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Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Zweiter Band.. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.

Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Zweiter Band. - Gerstäcker Friedrich


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mein lieber Herr Maler, das letzte Hinderniß ist beseitigt, nun können Sie ungestört an Ihre Arbeit gehen!«

      Könnern hatte dem sonderbaren Wesen und Treiben des Mannes schweigend zugesehen, und zerbrach sich dabei den Kopf, wer der Fremde wohl eigentlich sein und was er treiben könne, denn der Anzug gab, wie er recht gut wußte, in den Colonien nur selten den Maßstab für den Mann selber. Die feinen, fast zarten Hände verriethen, daß er noch nie eigentlich schwere Arbeit gethan, und die Ungeschicklichkeit, mit welcher er den jungen Baum fällte, bezeugte das ebenfalls. – Was trieb er denn, um seinen Platz hier in der Colonie auszufüllen?

      Der Fremde aber ließ ihm nicht lange Zeit zu solchen Betrachtungen und schien sonderbarer Weise selber das größte Interesse an der Malerei zu nehmen. Er drängte wenigstens zum Beginne derselben und half bereitwillig Alles verrichten, was Könnern seine Arbeit erleichtern konnte.

      Dann, als der junge Mann seine Mappe öffnete und seine Arbeit wirklich in Angriff nahm, streckte er sich neben ihm auf dem moosbewachsenen Steine aus und schaute in tiefem Sinnen lange auf die vor ihnen ausgebreitete, wahrhaft wundervolle Landschaft.

      Könnern, vollständig mit seiner Arbeit beschäftigt, hatte seine Nähe schon fast ganz vergessen und entwarf rasch und mit kecken Strichen die Umrisse des kleinen, freundlichen Bildes, als der junge Mann an seiner Seite plötzlich mit leiser Stimme fragte:

      »Glauben Sie an Träume?« Er hob dabei das bleiche, ausdrucksvolle Antlitz zu dem Maler und schaute ihn mit den dunkeln Augen scharf und forschend an.

      »Nein,« lächelte Könnern, ohne sich in seiner Beschäftigung stören zu lassen. Er zeichnete gerade Meier's Haus, das eigentlich den Vordergrund zu der Skizze bilden sollte, und wieder und wieder flog sein Blick hinüber.

      »Ich dachte es mir,« erwiederte ruhig der Frager und ließ den Kopf wieder sinken – »die wenigsten Menschen glauben an Träume, und doch sind sie nur zu oft das Spiegelbild unserer Seele, von der wir allein auf diese Weise Etwas zu sehen bekommen können.«

      »Das wäre ein eigenthümliches Spiegelbild,« lachte Könnern kopfschüttelnd, »das mir Etwas zeigt, an das meine Seele das ganze Jahr nicht gedacht hat. Ist man denn im Stande das zu träumen, was man sich ersehnt? – nie! Wir mögen unsern Geist den ganzen Tag mit festem und entschiedenem Willen auf einem Punkte festhalten bis zum Schlafengehen, ja, bis sich die müden Augen schließen, und Zehn gegen Eins, der Traum springt mit uns nach irgend einer andern Gegend hinüber, und bringt uns die verwirrtesten, fremdesten Bilder – aber nie das Verlangte.«

      »Aber der Geist hat mit dem Traume auch gar Nichts zu thun,« sagte der Fremde, »sonst allerdings wäre er von diesem abhängig und müßte ihm auf seinen Bahnen folgen. Nur mit der Seele harmonirt der Traum, und im Gedächtnisse hat er seine besonderen Kammern, seine eigenen Örtlichkeiten, Scenen und Handlungen, in die er den Geist nur zu Zeiten einläßt und in denen dieser wohl hin- und herwandern, aber sie nicht festhalten darf.«

      Könnern sah überrascht von seiner Arbeit zu dem Redenden nieder, der, scheinbar ohne auf ihn Acht zu haben, mehr mit sich selber als zu ihm sprach. Der Kopf wirbelte ihm dabei, wenn er den tollen Gedanken folgen wollte, und er sagte endlich kopfschüttelnd:

      »Aber wie kommen Sie auf solche Ideen, und was haben wir hier überhaupt mit einem Traum zu thun? Liegt nicht die Wirklichkeit um uns her so wunderbar schön – viel schöner, als sie uns ein wirrer Traumgarten bieten könnte?«

