Unmögliche Aufträge: Zwei Thriller. Alfred BekkerЧитать онлайн книгу.
ihnen befreundet gewesen. Hans Jung war nach dem Krieg bis zu seiner Pensionierung Verwaltungsdirektor der Stadtwerke gewesen. Schaake erinnerte sich an einen stockkonservativen Mann mit pastoralem Gehabe.
»Sie waren in Köln«, fuhr seine Mutter fort. »Die Jungs sind ja so katholisch, weißt du noch? Da wollten sie doch im Jahr des Dom-Jubiläums unbedingt nach Köln. Na ja, sie haben in einem Hotel übernachtet, und ich bin nach Köln gefahren und habe sie getroffen.«
Schaake lächelte und hörte zu. Seine Mutter wechselte jedoch bald das Thema.
»Von deinen alten Freunden und Klassenkameraden hörst du auch nichts mehr, nein? Auch nicht von Wolfgang?«
Wolfgang... Er konnte sich kaum noch an den Nachnamen erinnern. Fiebig, richtig
»Wolfgang lebt in Berlin, glaube ich. Er hat dort studiert und ist dort geblieben.«
»Rainer hat es von euch allen am weitesten gebracht, glaube ich.«
Schaake lächelte milde. Rainer hatte Jura studiert. Auch von ihm hatte er lange nichts mehr gehört.
»Er ist Bürgermeister in Petersdorf, wusstest du das?«
Schaake schüttelte den Kopf. »Nein, das wusste ich nicht.«
»Wer hätte das gedacht! Sein Vater war doch Straßenbahnfahrer.«
»Er war Fahrdienstleiter«, sagte Schaake mechanisch.
»Na, und der Jochen, der ist ja in die Zone gegangen. Komisch eigentlich. Ich hab das nie verstanden. Geschrieben hat er auch nie mehr. Ich weiß nicht, ich hätte etwas mehr Dankbarkeit erwartet. – Wie lange hat er bei uns gewohnt? Ein halbes Jahr?«
»Mutter! Sechs oder sieben Wochen!«
»Na ja, immerhin. Er hatte ja sonst niemanden.«
»Schade, dass all die alten Fotos weggekommen sind«, sagte er.
»Ach Volker, fang doch nicht wieder damit an! Ich weiß ja auch nicht, wie das passieren konnte. Dein ganzer Fotokoffer... Na, immerhin hab ich ja noch den Karton mit den alten Bildern, die Vater aufgehoben hatte.«
Schaake bemühte sich, nichts von seiner Erregung zu zeigen. Er hatte ja gehofft, dass seine Mutter irgendwo die Bilder verwahrte, an denen ihr etwas lag, und dass einige von ihm und seinen Freunden dabei wären. Er hatte damals ihren Hund, das Haus, seinen Vater, seine Mutter, fotografiert.
»Zeig doch mal«, sagte er.
Sie stand auf, schaltete das Licht über dem Bücherschrank, der für das kleine Zimmer viel zu wuchtig war, an und zog eine der unteren Schubladen heraus. Sie ächzte, als sie den überquellenden Karton unter anderen Papieren hervorzog. Glücklich lächelnd stellte sie ihn auf den Tisch, und sie begann, die gebündelten Fotos herauszunehmen.
Da war das große Bild von seinem Vater vor dem neuen Mercedes 180. Das hatte er 1958 gemacht, als er in den Semesterferien zu Hause gewesen war.
»Hier, weißt du noch, als Vater mir den Pelzmantel gekauft hatte?« Sie legte das Foto vor ihn hin.
Er hörte nicht auf das freudig-erregte Geplapper seiner Mutter, während er Packen um Packen hervorzog und rasch durchblätterte. Da waren Bilder von seiner Hochzeit, dann von den Kindern. Dann waren da wieder ältere aus der Kriegszeit, seine Mutter sehr jung, sehr schlank und sehr schön, und Bilder stiegen in seiner Erinnerung auf; Bilder, wie er, an der Hand seiner Mutter, durch die Straßen ging und Soldaten hinter ihr her pfiffen. Das musste schon nach dem Krieg gewesen sein, überlegte er. Er konnte sich an englische Soldaten erinnern. Bei Kriegsende war er sieben Jahre alt gewesen. Irgendwann in der Zeit hatte die Freundschaft mit Jochen begonnen.
»Hier, das ist das Bild von deiner Abiturfeier!«, sagte seine Mutter.
Sein Herz begann heftiger zu schlagen, als er ihr sanft den Packen Fotos entwand und das Band, mit dem er zusammengehalten wurde, löste. Obenauf lag das Foto, das damals von ihnen allen gemacht worden war. Sie waren 27 gewesen. 26 Gesichter sahen in die Kamera. Jochen war da schon abgereist.
