Der Gesundheitsminister. Ulrich HildebrandtЧитать онлайн книгу.
Der Unbekannte
Tom steht in seiner Küche und arbeitet an den letzten Zutaten für die Pasta. Es gibt Linguine mit Wildschweinragout. Vorher einen gemischten Salat. Der Unbekannte aus dem Gesundheitsministerium ist noch nicht eingetroffen, aber die Flasche Amarone della Valpolicella bereits geöffnet. Tom schenkt ein.
„Heute starten wir unser gemeinsames Projekt. Da du keine Verschwörungen magst, ist es namenlos.“ Tom lacht entspannt und stößt mit Jakob an. „Er müsste jeden Augenblick da sein.“ Womit er Recht hat. Tom stellt die beiden einander vor. Den Namen des „Vertrauten“ nennt er nicht, aber er duzt ihn. Das soll auch für Jakob gelten.
„Erst essen wir, dann wird geredet“, sagt Tom.
Sie unterhalten sich während des Essens über die italienische Küche und tauschen Vorlieben in puncto Pasta, Käse und Wein aus. Toms Pasta ist von gleichbleibender Qualität. Jakob hat schon mehrfach bei Tom gegessen, immer nur Pasta. Entweder er kann nichts anderes oder er liebt Pasta über alles. Tom legt los.
„Noch einmal, es ist keine Verschwörung, sondern der Wille zur Erneuerung. Das Thema Gesundheit ist politisch unterrepräsentiert. Dabei sind die Verwerfungen für uns politisch Interessierte unübersehbar. Nur werden sie nicht in die Öffentlichkeit getragen. Was mich am meisten stört, ist die Mentalität der Akteure. Das Gesundheitswesen wird von vielen als Selbstbedienungsladen betrachtet. Die gesetzlich Versicherten zahlen regelmäßig ein und die sogenannten Leistungserbringer bedienen sich. Wenn der Laden leergeräumt ist, dann wird Druck auf die Kostenträger ausgeübt. Eure Maßnahmen im Ministerium stehen dafür. Ihr füllt die Regale des Ladens auf.“
Tom blickt zu dem Ministerialbeamten. Der rührt sich nicht.
„So jedenfalls verstehe ich das Papier von dir. Siehst du es auch so, Jakob?“
„Mich haben die vielen Gesetzesinitiativen zu den wichtigen Themen überrascht. Die Hygiene im Krankenhaus, die Stärkung der Pflege, die Reduzierung der Bettenzahl.“
„Der Anschein wurde erweckt“, sagt Tom. „Alles nur vordergründig, nichts geht in die Tiefe. Stimmt doch, oder?“
Tom sieht den Gast aus dem Ministerium an. Der antwortet zum ersten Mal.
„Auf den ersten Blick stimmt das. Näher betrachtet sieht die Sache schon anders aus. Ich nehme mal die Reduzierung der Krankenhausbetten. Krankenhäuser sind Ländersache, damit auch die Reduzierung der Betten. Als Bund können wir nur einen Anreiz geben, nicht voll eingreifen. Daher unsere 500 Millionen Euro Strukturfonds. Wir setzten den Anreiz, die Länder müssen die gleiche Summe drauflegen.“
„Daraus resultiert aber keine Bettenreduzierung. Gewiefte Klinikmanager nehmen das Geld dankbar entgegengenommen und widmen damit wirtschaftlich schwache Abteilungen in gewinnbringende um. Nicht mit eigenem Geld, sondern mit dem des Steuerzahlers. Das ihr ihnen gegeben habt“, entgegnet Tom. „Weil das Gesetz diesen Vorgang auch erlaubt. Eure Gesetze sind schlaff, gehen am eigentlichen Ziel, nämlich der Bettenreduzierung vorbei.“
„Im Ergebnis richtig“, pflichtet der Ministerialbeamte bei.
„Sagt bloß, ihr könnt nicht anders“, mischt sich Jakob in das Gespräch ein. „Auf die Tour verändert sich nichts, gar nichts. Ihr müsstet einen Krankenhausplan für die gesamte Republik machen. Darauf könnte man aufbauen.“
„Könnte man“, entgegnet der Beamte. „Das erlauben die föderalen Strukturen nicht, das gibt das Gesetz nicht her. Was natürlich bedauerlich ist.“
„Gesetze kann man ändern“, antwortet Jakob. „Jetzt zu einem anderen Thema, die Finanzspritzen in der Pflege. Ein bisschen hier, für die Einstellung neuer Pflegekräfte. Ein bisschen dort, um das Volumen der Fallpauschalen aufzupolstern. Damit mehr Geld für die Bezahlung der Pflegekräfte im Krankenhaus verfügbar ist. Völlig struktur- und konzeptionslos.“
„Nicht ganz“, lautet die Antwort. „Wir bedienen akute Mangelzustände.“
„Akute Mangelzustände zu bedienen, ist keine Politik“.
