Unmögliche Aufträge: Zwei Thriller. Alfred BekkerЧитать онлайн книгу.
können, dass seine Mutter eine Schwester jenes Dr. Reinhold Güttner war. Da war es sicherer, ihn auf andere Weise in die Bundesrepublik zurückzuschleusen. Ich will Ihnen kurz beschreiben, wie so etwas vor sich geht, und wie eine einwandfreie Legende zustande kommt. Es ist ein langwieriges Verfahren.
Da beschließt irgend jemand, der Bundesrepublik den Rücken zu kehren, aus welchen Gründen auch immer, und sein Glück im Arbeiter-und-Bauern-Staat zu suchen. Er streckt vorsichtig seine Fühler aus, und dann läuft drüben etwas ab. Man bittet den Mann, zu warten und nicht über seine Pläne zu reden. Man checkt seinen Lebenslauf ab, überprüft ihn auf heikle Stellen, wie Vorstrafen oder politische Auffälligkeiten, und wenn sich nichts ergibt, was nicht mit Geld auszubügeln wäre, lässt man ihn seinen Arbeitsplatz und die Wohnung kündigen und in eine andere Stadt ziehen. Dann holt man ihn in die DDR, und in seine bundesrepublikanische Vita schlüpft ein anderer. Der neue Mann, ein Agent, meistens ein Resident, der für langfristige Führungsaufgaben vorbereitet wurde, übernimmt die frei gewordene Existenz. Er sucht einen Job, eine Wohnung, eröffnet ein Konto. Dann wartet er, ob der Übergang glatt verlaufen ist. In Gabriels Fall war er zweifellos glatt verlaufen. Wir haben alles versucht, um ihn zu identifizieren. Wir sehen jetzt nur noch eine Möglichkeit.«
Schaake sah Mehrländer angewidert an. »Sie glauben doch nicht, dass ich...«
Mehrländer hob eine Hand. Es war eine gebieterische Geste. »Sagen Sie jetzt nichts, was Sie später zurücknehmen müssen, Herr Schaake. Heller-Gabriel gefährdet die Sicherheit der Bundesrepublik, und wir müssen ihn haben, verstehen Sie?«
Mehrländer und Urbach wechselten schnelle Blicke. Bestimmt hatten sie sich für den Fall eines Protestes eine schöne Rede zurechtgelegt, doch jetzt zögerten sie beide. Urbach, weil er nicht kompetent war, und Mehrländer, weil er ihn, Schaake, noch nicht gut genug kannte, um beurteilen zu können, wie hart er vorgehen konnte, ohne die Schraube zu überdrehen.
»Ich will nicht mit Drohungen kommen, Herr Schaake, aber ich denke, wir können offen miteinander reden.« Mehrländer lächelte angestrengt. »Sehen Sie, den Schaden, den Heller bereits angerichtet hat, können Sie gar nicht ermessen. Wir müssen ihn haben. Bedingungslos. - Es gibt bei uns Leute, die nicht davor zurückschrecken würden, Druck auf Sie auszuüben. Diesem Druck würden Sie nicht standhalten können, glauben Sie mir das. In Ihrer Branche könnten Sie dann in einer Ihnen angemessenen Position nicht mehr arbeiten. – Ich gehöre nicht zu diesen radikalen Leuten. Ich appelliere lediglich an Ihren Staatsbürgersinn. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.«
Schaake spürte sein Herz klopfen. Der Mann, der vor ihm saß, die Beine mit den dicken Schenkeln ein wenig gespreizt, Zigarrenasche auf dem Jackett und der Hose, log. Die Entscheidung lag nicht bei ihm. Nicht umsonst hatte Mehrländer sich auf Professor Hennings berufen. Schaake wunderte sich über sich selbst. Normalerweise wurde er störrisch, wenn man versuchte, ihn unter Druck zu setzen. Diese Reaktion blieb aus.
Er hätte jetzt gern Zeit gehabt, um einen Whisky zu trinken und zu versuchen, sich Klarheit über seine Gefühle und Gedanken zu verschaffen. Warum, zum Teufel, schmiss er die beiden Schleimer nicht einfach raus? Niemand konnte ihn zwingen, für einen Geheimdienst zu arbeiten. Einen Menschen bespitzeln, jagen, denunzieren. Flüchtig dachte er an Heike, seine Frau. Aber wirklich nur flüchtig. Ihre Beziehung steckte in einer Krise, wie er sich nüchtern eingestand. Er reiste in der Welt umher. Vor zehn Jahren hatte er es getan, weil es ihm Spaß machte, weil er etwas leistete, viel Geld verdiente, und so am schnellsten vorankam.
Er hatte seine Karriere genau vorgeplant. Spätestens mit 38 hatte er einen Managementjob in der Zentrale in Nürnberg haben wollen Man musste unter Vierzig sein, wenn man ins Management einstieg und an die Spitze wollte. Er hatte alle Voraussetzungen mitgebracht. Sein fachlicher Background war unangreifbar, er war flexibel und belastbar, intelligent und verfügte über Integrationskraft. Und er hatte Erfolge vorzuweisen.
