipiell einsehbar und ich bin einverstanden, auch in mir glüht ein Hoffnungsschimmer, dass mich eine Reha wieder auf die Beine bringt um wieder ´normal´ arbeiten zu können.
So ist das gekommen, dass ich jetzt hier stehe und der Dinge harre, die da kommen mögen.
Ich beginne auszupacken. Die Elektronik natürlich zuerst.
Bin ich eigentlich ein Nerd?
Gut, wenn ich nach dem Wetter