Münchhausen. Karl ImmermannЧитать онлайн книгу.
Randes jegliches Trübe und Unreine vom Munde abhalte; alle Woche aber holte er vom Schlosse sich frisches Stroh zur Lagerstatt, und hieß dies, sich Schilf im Eurotas schneiden.
Nach einiger Zeit hatte der Baron alle Furcht vor seinem Gaste verloren. Denn er bemerkte, daß dieser über jeden Gegenstand so verständig dachte und redete, wie der gesetzteste Alltagsmensch, und daß auch seine spartanischen Vorstellungen sich zu einer sogenannten unschädlichen Schrolle, oder zu dem, was man den Wurm bei einem Menschen nennt, gemildert hatten. In der Tat mußte er gestehen, daß unter den Gesetzen Schmalhansens, des Küchenmeisters, die über Schloß und Gartenhäuschen herrschten, die lakedämonische Einfachheit vollkommen gerechtfertigt war, und daß ihrem Anhänger daher die Zugabe von der Ahnenschaft des Königs Agesilaus wohl mit durchgehen konnte. Seine Gesellschaft wurde ihm nun sehr lieb; er hatte doch jemand, mit dem er in den langen Herbst- und Winterabenden plaudern konnte; er durfte nicht mehr befürchten, an dem Ideenreichtum, den die Journale in ihm hervorbrachten, zu ersticken.
Freilich war, wie wir im Anfange dieses Kapitels sagten, der Schulmeister nur eine Birne für den Durst. Über Geschichten und Anekdoten konnte sein Gönner mit ihm verhandeln, und des lebhaftesten Gespräches sicher sein, wenn er wichtige Punkte der Historie zur Sprache brachte, wie zum Beispiel: Ob Brutus recht gehabt habe, Cäsarn zu erstechen, was aus der Welt geworden sein möchte, wenn die Franzosen die Revolution nicht zustande gebracht hätten, oder wenn Friedrich der Große und Napoleon Zeitgenossen gewesen wären, und was dergleichen mehr war. Dagegen fehlte dem vermeintlichen Abkömmlinge des Königs von Lakedämon aller Sinn für die Kuriositäten aus der Länder- und Völkerkunde, und aus dem Gebiete der Erfindungen, Handels- und Gewerbsverhältnisse, denen der Baron gerade am leidenschaftlichsten sich zuneigte.
Mit dem Fräulein hatte der Schulmeister manchen Streit und sie duldete ihn eigentlich nur ihres Vaters wegen. Er war ihr besonders durch eine feurige Rede verhaßt geworden, in welcher er die Sitte der Spartaner, auch die Jungfrauen bei den Festen der Götter nackt tanzen zu lassen, höchlich herausstrich. Ein Nervenanfall hatte sie nach dieser Rede ergriffen und mehrere Wochen lang unpäßlich gemacht. Er nahm sich daher auch späterhin eine größere Vorsicht in seinen Lieblingsreden zur Richtschnur, um den Boden, auf dem er seine Freistatt gefunden hatte, nicht zu unterwühlen. Andernteils wurde es nach und nach der allgemeine Grundsatz der drei Akademiker von Schnick-Schnack-Schnurr, eine zarte Schonung der gegenseitigen Schoßneigungen walten zu lassen.
In diesen Verhältnissen lebten der alte Baron, das Fräulein und der Schulmeister ihre seltsam-abgeschiedenen Tage hin. Eines Abends sagte der Schloßherr zu seinem Schützlinge: »Ihr seid jetzt weit ruhiger und gleichmütiger, Herr Agesilaus, als vor Zeiten, wo es Euch doch im Grunde besser ging, als jetzunder. Damals konntet Ihr streckenlang sehr mürrisch und verdrießlich sein.«
»Mürrisch und verdrießlich nun wohl nicht, mein Gönner«, versetzte der Schulmeister, »aber tiefsinnig und melancholisch. Wenn ich so meine schmutzigen Jungen in einem fort buchstabieren ließ, eine Woche nach der andern, einen Monat nach dem andern, und sich das ohne Resultate fortsetzte, diejenigen, welche lesen gelernt hatten, die Schule verließen, und frische Rangen, die noch nichts wußten, wieder hineinkamen, und immer, immerdar wieder von vorn dasselbe angefangen werden mußte, da konnte mir das ganze Leben zuletzt völlig dünn und unzusammenhängend vorkommen, und es gab Nächte, worin mir träumte, das menschliche Dasein sei nur ein langes, leeres ABC, von dem die Buchstaben XYZ in der Ewigkeit ständen, und aus welchem nie ein verständiger Satz, ja nur ein sinnvolles Wort würde. Wollte ich mir dann zu meinem Troste sagen, ich sei eben nur ein armer Dorfschulmeister, die Trübe dieser Meinung entspringe aus meiner gedrückten Lage, und glücklichere Menschen, wie hohe Obrigkeiten oder gar durchlauchtige Potentaten seien wohl in dem Falle, ihrer Existenz einen Zusammenhang zu geben, so war die Beschwichtigung doch nicht lange stichhaltend. Denn ich mußte erwägen, daß das Regieren über Land und Leute doch auch nur so ein ödes, langwieriges Buchstabieren sei, und daß, wenn man es an irgendeinem Zipfel zum Lesenlernen gebracht habe, dieser verschwinde, und an der andern Seite ein neues Fibelschützenwesen zu stammeln beginne. Aber seit ich meine Ahnen kenne, seit ich weiß, welche herrliche Erinnerungen in mir sich fortsetzen, und durch mich lebendig zu erhalten sind, ist alles in mir Ruhe und Freudigkeit, haben sich die Bestandteile des Lebens im Kreise um mich her gestellt, kurz, ich bin zur Klarheit und zum Bewußtsein durchgedrungen.«
