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kurzgeschnittenen Haaren und dem tiefernsten, blassen, unregelmäßigen Profil.
»Geh fort, Kind, du bist hier im Wege!« gebot er streng, als er sah, daß man Anstalten machte, den Sarg zu schließen. Felicitas verließ beschämt und erschrocken, als habe sie Strafe verdient, den Winkel und schlich, ungesehen von den anderen, in ihres Pflegevaters ehemaliges Zimmer.
Jetzt weinte sie bitterlich ... Ihm war sie nicht im Wege gewesen! Sie fühlte seine fieberhafte Hand wieder auf ihrem Scheitel und hörte seine gute, schwache Stimme, wie in den letzten Tagen, heiser flüstern: »Komm, Fee, mein Kind, ich hab' es so gern, wenn du bei mir bist ...!«
Horch, was war das für ein Hämmern draußen? Es scholl mißtönig durch den hochgewölbten Raum, wo doch die vielen Menschen kaum zu flüstern wagten. Felicitas hob verstohlen den grünen Vorhang und sah hinaus in die Flur ... Schrecklich! die Gestalt des Onkels war verschwunden; dort der schwarze Deckel lag auf seinem lieben Gesichte und hielt ihn für immer unerbittlich fest in der ausgestreckten Stellung. Wenn er nur ein wenig die Hand hob, stieß sie überall an harte, fest zusammengefügte Bretter ... und dort klopfte der Mann abermals und rüttelte an dem Deckel, ob er auch fest säße, ob ihn nicht die Hand da drin zurückstoßen könne, – da drin in der tiefen Dunkelheit des engen Kastens, da drin, wo man nicht atmen konnte, wo man so furchtbar allein war ... Die Kleine schrie laut auf vor Entsetzen.
Aller Augen richteten sich verwundert auf das Fenster, aber Felicitas sah nur die großen, grauen, deren Blick sie vorhin so tief erschreckt hatte. Er blickte strafend herüber; sie verließ das Fenster und flüchtete sich hinter den großen, dunklen Vorhang, der das Zimmer in zwei Hälften teilte. Dort kauerte sie sich nieder und blickte furchtsam nach der Thür, wo er gewiß eintreten und sie scheltend hinausführen würde.
In ihrem Verstecke sah sie nicht, wie draußen die Träger den Sarg auf die Schultern nahmen, wie der Onkel sein Haus verließ für immer. Sie sah nicht den langen, schwarzen, unheimlichen Zug, der dem Verstorbenen folgte, wie der letzte Schatten auf dem nun vollendeten Lebenswege ... Dort an der Ecke hob ein Luftzug alle die prächtigen weißen Atlasbänder, die am Sarge niederhingen – sie flatterten hoch auf; war es der letzte Gruß des Geschiedenen für das verlassene Kind, das eine zärtlich besorgte Mutter dem trüben Sumpfe der väterlichen Laufbahn entrissen hatte, um es unwissentlich an einen öden, unwirtbaren Strand zu werfen?
Kapitel 7
Das Stimmengemurmel in der Flur war plötzlich verstummt – und es folgte tiefe Stille. Felicitas hörte, wie die Hausthür geschlossen wurde; aber sie wußte nicht, daß damit das Drama in der Hausflur zu Ende sei. Noch wagte sie sich nicht aus ihrem Winkel hervor. Sie saß auf dem kleinen, gepolsterten Lehnstuhle, den der Onkel ihr am letzten Weihnachtsabend geschenkt, und das Köpfchen ruhte auf ihren beiden Händen, die sich auf dem Tische kreuzten. Ihr Herz klopfte nicht mehr so ängstlich, aber hinter der kleinen, gesenkten Stirn hämmerte es, und die Gedanken reihten sich in fieberhafter Schnelligkeit aneinander. Sie dachte auch an die kleine, alte Dame, deren Bouquet draußen auf den Steinfliesen lag und wahrscheinlich von den unachtsamen Leuten zertreten wurde ... Das war also die »alte Mamsell« gewesen, jene Einsame hoch droben unter dem Dache des Hinterhauses, der stete Zankapfel zwischen der Köchin und Heinrich! Nach Friederikes Aussage hatte die alte Mamsell Furchtbares auf dem Gewissen – sie sollte schuld sein an ihres Vaters Tode. Die haarsträubende Geschichte hatte der kleinen Felicitas stets Furcht und Entsetzen eingeflößt; aber jetzt war das vorbei ... Die kleine Dame mit dem guten Gesichte und den Augen voll sanfter Thränen eine Vatermörderin! Da hatte Heinrich sicher recht, wenn er beharrlich den dicken Kopf schüttelte und ebenso konsequent den geistreichen Satz aufstellte, das müsse anders zusammenhängen!
