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Geschichten aus einem anderen Land. Joachim GerlachЧитать онлайн книгу.

Geschichten aus einem anderen Land - Joachim Gerlach


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geschwiegen.

      Gegen achtzehn Uhr war die Rechenschaftslegung zu Ende. Als Holstein aus dem Gebäude trat, sammelten sich bereits wieder Demonstranten. Sie stellten brennende Kerzen auf dem Sockel des Karl-Marx-Monuments nieder. Es waren schon wieder viele Hunderte.

      Von der Kreuzung her näherte sich dann ein kleiner Trupp, ihm voran ein Trommler, vorbei am Haus der SED-Bezirksleitung. „Neues Forum – schließt euch an!“, gellte es durch die Straßenschlucht. Die bis dahin noch den Straßenrand Säumenden, als hätten sie nur auf dieses Signal gewartet, folgten dem Ruf und formierten sich zum Demonstrationszug in Richtung Rathausplatz.

      Holstein lief ein Stück nebenher, sah die ihm schon bekannten Losungen wieder, auch neue darunter jetzt: „Stasi in die Produktion – nur für Arbeit gibt es Lohn!“, stand da auf einem Spruchband zu lesen. Zunehmend lauter aber erhob sich ein einziger Ruf „Wir sind das Volk, wir sind das Volk!“ Am Haus der Bezirksleitung der SED vorbeiziehend erklang der Sprechchor „SED – das tut weh!“

      Aus dem Strom der neben Holstein auf der Straße herziehenden Massen vernahm er plötzlich seinen Namen und staunte nicht schlecht: drei seiner Arbeitskollegen im Zug. Nun trat auch er in den Demonstrationszug ein, zögerlich jedoch, denn Holstein setzte immer noch auf die befreiende Kraft der Genossen von der Basis, von denen er annahm, dass sie dachten wie er.

      Den aus ihren Fenstern zuschauenden Bürgern wurde zugerufen „Auf die Straße! Schließt euch an!“, den den Verkehr regelnden Volkspolizisten „Zieht euch um und schließt euch an!“ und immer wieder „Wir sind das Volk! Demokratie –jetzt oder nie!“

      Trotz der ihn umfassenden euphorischen Erregung fühlte sich Holstein unwohl. Einerseits empfand er nun deutlich: Sein Platz war hier, hier unter dem Volk, welches aufbegehrte gegen den alleinigen Weisheits- und Machtanspruch einer Clique, die stets vorgab, ausschließlich im Sinne eben dieses Volkes zu handeln. Andererseits verlangte es ihn nach einer die Richtung vorgebenden Kraft. So heterogen die vom Demonstrationszug ausstrahlenden Losungen oder Sprechchöre waren, so heterogen war auch dessen Zusammensetzung, so heterogen waren auch die Interessen seiner Teilnehmer. Ohne eine einheitliche, die Vorstellungen aller auf einen Nenner bringende Orientierung sah er die Gefahr anarchischer Zustände und blutiger Auseinandersetzungen.

      Später fuhr Holstein noch kurz bei seinen Eltern vorbei, die Mutter mokierte sich über den ätzend nach fauligen Kartoffeln und Möhren riechenden Gestank in der Kaufhalle und hat Angst, die Nazis kämen mit den Unruhen auf die Straßen zurück. Sein Vater, als nun Fünfundsiebzigjähriger aller Ämter und Posten los und ledig, verfolgte die Demonstrationen mit größter Skepsis. Honeckers Rücktritt war für ihn ein derber Schlag. Er sah in dem Dachdecker stets das, was er sich für Holstein erträumte: den sozialistischen Arbeiterminister.

      Sonntag, 29. Oktober 1989

      Im Plenarsaal des Rathauses fand neun Uhr morgens eine bürgeroffene Diskussion statt, geleitet von einem Sprecher des Neuen Forums, anwesend auch Vertreter des Sekretariats der SED-Bezirksleitung. Der Saal war brechend voll, die Stimmung überreizt. Vor dem Rathaus standen noch Hunderte und begehrten umsonst Einlass, die drinnen geführte Diskussion wurde per Lautsprecher nach draußen übertragen. Holstein stand eingezwängt in der Masse und verfolgte mit zunehmendem Missmut den Disput. Sie schrien alle wild durcheinander, der Diskussionsleiter wurde überrannt, die beiden anwesenden Sekretariatsmitglieder der SED-Bezirksleitung kamen gar nicht erst zu Wort. Wenn die zum Mikrophon griffen, erhoben sich ein tosendes Pfeifkonzert und kreischende Puh-Rufe. Holstein hatte den Eindruck, dass hier eher lang aufgestauter Dampf abgelassen wurde. Nach zweistündiger, kontroverser und völlig ergebnisloser Debatte, die zunehmend auch im Kreis der Zuhörer selbst mit allem Pro und Kontra ausgetragen wurde, verließ er den Saal und war sich darüber im Klaren: So wird das nichts!

