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Seemannsschicksale aus Emden und Ostfriesland – erlebte Geschichten rund um die Seefahrt. Jürgen RuszkowskiЧитать онлайн книгу.

Seemannsschicksale aus Emden und Ostfriesland – erlebte Geschichten rund um die Seefahrt - Jürgen Ruszkowski


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      Die Menü-Karten waren in Englisch abgefasst und eindrucksvoll mit vielen französischen Ausdrücken gespickt, die Übersetzung kostete einiges an Gehirnschmalz. So ganz genau bekomme ich das Festmahl nicht mehr zusammen, dafür ist die Geschichte zu lange her, meiner Erinnerung nach lief es aber in etwa wie folgt ab:

      1.) Vorspeisen - Shrimp-Cocktail - diversen gekochten Ei-Hälften mit Sardellen, Oliven etc. - frische Brötchen und Toast - diverse Salate - Leber-Pastete;

      2.) Klare Fleischbrühe mit „Bällchen-Einlage“;

      3.) Hauptgang – „Steak-Surprise“ – Folien-Kartoffel mit Sauer-Rahm – gemischtes Gemüse; wahlweise Schollen-Filet – gebratene Kroketten - Reis – gemischter Salat – dazu natürlich etliche Saucen von „höllisch-scharf“ bis mild; Wein / Getränke nach Wahl;

      4.) Dessert – Vanille-Eis mit heißen Himbeeren bzw. Sahne-Pudding mit Schoko-Soße;

      5.) „Absacker“ Mocca/Kaffee - Kekse - Cognac.

      Als für den Proviant verantwortlicher „Speckschneider“ hatte ich natürlich bei dieser Fress-Arie (an welcher persönlich teilzunehmen ich leider wegen fehlender Goldstreifen „nicht die Ehre“ hatte) einiges in der Kombüse als „Vorkoster“ zu tun. Dort gab's viel Spaß, mir läuft beim Erzählen noch das Wasser im Mund zusammen.

      Nun, es war Sonnabend irgendwo im Süd-Pazifik und der große Abend für Andy war endlich angebrochen. Spätnachmittags zeigte mir Andy noch den „aufgebackten“ (d. h. eingedeckten) Salon. Es war ein überwältigender Anblick: Auf den drei großen im Karree angeordneten Esstischen lagen schwere weiße Damast-Decken, die Anrichte bog sich fast unter dem feinen Geschirr, um die einzelnen Gedecke waren reichlich Silber-Bestecke aller Art angeordnet, Kerzen und polierte Gläser aller Sorten gaben ein festliches Aussehen. Unser Chief-Steward konnte ehrlich stolz auf sein Werk sein!

      Um 19:00 Uhr war dann der Beginn der Party!

      Da ich ja selber nicht an diesem ereignisreichen Essen teilnahm, kann ich den Verlauf dieses Abends nur vom „Hörensagen“ schildern. Andy hat mir seinen „Rache-Feldzug“ gegen Chief-Mate Scholz natürlich anschließend brühwarm erzählt; aber außerdem haben mir der Kapitän und der 1. Ingenieur im nachhinein ebenfalls bestätigt, dass der Abend so abgelaufen wäre und sie beide selten im Leben so einen Spaß gehabt hätten. Schadenfreude spielte dabei sicher die größte Rolle!

      Es ging also los. Andy war ganz in weiß gekleidet, ein Messe-Steward aus der Offz.-Messe (auch gelernter Kellner) assistierte beim Service. Die „Drei Eisheiligen“ begaben sich in den Salon, natürlich in „schlicht goldener Uniform mit blauen Streifen“; die lieben Passagiere in ihrem besten „Zwirn“ wurden von Andy mit launiger bayrisch-englischer Konversation auf ihre Plätze bugsiert; das „große Fressen“ konnte beginnen!

      Andy schenkte erstmal diverse Weine ein, dann servierte er gekonnt die erste Vorspeise (Shrimp-Cocktail) und wünschte „guten Appetit“ in Deutsch, Englisch und Französisch.

      Er sprach leise und sehr höflich mit allen anwesenden Gästen, in dieser Form sprach er dann auch seinen „Intimfeind“ an. „Herr Scholz, ich sehe schon, Sie kommen mit dem Besteck für das „Hors d'oeuvre“ nicht so ganz klar, aber das ist doch wirklich kein Problem, die Bestecke sind so angeordnet, dass man fast nichts falsch machen kann..., na ja, woher sollen Sie es auch wissen, Moment, ich zeige Ihnen, wie es geht!“ Alles grinste verschämt, der „Erste“ versuchte, Andys Belehrungen mit einem gequälten Scherz zu übertünchen, aber er hatte bereits rote Ohren!

      Es ging weiter. Bei der Suppe teilte Andy unserem Chief-Mate leise (aber immer höflich) mit, dass er doch den richtigen, dafür vorgesehenen Löffel nehmen solle. Alle Anwesenden machten natürlich Fehler bei der Besteckwahl, aber das wurde von Andy souverän übersehen.