»Sonderbar!« rief der alte Baron vor sich hin, als der Schulmeister nach dieser Äußerung fortgegangen war. »Wie es scheint, muß der Mensch immer einen Sparren haben, um recht zusammenzuhalten. Die Vernunft ist wie reines Gold, zu weich, um Façon anzunehmen; es muß ein tüchtig Stück Kupfer, so eine Portion Verrücktheit darunter getan werden, dann ist dem Menschen erst wohl, dann macht er Figur und steht seinen Mann. Was für ein Gimpel war der Schulmeister sonst, und wie gescheit spricht er jetzt, seitdem es bei ihm rappelt. Das Leben ist doch ein kurioses Ding, und wäre ich nicht geborner Geheimer Rat im höchsten Collegio, so könnte mir auch vor mir bange werden. Aber da ich der bin, so muß ich natürlich meinen vollen Verstand besitzen.«
Siebentes Kapitel
Die blonde Lisbeth war in das Gebirge gegangen, Zinsenrückstände von den Bauern einzutreiben. Sie hatte dieselben zufällig in einem alten vergeßnen Rentenregister, welches unter anderem Gerüll in einer Polterkammer lag, verzeichnet gefunden. Ihr Pflegevater war ängstlich gewesen, das Kind so allein in das Gebirge ziehen zu lassen, sie aber hatte mutig geantwortet: »Wer wird mir etwas tun? Ich schaff‘ das Geld!« hatte sich an des Schulmeisters Eurotas einen Weidenstecken geschnitten, ein Reisetäschchen voll der nötigsten Wäsche umgehängt, Schnürstiefelchen angezogen, einen Strohhut verwegen auf das kecke Häuptlein gesetzt, und war so fürbaß gewandert.
Während ihrer Abwesenheit gingen die drei Zurückgelassenen, der Baron, das Fräulein und der Schulmeister eines Nachmittags in dem verwilderten französischen Garten spazieren. Sie verkehrten aber nicht miteinander, wie dies meistens bei solchen Gartenwanderungen zu geschehen pflegte, sondern hingen in verschiedenen Wegen und Stegen ihren eigenen Gedanken nach. Die Pfade um das Schloß her waren fast überall von Dornen versperrt, oder durch sumpfiges Erdreich feucht, der trockne Sand, welcher die Gartenstege noch immer einigermaßen bedeckte, verdiente daher ohne Zweifel den Vorzug, wenn man lustwandeln wollte. Damit aber diese gemeinsame Erholung einem jeden seine völlige Freiheit lasse, und der Stoff der Gespräche nicht zu verschwenderisch eingezehrt werde, hatte der alte Baron für die Gartenerholung Aufhebung des geselligen Verkehrs als Regel festgesetzt. Sollte eine Ausnahme eintreten, und Gespräch herrschen, so war von ihm ein untrüglich andeutendes Zeichen erfunden worden. Er schrieb nämlich an solchen Tagen einem Genius von Sandstein, der, den Finger auf dem Munde, vor einer kleinen düsteren Laube stand, und zu den noch am besten erhaltenen Kunstwerken des Gartens gehörte, mit Kreide das Wort: »Colloquium« auf die Brust; eines von den wenigen lateinischen Wörtern, deren er sich noch aus seinem Jugendunterricht erinnerte. So wie daher jemand von der täglichen Gesellschaft in den Garten trat, sah er nur nach der Brust des Genius, und schwieg oder redete, je nachdem die Meinung des Schloßherrn lautete, denn, in so großer Armut er sich befand, alle seine Umgebungen waren gewohnt, sich pünktlich nach seinen Wünschen zu richten.
Heute stand kein »Colloquium« auf der Brust des Genius angekreidet. Der alte Baron war schon seit einigen Wochen in einer trüben, sehnsüchtigen Stimmung, welche, gerade heute zu besonderer Verdüsterung erwachsen, ähnlichen Launen bei dem Schulmeister und Emerentien begegnete, so daß beide mit der ihnen auferlegten Trappistenregel an diesem Tage besonders zufrieden waren. Wie es wohl zu gehen pflegt; lange Zeit bleiben die eigentlichen Grundempfindungen eines Kreises von Tagestäuschungen überhüllt; endlich aber drängen sie sich doch wie Springfluten unwiderstehlich an die Oberfläche hervor.
Die Gefühle der drei lustwandelnden Personen brachen, da letztere weit genug voneinander gingen, um sich für unbelauschbar halten zu können, in Selbstgespräche aus. Der alte Baron schritt zwischen zwei Taxuswänden auf und nieder, welche ehemals auf ihrer oberen Fläche die zierlichste Abwechslung von Kreuzen, Pfeilern und Urnen dargeboten hatten, nun aber längst aus aller Schur gewichen waren, und nur noch unförmliche, mißgestaltete Klumpen grüner Blätter und Äste zeigten. Sein Schritt