„Das ist eine Kapitulation vor den Lobbyisten, vor allem vor den Trägern, den Besitzern der Krankenhäuser. Die lassen ihr Personal in Berlin aufmarschieren und ihr macht den Geldhahn auf“, pflichtet Tom bei.
„Es hat sich doch herumgesprochen und ist bei allen angekommen, dass endlich Personaluntergrenzen für die Pflege hermüssen“, wirft Jakob ein. „Auch in eurem Ministerium. Aber die Art, wie ihr das angeht, finde ich zynisch.“
„Warum zynisch?“
„Weil ihr damit zwei Akteure der Selbstverwaltung beauftragt, die an einem Pflegeschlüssel kein Interesse haben. Die Krankenkassen nicht, weil sie mehr Geld locker machen müssen. Und die Krankenhäuser nicht, weil sie mehr Personal einstellen und bezahlen müssen.“ Jakob fährt fort. „Mehr Pflegepersonal im Krankenhaus, bestimmt auch noch besser entlohnt, bedeutet doch, dass die Beiträge zur Krankenversicherung erhöht werden müssen. Und das wollt ihr nicht“.
„Das will keiner. Die Regierung nicht, die Versicherten nicht und die Arbeitgeber auch nicht“, antwortet der Beamte lapidar.
„Wie soll dann die Lösung lauten?“, fragt Tom.
„Es gibt keine“, antwortet Jakob. „Nicht aus der bestehenden Struktur heraus. Die Vorhaltung der vielen Krankenhäuser muss verschlankt werden.“
„Verschlankt“, wirft Tom ein. „Verschlanken, ein gern benutzter Begriff, wenn man nicht weiß, wie es weitergehen soll.“
„Der aber seine Berechtigung hat, wenn man weiß, wie es geht“, entgegnet Jakob.
„Und du weißt es“, sagt Tom mit spöttischem Unterton.
„Es funktioniert mit einer Konzentration der Krankenhäuser. Dann reicht das Geld, das derzeit im System ist.“ Jakob lehnt sich zufrieden zurück. „Weniger Krankenhäuser, diese mit einem klar definierten Auftrag, heben zusätzlich noch weitere Baustellen auf.“
„Welche?“, fragt Tom.
„Die Qualitätsinitiative des Ministeriums und die ausufernden Behandlungs- und Operationszahlen in den Krankenhäusern.“
„Meinst du?“
„Meine ich nicht nur, ich bin überzeugt davon. Ich muss mir allerdings noch weitere Gedanken darüber machen. Eines kann ich dir jetzt schon sagen. Es gibt einen Weg.“
Sie unterhielten sich noch über Dinge, die nichts mit dem verabredeten Thema des Abends zu tun hatten. Was auch gut war. Zwei Tage später ruft Tom wieder an. Er macht Druck. Das ist so seine Art.
„Ich fand unseren Abend nicht schlecht. Wie fandst du den Bernd aus dem Ministerium?“, will er wissen.
„Du wolltest, dass wir keine Namen nennen“, antwortet Jakob.
„Ach ja, keine Namen. Er fand dich übrigens ganz sympathisch. Ich denke, es ist blöd, keine Namen zu nennen. Intern, in unseren Gesprächen jedenfalls. Die Idee, dich mit einem Papier in das Thema eingestimmt zu haben, finde ich nach wie vor gut.“
„Weil sie von dir ist?“, fragt Jakob.
„Nicht, weil sie von mir ist. Weil es eine gute Grundlage für die darauffolgende Diskussion gewesen ist.“
„Ich gebe dir Recht. Ein komprimiertes Papier als Gesprächsgrundlage und jeder von uns hat die gleiche Ausgangsbasis“, pflichtet Jakob bei.
„Ich schlage vor, wir wiederholen das Prozedere noch einmal. Und ich bitte Bernd zu einem weiteren Gespräch danach. Nur noch einmal. Das soll kein Dauerläufer werden, schließlich sind wir nicht im Seminar Gesundheitswesen.“
„Gut, einmal noch. Über welches Thema?“, fragt Jakob.
„Über den Kern der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, über den Gemeinsamen Bundesausschuss. Eine mächtige und bei