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Münchhausen. Karl ImmermannЧитать онлайн книгу.

Münchhausen - Karl  Immermann


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dann ließe sich herrlich und in Freuden leben! Immer Neues, Wunderbares muß ich haben, die Journale genügen mir schon nicht mehr, sie fangen an, mir schal vorzukommen; Hypothesen begehre ich, eine gewaltiger als die andre, denn nur Hypothesen löschen den Wissensdurst, wenn er einmal entflammt worden ist. Was hilft es mir, daß ich heute von den Ungeheuern gelesen habe, die in jedem Wassertröpfchen leben, mit Kugelleibern, oder tausend Füßen, oder Rüsseln oder Sägezähnen? Bin ich danach klüger, als zuvor? Nein. Dümmer im Gegenteil. Wie entstehen sie? Was treiben sie? Was fressen sie? Wie begatten sie sich? Sind es Säugetiere, die lebendige Junge zur Welt bringen, oder eierlegende Fische? — O fände ich doch einen Mann, mit dem ich alles so recht durchsprechen könnte, der eine Erklärung auch für das Dunkelste gäbe, gleichviel welche! Der Schulmeister ist ein ehrlicher Kauz, aber doch im Grunde ein dummer Teufel mit seinen alten Spartaner-Flausen. Ich habe mir einen verrückten Menschen unterhaltender gedacht; der Agesel beginnt, mich zu langweilen.« —

      Er trat verstimmt zu einem steinernen Schäfer, der an dem einen Ende der Taxuswände stand, und vor Zeiten Flöte geblasen hatte, nun aber nur noch vergeblich den Mund spitzte und die Arme in der gezwungenen musikalischen Haltung leer vor sich hinstreckte, weil die Flöte ihnen längst von der Zeit entführt worden war. Der alte Mann lehnte sich düster an den verstümmelten Schäfer; vor seinem geistigen Gesichte wälzten sich, schossen und kugelten riesige Infusionstiere umher, bis ihm die Gedanken in das Formlose zergingen.

      Inzwischen umkreisete Fräulein Emerentia ein mit Muscheln eingefaßtes Becken, welches freilich schon seit geraumen Jahren so trocken lag, wie das Rote Meer, als die Israeliten hindurchgingen. Ein Delphin streckte in der Mitte dieses Beckens seine aufgestülpte Nase empor. Er hatte von Glück zu sagen, daß er aus Kupferblech bestand; ohne diese Konstitution hätte er in solcher Trocknis rettungslos verschmachten müssen. Auch ein Unbeschäftigter! Woher sollte der Wasserstrahl ihm zufließen, den er sonst aus den Nüstern in die Höhe gesendet hatte? — Das Fräulein umschritt, wie gesagt, das Becken, und sah bald auf dessen Grund, bald auf den Delphin, bald auf die bunten Kiesel, welche in Sternen, Rauten und Blumen eingelegt, den Platz um das Becken zierten, ohne daß sie von einem dieser Gegenstände Trost für ihre wehmütigen Empfindungen zugesprochen bekommen hätte. »Hartes Los«, flüsterte sie schwermutsvoll vor sich hin, »mit einem reichen Herzen, mit einem zarten Gemüte unter kalten, abstoßenden Naturen leben zu müssen! Wer versteht hier die heilige Sehnsucht, die mich so ganz nach Rucciopuccio erfüllt, dem Fürsten von Hechelkram im geheimen? Ich weiß, das Schicksal, welches unser Leben wendet, will still erwartet sein, und darum greift kein ungestümes Verlangen im Busen der Entwickelung der Tage vor, nein, geduldig harrt der gläubige Sinn des liebenden Weibes auf den seligen Augenblick, da der goldlackierte Wagen vor dem Schlosse halten und der Läufer mit Blumenhut und Schurz in die Türe springen wird, fragend nach Emerentien, die in den Stunden der Andacht zu Nizza Marcebille hieß. Aber eine feinfühlende zweite Seele, ein sympathetisches Gemüt wünschest du dir, und darfst du dir wünschen, arme Emerentia, die Qual des Harrens zu lindern! Nun, wie steht es um die Befriedigung dieses Verlangens hier? Welche Personen umgeben dich? Wirst du in deinen Seufzern von irgend jemandem, mit dem dich dein Los verbunden hat, begriffen? Der gute Vater ist gut, sehr gut, aber lacht er nicht, wenn du ihm die Geheimnisse deiner Brust leise und schamhaft enthüllst? O wie verderblich ist die einseitige Verstandeskultur, welche der Mensch von Journalen empfängt! Wie höhlt sie das Herz aus! Und jener spartanische Pöbelnarr — — nein, denke ihn nicht zu Ende, diesen Narren, dessen zynische Reden schon in der Erinnerung meine keusche Seele aus tausend Wunden bluten machen. O komm, Mensch, fühlender Mitmensch, den ich nicht kenne, aber gestaltet vor den Augen meines Geistes sehe, der du mich verstehen wirst ohne Wort, wie der heilige Mond, wenn ich zu ihm aufblicke, dem das Unaussprechliche in mir klar sein wird, wie ein Spruch der Einfalt, komm, Tröster, Paraklet, mir meine süßen Ahnungen auszudeuten, und mich in dem zu begreifen, worin ich mich selbst nicht fasse!« — Nach dieser Rede, die Emerentien gewiß jeder Leserin von Gemüt teuer macht, setzte sie sich dem Delphin gegenüber auf einen unförmlichen Rasenhügel, der ehemals eine Bergère gewesen war, und fuhr fort, herzbrechende Seufzer auszustoßen.