      »Ach, ich träume immer so schwer!« sagte der Mann mit einem recht aus tiefster Brust herausgeholten Seufzer, indem er mit der flachen Hand seine Stirn preßte – »und wenn ich dann aufwache – aber Sie haben Recht,« brach er kurz ab. »Zum Orkus mit den Träumen! Wir wollen uns lieber mit der Wirklichkeit beschäftigen, die uns ja auch nur wie ein Märchentraum umgiebt. – Sehen Sie hier, da hat sich der dünne grüne Stiel mühsam aus der engen Felsspalte herausgearbeitet, nur um ein einziges riesengroßes Blatt zu treiben, und da der Cactus – sehen Sie den Cactus an – sind Sie wohl im Stande, sich eine vegetabilische Katze zu denken? – Das ist eine. – Sehen Sie, wie jener Cactus auf den vom Sturme geworfenen jungen Stamm gesprungen ist und sich daran festgeklammert hat. Die Wurzel des armen Baumes hängt noch zum Theil im Boden und er hätte daraus Jahre lang seine Nahrung ziehen und seine Schößlinge nach oben treiben können – wie es mancher arme, umgeworfene Baum thun muß – aber nein, der Cactus sprang auf ihn; sehen Sie, wie er ihn überall mit seinen gegliederten Armen umspannt und preßt, und da aus der Wunde, in die er sich eingebohrt, hat er ihm den Lebenssaft langsam, aber sicher ausgesogen. Es ist merkwürdig, daß wir selbst in dem Leben der Pflanzenwelt so häufig sprechende Ähnlichkeiten mit den Charakteren, mit dem ganzen Treiben unserer Menschenwelt finden – wenn wir nur eben ein Auge dafür haben – und ich glaube fast, ich kenne einen ganz ähnlichen Cactus und« – setzte er langsamer und wie scheu hinzu – »kenne auch den todten Baum, dem er das Herzblut ausgetrunken.«

      Könnern war mit dem Auge dem ausgestreckten Arme seines neuen Bekannten gefolgt, und er mußte sich gestehen, daß der Vergleich ihm selber merkwürdig treffend schien. Der junge Baum war umgeweht, und der darauf gewachsene Schmarotzer-Cactus sah wirklich so aus, als ob er den Stamm gierig und fest umklammert hielt, einem Raubthiere gleich, das sich auf ein gestürztes Stück Wild geworfen.

      »Und da drüben,« fuhr der Fremde fort – »sehen Sie den schlanken Laubholzstamm, neben dem der aus seiner Wurzel aufsteigende Schoß wie der Sohn neben dem Vater steht? Haben Sie schon darauf geachtet, wie starr die Äste des Alten nach allen Seiten sich ausstrecken, nur nach der nicht, wo sein junger Auswuchs keimt? Rechts und links davon zweigt er aus, daß keiner seiner Arme den schlanken Wuchs des Knaben stört, aber er schützt ihn dabei von beiden Seiten und mit dem eigenen Leibe gegen den Südsturm, der nicht selten diese Hänge fegt. – Und dort die Rebe, die sich an den Baum schmiegt und von ihm genährt, getragen und gehalten wird – es ist nicht das Bild der Liebe, wie es auf den ersten Blick erscheinen möchte – es ist der falsche Freund, der den Umgarnten hält und in seiner treulosen Umarmung endlich erstickt. – Aber ich halte Sie von Ihrer Arbeit ab,« unterbrach er sich wieder – »das war mein Wille nicht. – Lieber Gott, es ist doch eigentlich recht traurig, daß ich immer und immer wieder nur allen Menschen im Wege sein muß!« – Er warf sich bei diesen Worten auf den Stein nieder, lehnte die Stirn auf seinen Arm und lag viele Minuten still und regungslos.

      Könnern zerbrach sich noch immer den Kopf, was er aus seiner neuen Bekanntschaft machen solle, denn manchmal kam es ihm so vor, als ob er es mit einem halb Wahnsinnigen zu thun habe, und dann auch wieder verwarf er den Gedanken und hielt den Fremden nur für einen Unglücklichen, der, in seinen Hoffnungen und Erwartungen getäuscht, Bitterkeit gegen das ganze Menschengeschlecht im Herzen trage, diesem Gefühle aber auf seine eigene barocke Weise Raum gebe. Es that ihm aber auch wieder leid, daß sich der Fremde seinetwegen Vorwürfe machen solle, und er sagte freundlich:

      »Machen Sie sich deshalb keine Sorge. Sie sind mir nicht im Geringsten im Wege und stören mich gar nicht. Im Gegentheil, es ist ganz angenehm, bei der Arbeit Jemanden zu haben, mit dem man plaudern kann, und in der Colonie habe ich bis jetzt leider noch Wenige getroffen, mit denen es der Mühe lohnte.«

      Der Fremde richtete sich langsam auf, strich sich die Haare aus dem Gesicht und sagte dann: »Ich danke Ihnen; Sie sind wenigstens nachsichtig mit meinem Geschwätz. Aber ich will Ihre Geduld auch nicht mißbrauchen – vielleicht vertreibe ich Ihnen die Zeit auf eine andere Weise« – und mit den Worten selbst trat er in das nächste Gebüsch, und Könnern sah zu seinem Erstaunen, wie er von dort eine Violine nahm und sie stimmte.

      »Sie sind Musiker?« fragte er.

      »Musikant – ja,« lachte der Fremde bitter vor sich hin – »ich darf den Bauern zum Tanz aufspielen und den Jungen die Griffe lehren und mir die Ohren zerreißen lassen, wenn sie mit den dicken, gefühllosen Fingern auf allen Saiten zugleich herumtappen« – und damit strich er wild in die Saiten, bis sich sein Ärger in den Tönen des eigenen Instrumentes milderte, und er zu einem weichen, meisterhaft gespielten Adagio einlenkte.

      Könnern lauschte entzückt dem Spiele des Fremden, und als dieser endlich innehielt und sein Instrument in tiefen Gedanken neben sich auf den Boden stemmte, sagte er freundlich:

      »Sie sind mehr als Musikant,


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