Vor Jahren hatte die alte Mamsell auch hier unten im Vorderhause gewohnt, aber, wie sich die alte Köchin mit immer neu aufloderndem Zorne ausdrückte – sie war nicht davon abzubringen gewesen, Sonntagnachmittags unheilige Lieder und lustige Weisen zu spielen. Die »Madame« hatte ihr Himmel und Hölle vorgestellt, aber das war alles umsonst gewesen, bis kein Mensch im Hause den Greuel mehr mit anhören konnte – da hatte Herr Hellwig seiner Frau den Willen gethan, und die alte Mamsell hatte hinauf gemußt unters Dach ... Dort wäre sie unschädlich, meinte Friederike stets, und man mußte ihr recht geben, denn man hörte nie auch nur einen Laut des verpönten Klavierspiels im Hause ... Der Onkel mußte jedenfalls sehr böse auf die alte Mamsell gewesen sein, denn er hatte nie von ihr gesprochen; und doch war sie seines Vaters Schwester und sah ihm so ähnlich ... Eine heiße Sehnsucht erfaßte die kleine Felicitas bei dem Gedanken an diese Aehnlichkeit – sie wollte hinauf in die Dachwohnung, aber da stand ja der finstere Johannes – das Kind schüttelte sich vor Angst – und die alte Mamsell steckte jahraus, jahrein hinter Riegeln und Schlössern.
Am Ende eines langen abgelegenen Korridors, dicht an der Treppe, die aus den unteren Stockwerken herauf führte, war eine Thür. Nathanael hatte einmal, als sie da droben spielten, leise zu ihr gesagt: »Du, da droben wohnt sie!« dann hatte er, mit beiden Fäusten auf die Thür schlagend, laut geschrieen: »Alte Dachhexe, komm herunter!« und war in schleuniger Flucht die Treppe hinabgelaufen. Wie hatte da das Herz der kleinen Felicitas vor Angst und Schrecken geklopft! denn sie war keinen Augenblick im Zweifel gewesen, es müsse ein schreckliches Weib mit einem großen Messer in der Hand hervorstürzen und sie bei den Haaren fassen ...
Es fing an, leise zu dämmern. Drüben am Rathause huschte der letzte goldene Schein der Herbstsonne um das Giebelkreuz, und auf der großen Wanduhr drin im Zimmer schlug es langsam und rasselnd fünf – sie hatte genau so eintönig und langsam jene drei Schläge herabgerasselt, nach welchen ihr ehemaliger Besitzer, der sie lange Jahre hindurch pünktlich und mit liebevoller Vorsicht bedient, hinausgetragen worden war.
Bis dahin war es ziemlich still im ganzen Hause geblieben; aber jetzt wurde die Thür des Wohnzimmers plötzlich geöffnet, und harte, feste Schritte schollen durch die Flur. Felicitas zog ängstlich den Vorhang an sich heran, denn Frau Hellwig näherte sich dem Zimmer des Onkels. Das erschien dem Kinde wunderbar neu; es war nie vorgekommen, daß die große Frau bei Lebzeiten ihres Mannes je diese Schwelle betreten hatte ... Sie kam ungewöhnlich rasch herein, schob leise den Nachtriegel vor und blieb dann einen Augenblick mitten im Zimmer stehen. Es war ein Ausdruck unsäglichen Triumphes, mit welchem diese Frau ihre Blicke langsam durch den so lange streng gemiedenen Raum gleiten ließ.
Ueber Hellwigs Schreibtisch hingen zwei schöngemalte Oelbilder, ein Herr und eine Dame. Die letztere, ein stolzes Gesicht, aus dessen Augen aber Geist und Lebenslust sprühte, war in jener Tracht, welche so unschön die altgriechische nachzuahmen sucht. Die kurze Taille, die ein weißer leuchtender Seidenstoff umschloß, wurde noch verkürzt durch einen roten, golddurchwirkten Gürtel; Brust und Oberarme, fast zu üppig geformt und nur sehr wenig bedeckt, harmonierten in ihrer herausfordernden Schönheit durchaus nicht mit dem anspruchslosen, züchtigen Veilchenstrauße, der im Gürtel steckte ... Es war Hellwigs Mutter.
Vor dieses Bild trat die Witwe jetzt; sie schien sich einen Moment daran zu weiden. Dann stieg sie auf einen Stuhl, hob es von seiner gewohnten, langjährigen Stell und schlug vorsichtig, ohne großes Geräusch einen neuen Nagel inmitten der zwei alten, an welchen sie das männliche Brustbild, Hellwigs Vater, hing. Es blickte jetzt einsam hernieder, während die Witwe den Stuhl verließ und, das weibliche Porträt in der Hand, aus dem Zimmer ging ... Felicitas' gespanntes Ohr folgte ihren Schritten durch die Hausflur, über die erste Treppe – sie stieg immer höher in dem widerhallenden Treppenhause – wahrscheinlich bis in den Bodenraum.
Sie hatte die Thür nicht völlig hinter sich geschlossen, und als ihr letzter Schritt droben verhallt war, da erschien Heinrichs scheues Gesicht in der Spalte.
»Na, da haben wir's, Friederike!« rief er mit gedämpfter Stimme, der man aber den Schrecken anhörte, in die Flur zurück. »Es war richtig der sel'gen Frau Kommerzienrätin ihr Bild!«
Die alte Köchin riß die Thür weit auf und sah herein.
»Ach, du meine Güte, wirklich!« rief sie, die Hände zusammenschlagend. »Herr Je, wenn das die stolze Frau wüßte, die drehte sich in der Erde um – und der sel'ge Herr erst! ... Na, sie war aber auch zu schrecklich angezogen – so bloß auf der