Er sah in die blass wirkenden, seltsam konturlosen Gesichter, und er hatte Mühe, sein eigenes zu erkennen. Er stand ziemlich in der Mitte hinten, weil er zu den Größten gehörte. Er legte das Bild zur Seite.
Die nächsten Bilder stammten aus seiner Dunkelkammer. Er erkannte seine Handschrift sofort wieder. Bei Personenaufnahmen war er immer sehr nah herangegangen, und meistens hatte er beim Vergrößern noch einmal einen Ausschnitt gemacht.
Dann hielt er ein Bild in der Hand, auf dem Rainer und Jutta zusammen waren. Er lächelte.
»Hast du noch mal was von Jutta gehört?«, fragte er.
Sie hatten alle geglaubt, dass Jutta und Rainer heiraten würden, nachdem Jochen zu seinem Onkel gezogen war. Aber bestimmt hätte auch Rainer damals – noch – nicht den hohen Ansprüchen von Juttas Eltern genügt. Schaake wusste, dass Jutta schon 1958 geheiratet hatte. Den Sohn der Wall-Apotheke, wenn er sich recht erinnerte, einen Mann, der zehn Jahre älter war als sie. Rainer hatte damals gerade erst sein Studium begonnen. Rainer vermutete, dass sie in die Ehe geflohen war, um von zu Hause wegzukommen. Er erinnerte sich an einen Brief, den sie ihm geschrieben hatte, nachdem sein Vater gestorben war. Gesehen hatte er sie nicht mehr.
Er sah seine Mutter an. Ihm war aufgefallen, dass sie seine Frage noch nicht beantwortet hatte. Ihr Gesichtsausdruck machte ihn betroffen.
»Was ist?«, fragte er.
»Frau Jung hat es mir erzählt. Die Jutta soll Selbstmord begangen haben.«
Er spürte einen scharfen Stich in der Herzgegend. Die Umgebung verschwamm für Augenblicke vor seinen Augen. Wie durch eine Watteschicht drang die Stimme seiner Mutter an sein Ohr.
»Es ist nur ein Gerücht... Ich wollte es dir nicht sagen...«
»Wann war das?«, fragte er. Seine Stimme klang dumpf. Er sah in Juttas Gesicht, das ihm von einem Foto her entgegen lachte. Rasch legte er es weg.
»Es ist nicht lange her. Im Juni, oder Anfang Juli. Sie hatte zwei Mädchen, reizende Kinder...« Die Stimmer seiner Mutter verlor sich. Schaake wusste, dass auch seine Mutter Jutta gemocht hatte.
Er legte ein paar Bilder ab, die keine Erinnerungen weckten, bis er auf eins stieß, dass ihn, Jutta und Rainer auf Fahrrädern zeigt. Sie alle lachten in die Kamera.
Dieses Bild hatte Jochen aufgenommen. Schaake konnte sich an die Tour noch genau erinnern, Herbst 56. In den Ferien waren sie zu den Externsteinen gefahren. Juttas Eltern besaßen dort ein Jagdhaus. Ihre Eltern verbrachten einen großen Teil des Jahres dort, nachdem sie die Molkerei verkauft hatten. Jutta hatte im Jagdhaus bei ihren Eltern übernachtet, während Schaake, Jochen und Rainer in der nahen Jugendherberge schliefen. Die Tage hatten sie gemeinsam verbracht.
Und dann fand er die Bilder mit Jochen. Jochen saß auf einem Felsvorsprung, nachdenklich in die Weite schauend. Sein gewelltes blondes Haar hatte der Wind zerzaust. Man konnte das vorspringende Kinn erkennen, und die Kerbe darin, die hohe Stirn und die breiten Wangenknochen. Schaake wunderte sich jetzt, wie ausdrucksvoll Jochens Gesicht damals schon gewesen war, als sie alle noch Kinder waren.
Er suchte alle Bilder zusammen, auf denen Jochen zu sehen war. Alle waren gut, scharf und groß. Seine Mutter sollte nicht merken, dass es ihm nur um Jochen ging. Deshalb packte er noch einige andere Fotos dazu, auf denen er, sein Vater und andere Klassenkameraden abgebildet waren. Dann fragte er seine Mutter, ob er die Bilder haben könne.
»Ich möchte mir noch einmal ein Album anlegen, weißt du?«
»Aber natürlich! Nimm sie mit, Volker! Schick mir dafür noch mal ein paar Fotos von den Kindern.«
Er versprach es.
VI
Die Glastür war bereits abgeschlossen, und der Portier schreckte aus seinem Sessel, als Schaake an der Tür rüttelte. Eilig kam der Portier auf die Tür zu und schloss auf. Es war ein anderer