      Montag, 30. Oktober 1989

      Wunderlich nahm Holstein am Morgen beiseite: In der Betriebskampfgruppe übten sie jetzt unter der Leitung von Polizeioffizieren die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen und Versammlungen und erlernten zu diesem Zwecke die Handhabung von Schlagstöcken. Allerdings seien sich die meisten Kampfgruppenmitglieder darin einig, niemals, auch nicht unter Befehl, gegen die derzeit aufbegehrende Bevölkerung vorzugehen. Zum einen teilten sie zumeist selbst deren Anliegen und Forderungen, zum anderen hatten schon zu den Krawallen am siebenten Oktober im Stadtzentrum Väter und Großväter in der Kampfgruppenuniform plötzlich ihren vom Wasserwerfereinsatz pitschnassen Söhnen, Töchtern und Enkeln gegenübergestanden.

      Die Zahl der Montagsdemonstranten hatte sich an diesem Abend vehement weiter erhöht. Erstmals wurden neben den vereinzelten roten Fahnen auch DDR-Fahnen mit herausgeschnittenem Emblemen und schwarz-rot-goldene Fahnen ohne Emblem im Zug der Tausenden mitgeführt und auf neuen Transparenten der alleinige Führungsanspruch der SED in Frage gestellt. Rufe nach dem Ersten Sekretär der SED-Bezirksleitung wurden laut.

      Dienstag, 31. Oktober 1989

      Holstein hatte übers Wochenende in einem offenen Brief seine Vorstellungen zur Gesellschaftsreform in der DDR formuliert und diesen an die Redaktion des „Neuen Deutschland“ gesandt. Der Kern seiner darin niedergelegten Gedanken bestand darin, dass die Führungsrolle der Arbeiterklasse überholt und der verfassungsmäßig diktierte Machtanspruch der SED nicht länger aufrechtzuerhalten sind. Diesen Brief verschickte er gleichsam an die Vorstände der in der Nationalen Front vereinigten Parteien und Massenorganisationen, außerdem an einen Vertreter des Neuen Forum. Holstein verstand dies als seinen Beitrag zu einer Koalition der Vernunft, die sich für die konsequente Überwindung des Stalinismus in der DDR einsetzt, unabhängig von den weltanschaulichen Positionen ihrer Teilhaber. Anstelle der für ihn bis zu diesem Zeitpunkt gültigen Parteidisziplin, der er sich über Jahrzehnte vom Prinzip her stets abtrichslos beugte, setzte er von nun an sein politisches Gewissen.

      Die seit seiner Kontaktaufnahme mit dem Neuen Forum durch ihn bereits bemerkten Überwachungen durch die Sicherheitsorgane (sie hatten ihn ja vor Jahren auch diesbezüglich gut ausgebildet) wurden offenbar verstärkt, heute stellte er beim Betreten seines Dienstraumes die Durchsuchung seiner Aktenschränke und seines Schreibtisches fest. Holstein meldete es sofort pro forma dem Verantwortlichen für allgemeine Sicherheit im Hause, wohl wissend, dass der mit denen, welche durchsuchten, unter einer Decke steckte.

      Donnerstag, 2. November 1989

      In der für den 4. November in Berlin durch den Künstlerverband der DDR geplante Demonstration sah Holstein die größte Chance, vor den Augen der Weltöffentlichkeit den Willen der Bevölkerung der DDR zu bekunden, die größte, kaum wiederkehrende Möglichkeit, in einer völlig gewaltfreien und demokratischen Weise die bestehenden politischen Verhältnisse zu wenden. An eine tatsächliche Wende, wie sie Honecker-Nachfolger Egon Krenz unter der Führung des SED-Politbüros zu vollziehen versprach, glaube er längst nicht mehr.

      Nächtelanges Grübeln ließ in ihm einen Plan reifen, den es den ihm bereits bestens bekannten Vertreter des Neuen Forum zu vermitteln galt. Der vereinbarte telefonisch das von Holstein mit aller Dringlichkeit angemahnte Treffen in seinem Haus am Stadtrand. Dort angekommen erkannte Holstein schon von weitem die Beobachtergruppe des MfS, drei Männer, eine Frau, die Männer trotz wolkenlosen Himmels bewaffnet mit Regenschirmen, wahrscheinlich rauchten sie „Club“, ihre Stammmarke.

      Der Vertreter des Neuen Forum hörte sich Holsteins Überlegungen aufmerksam an, vorsichtshalber trug Holstein diese ihm in seinem abhörsicheren Garten weit hinter dem Haus vor. Er ging dabei davon aus, dass zur geplanten Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz mindestens eine halbe Million Menschen erscheinen werden. Unter den Augen der Fernsehkameras aus aller Welt sollte nach seinen Vorstellungen Egon Krenz von der versammelten Masse durch permanente Sprechchöre zum Erscheinen gezwungen und ihm dann das Versprechen abgerungen werden, binnen kürzester Frist einen Volksentscheid zur bestehenden Verfassung anzuberaumen. Holstein war der Meinung, dass ein solcher Volksentscheid zur Verfassung, welche in ihren erstem Artikel den Führungsanspruch der SED definiert, den Ansprüchen an Demokratie am besten gerecht wird. Soll der Souverän entscheiden, das Volk. Nicht die SED, nicht das Neue Forum, nicht andere Gruppen und Verbände, sondern das Volk, allein das Volk.

      Der Neues-Forum–Vertreter sicherte Holstein die Übermittlung


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