      Auch der Schulmeister war nicht glücklich. Er kauerte auf seinem Gebirge Taygetus, oder Schneckenberge, vor einem Feuer, welches der Wind hin und her wehte, und kochte schwarze Suppe. Denn es hatte zum Mittagsessen auf dem Schlosse Spinat gegeben, das einzige Gericht, welches er, sonst nicht auf Leckerei gestellt, zu genießen unvermögend war, weil er behauptete, es schmecke nach Rauchtabak. Während seiner Beschäftigung polterte und brummte er folgende Reden heraus: »Schlimm! Schlimm, beim Kuckuck, wenn man mit Ignoranten zu tun hat! Das Fräulein ist eine Mondscheinprinzessin, und der alte Baron, dem übrigens Gott seine Güte an mir vergelten mag, ein Confusionarius! Ich kriege es nicht heraus! Bis nach Böhmen kann ich die Spuren meiner Vorfahren verfolgen, als sie sich vor den Türken flüchteten, aber weiter geht‘s nicht, von da bis hieher Nacht, Finsternis, unwegsame Wüste! Mein Ältervater war aus Buxtehude, also haben die Spartaner einen Haken bis zur Nordsee geschlagen. Wie reim‘ ich nun diesen Haken mit der Niederlassung der übrigen Ageselschen oder vielmehr Agesilaus‘schen Familie in hiesigen Landen zusammen? Und doch, da die Sache ihre Richtigkeit hat, so muß sie sich auch beweisen lassen. O, ein Gelahrter, ein Forscher, der mir hülfe, die Vermutungen zusammenstellte, und selbst Vermutungen hätte, wo mir alle Vermutungen ausgehn; o, ein solcher Mann fehlt mir allzusehr!« — Er rührte heftig in der schwarzen Suppe und seine Reden gingen in einzelne abgebrochne Ausrufungen über, die von dem Verdrusse seiner Seele zeugten.

      Nach einigen Minuten erseufzte das Fräulein am trocknen Wasserbecken so laut, daß selbst ihr Vater am Flötenbläser ohne Flöte und der Schulmeister auf dem Taygetus es vernahmen. Aus Sympathie stimmten sie ihrerseits ein, so stark sie nur vermochten, und es stieg daher ein dreifacher, gewaltiger Seufzer der Sehnsucht im Garten des Schlosses Schnick-Schnack-Schnurr empor. Kaum war er verklungen, so ertönte aus einer Ecke des Gartens, zunächst der einfassenden Hecke, ein lautes Geräusch, wie wenn jemand von einer nicht unbedeutenden Höhe herabfalle, ein Hufschlag, wie von einem davoneilenden Pferde, und das Gespräch zweier Menschen, von denen der eine fragte: »Wie ist es, mein gnädiger Herr? Haben Sie sich wehe getan?« der andre aber antwortete: »Durchaus nicht, durchaus nicht, du weißt ja, daß mir kein Sturz etwas tut, auch liegt hier, wie du siehst, ein weicher Haufen Unkraut und Gras zusammengetrieben, auf den bin ich gesunken, als ich aus den Lüften herniederschwebte.« — »Soll ich dem Pferde nachrennen?« fragte die eine Stimme. »Nein«, versetzte die andre, »wir sind am Ziel, welches das Schicksal uns wies. Laß die Kreatur auch ihrem Ziele nachlaufen, welches ohne Zweifel in dem Stalle des Verleihers sein wird, aus dem ich den Klepper im Städtchen entnahm.«

      Der alte Baron, das Fräulein und der Schulmeister näherten sich jetzt dem Orte, wo der Fall und dieses Gespräch erschollen war, und sahen zwei Männer, welche sie in nicht geringes Erstaunen versetzten. Der eine war eine stämmige Figur, deren Eigentümer seine vierzig und mehreren Jahre zählen mochte, mit einem durchaus blassen, aber kräftig muskulösen Gesichte, aus dem zwei große lebhafte Augen hervorstrahlten. An seiner Kleidung zeichnete sich sonst nichts aus, dagegen konnte ein übermäßig großer Strohhut mit fußbreiten Krempen auffallend erscheinen, welcher einige Schritte von dem Fremden im Sande lag. Dieser Strohhut war eigentlich kein Strohhut; seine Form schwankte zwischen Mütze und Kaskett. In Zukunft soll er, wo er noch vorkommt, der Strohhelm heißen.

      Der andere war noch untersetzter und gedrungener, als der erste, schien mit ihm in gleichen Jahren zu sein, hatte aber die gewöhnliche Gesichtsfarbe eines gesunden Menschen. Seine Augen waren womöglich noch greller, als die des Herrn, denn in diesem Verhältnisse mußte wohl der erste zu dem zweiten stehen, da letzterer in einer eiergelben Livree stak, einen lackierten Bedientenhut auf dem Kopfe trug und sich um den ersten mit einer Kleiderbürste bemühte, allerhand Erd- und Grasspuren von dem lichtgrauen Überrocke desselben zu tilgen.

      Indem die Gesellschaft vom Schlosse sich den Fremden näherte, blickten diese auf, der erste sagte dem zweiten etwas in das Ohr, worauf der Diener den Strohhelm von der Erde erhob und seinem Herrn darreichte. Letzterer trat den dreien entgegen und sagte mit wunderbaren Muskelbewegungen im Antlitz zum alten Baron einige höfliche Worte der Entschuldigung, daß er so unangemeldet in seinen Garten gefallen sei. Der Baron versetzte, das habe gar nichts zu bedeuten, und der Schulmeister machte dazu eine tiefe Verbeugung. Beide musterten erstaunt die


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