      Andy machte ganz gekonnt den Chief-Mate zum Tollpatsch! Der arme Herr Scholz hatte inzwischen die Farbe einer überreifen Tomate angenommen, aber wegen der illustren Gesellschaft konnte er nicht so reagieren, wie er es seinem Naturell nach eigentlich wollte.

      Es lag wohl auch ein bisschen daran, dass Scholz beim Alten und Chief nicht so ganz gute Karten hatte, dass Andy ihn so niedermachen konnte; die Geschichte setzte sich wenigstens den ganzen Abend in dieser Weise fort! Bei jedem folgenden Gang bekam der gute Scholz sein Fett weg, es waren gekonnt platzierte Kleinigkeiten, die sich im Laufe des Abends aber summierten.

      Der Kapitän und der Ltd. Ing. amüsierten sich königlich; die Passagiere bekamen die ganze „Chose“ wohl gar nicht richtig mit, hatten aber auch ihren Spaß! Sie kamen sich inzwischen garantiert wie in einem europäischen Fünf-Sterne-Restaurant vor; Andy hatte für jeden einen kleinen Scherz parat und gab allen (außer natürlich Herrn Scholz) das Gefühl, an diesem Abend ein kleiner König zu sein. Sein Messe-Steward flitzte auf Andys kleinstes Wimpernzucken und legte nach, bzw. servierte neue Drinks usw.

      Es war schon eine first-class professionelle Angelegenheit; nur unser „Chief-Mate“ war im falschen Lokal und beim letzten Cognac / Mocca total am Boden zerstört. Auf diesen Augenblick hin hatte Andy seine ganze Energie verwendet!

      Als der Kapitän den gelungenen Abend für beendet erklärte, sich noch mal bei den Passagieren bedankte und jedem freistellte, noch ein - zwei Nightcups (Drinks) auf Kosten der Reederei zu nehmen, fragte Andy unseren Chief-Mate mit unschuldigem Augenaufschlag noch, ob seine „Ausbildung als Kiezkellner in der Fischbratküche“ denn wohl gut genug für ihn gewesen sei!

      Er bekam keine Antwort; ich weiß nur, dass Herr Scholz sich niemals wieder mit Andy in irgendeiner Art und Weise angelegt hat. Dieser Abend war gelungen, unser Chief-Mate hatte seine Lektion gelernt! Die ganze Art und Weise dieses Rache-Feldzuges unseres Chief-Stewards hat mich persönlich unwahrscheinlich beeindruckt; das hatte echt Stil!

      Mit Andy bin ich seinerzeit mehr als ein Jahr auf der CAP ROCA gefahren; wir hatten noch viele gemeinsame unvergessliche Erlebnisse, von denen eventuell noch an anderer Stelle zu berichten sein wird. Er fuhr dann nicht mehr lange zur See, sondern fing in seinem alten Beruf in dem Top-Hotel Münchens wieder an. Ab und zu telefonieren wir mal und lachen über die alten Zeiten. Seit über 20 Jahren ist Andy dort der „Maitre d'Hotel“, vielleicht treffen wir uns ja mal im Rentenalter.

      DieEloge

      Beim „Durchflöhen“ meiner alten Unterlagen aus der Seefahrtszeit (Briefe / Mama-Letters etc) fiel mir ein zu Ehren meines damaligen 33. Geburtstags verfasstes Gedicht in die Hände, welches ich meiner geneigten Leserschaft wirklich nicht vorenthalten will. Es dokumentiert auch ein wenig den kameradschaftlichen Crew-Geist, der auf deutschen Schiffen mit kompletter nach deutschem Heuertarif bezahlter Besatzung (teilweise noch) herrschte. Es war 1976 auf dem Mehrzweck-Frachter MS LLOYD ESTOCOLMO der Hamburger Reederei B. Richters. Das Schiff war mit ca. 8.400 BRT vermessen, hatte ca. 25 Mann Besatzung und war in Charter für die brasilianische Großreederei „Lloyd Brasileiro“ in der Linienfahrt US-Ostküste / Brasilien eingesetzt.

      An diesem 28. August 1976 waren wir spätnachmittags auf Reede Santos eingetroffen und ankerten dort; Einlaufen war erst zum nächsten Mittag vorgesehen. Für meine Geburtstagsfeier in der Offz.-Messe war das natürlich ideal, „Ankerball“ war angesagt!

      Vom Elektriker bekam ich eine riesengroße, selbst gebastelte vorsintflutliche Morsetaste geschenkt; es gab noch weitere kleine Überraschungen und unser 1. Offizier, Klaus von Müller (übrigens ein Bremer, den ich hiermit herzlich grüße), trug dann zu Beginn der Party das folgende von ihm selbst verbrochene Pamphlet vor:

      MS „LLOYD ESTOCOLMO“ Auf See, den 28.08.1976

       Eloge auf die Festsau des Tages

      Wer ist's wohl, der als flotter Greis – sich hier bläht in unsrem Kreis?

      Schon öfter hörte man ihn klagen, – er habe schwer am Amt zu tragen,

      ob auf See oder im Hafen, – er schuftet, wenn die andern schlafen:

      Über


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