Aber als er Vierzig wurde, saß er immer noch in München, war dort zweiter Mann, wo er längst der erste hätte sein können. Die Karriere hatte da längst ihren Reiz verloren Eine Beförderung hatte er abgelehnt, einer anderen war er ausgewichen. Er hatte so manches durchschaut. Er wollte nicht nur noch für die Firma leben, alles dem Job unterordnen. Wessendorf war ein abschreckendes Beispiel. Ob er frühmorgens seine Runde Tennis spielte, mit Geschäftsfreunden essen ging, oder mit einem Professor von der Technischen Hochschule in Urlaub fuhr, alles war für den Job.
Aber wofür er lebte, war ihm auch nicht bewusst. Vielleicht hatte er zu fragen verlernt. Er hatte sich einen Sinn für das Abenteuer, für das Unvorhersehbare bewahrt. Er wollte sich nicht noch weiter einengen lassen. Lieber reiste er weiter in der Weltgeschichte herum, auch wenn die Abenteuer dort ausblieben oder sich auf Kleinigkeiten, die eher Ärgernisse waren, beschränkten. Wenn sein Koffer zum Beispiel in Abidschan landete, statt in Rabat. Oder wenn sich der versprochene Bungalow in Baustellennähe als stickige Baracke mit Ungeziefer entpuppte. Abenteuer sahen anders aus. Er wusste es, und er ahnte, dass es nicht die Abenteuerlust allein war, die ihn so unstet hatte werden lassen. Er hatte schon lange nicht mehr über den Sinn seiner Existenz nachgedacht. Ihm schien, als hätte er nicht nur das Fragen verlernt, sondern auch das Suchen aufgegeben.
Er sollte einen Menschen verraten, der einmal sein Freund gewesen war. Ein ungeheuerliches Ansinnen.
Mehrländer hatte die ganze Zeit weitergesprochen. Kein Wort davon war in Schaakes Bewusstsein gedrungen. Jetzt war Mehrländer fertig, und so sah er auch aus – abgekämpft. Schaake erkannte, dass Mehrländer unter Erfolgszwang stand. Schaake hatte es gelernt, Schwächen anderer augenblicklich zu erkennen, das war eine unabdingbare Voraussetzung für eine leitende Position in einem Großbetrieb. Nur aus Urbach wurde er nicht schlau. Urbach hielt sich zurück. Schaake wusste, dass es Fragen gab, tausend Fragen und Bedingungen, aber er wusste auch, dass er sie nicht alle in Worte fassen konnte. Er würde keine der Antworten nachprüfen können. Er müsste fragen, ob er gegen Gesetze würde verstoßen müssen, ob er Menschen belügen oder betrügen musste.
Schaake erwachte wie aus einem schweren Traum. Er atmete laut. Wohin liefen seine Gedanken? Akzeptierte er einfach, was diese fremden Männer sagten? Jochen sollte ein Spion sein? Ein Mann, der unter einem falschen Namen in Bonn lebte? Lächerlich, einfach lächerlich. Schaake sah die Männer an.
»Quatsch!«, sagte er laut.
Das war Kintopp. Die Kerle wollten etwas ganz anderes von ihm. Wahrscheinlich lief da irgendeine Schweinerei im Konzern, sonst nichts. Abrupt stand er auf.
»Gehen Sie«, sagte er unfreundlich. »Gehen Sie!«
Urbach warf Mehrländer einen triumphierenden Blick zu, der etwa besagte, sehen Sie, ich hab's ja gewusst!
»Was haben Sie denn, Herr Schaake?«, fragte er nachsichtig.
»Ich bin kein Denunziant.«
»Es geht um die Sicherheit der Bundesrepublik«, sagte Mehrländer. »Ein Staat muss sich schützen, das müssen Sie doch einsehen.«
»Herr Schaake sieht das sicher anders«, höhnte Urbach. »Er ist ein Liberaler...«
»Seien Sie still«, befahl Mehrländer scharf. Er ließ Schaake nicht aus den Augen. »Was sind Ihre Bedenken, Herr Schaake?«
»Ich will mit Professor Hennings telefonieren. Dann sehe ich weiter.«
»Gern. Aber was sind Ihre Bedenken? Heller ist ein Spion. Wir müssen ihn identifizieren und dingfest machen. Ihm wird physisch nichts geschehen. Wenn wir können, werden wir ihn vor Gericht bringen. Er wird zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden und sie zu einem Teil verbüßen. Nach einer Schamfrist wird er ausgetauscht oder abgeschoben. Sie lesen doch Zeitungen! Es geht doch nicht um die Person dieses Jochen Heller! Es geht darum, weiteren Schaden zu verhüten. In der DDR wird er einen Orden bekommen und befördert werden. Sein Gehalt – oder Sold – ist seit Jahren aufgelaufen. Er ist Major, wussten Sie das?«
Schaake fühlte sich leer. Er wusste nicht, was er denken sollte. Er sollte seinen Freund verraten, Jochen Heller. War er noch sein Freund? Hielt eine Freundschaft immer, selbst wenn sie nicht dauernd erneuert wurde? Galt die Verpflichtung einer Freundschaft über alle Zeiten hinweg? Oder ist eine Freundschaft