Nathan der Weise: Ein Dramatisches Gedicht, in fünf Aufzügen. Gotthold Ephraim LessingЧитать онлайн книгу.
wohl verreist nur sein?—
Nathan. Geht!—Allerdings.—
Ich seh, dort mustert mit neugier'gem Blick
Ein Muselmann mir die beladenen
Kamele. Kennt Ihr ihn?
Daja. Ha! Euer Derwisch.
Nathan.
Wer?
Daja. Euer Derwisch; Euer Schachgesell!
Nathan.
Al-Hafi? das Al-Hafi?
Daja. Itzt des Sultans
Schatzmeister.
Nathan. Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder?
Er ist's!—wahrhaftig, ist's!—kömmt auf uns zu.
Hinein mit Euch, geschwind!—Was werd ich hören!
Dritter Auftritt
Nathan und der Derwisch.
Derwisch.
Reißt nur die Augen auf, so weit Ihr könnt!
Nathan.
Bist du's? Bist du es nicht?—In dieser Pracht,
Ein Derwisch!…
Derwisch. Nun? warum denn nicht? Läßt sich
Aus einem Derwisch denn nichts, gar nichts machen?
Nathan.
Ei wohl, genug!—Ich dachte mir nur immer,
Der Derwisch—so der rechte Derwisch—woll'
Aus sich nichts machen lassen.
Derwisch. Beim Propheten
Daß ich kein rechter bin, mag auch wohl wahr sein.
Zwar wenn man muß—
Nathan. Muß! Derwisch!—Derwisch muß?
Kein Mensch muß müssen, und ein Derwisch müßte?
Was müßt' er denn?
Derwisch. Warum man ihn recht bittet,
Und er für gut erkennt: das muß ein Derwisch.
Nathan.
Bei unserm Gott! da sagst du wahr.—Laß dich
Umarmen, Mensch.—Du bist doch noch mein Freund?
Derwisch.
Und fragt nicht erst, was ich geworden bin?
Nathan.
Trotzdem, was du geworden!
Derwisch. Könnt' ich nicht
Ein Kerl im Staat geworden sein, des Freundschaft
Euch ungelegen wäre?
Nathan. Wenn dein Herz
Noch Derwisch ist, so wag ich's drauf. Der Kerl
Im Staat, ist nur dein Kleid.
Derwisch. Das auch geehrt
Will sein.—Was meint Ihr? ratet!—Was wär' ich
An Eurem Hofe?
Nathan. Derwisch; weiter nichts.
Doch nebenher, wahrscheinlich—Koch.
Derwisch. Nun ja!
Mein Handwerk bei Euch zu verlernen.—Koch!
Nicht Kellner auch?—Gesteht, daß Saladin
Mich besser kennt.—Schatzmeister bin ich bei—
Ihm worden.
Nathan. Du?—bei ihm?
Derwisch. Versteht:
Des kleinern Schatzes,—denn des größern wartet
Sein Vater noch—des Schatzes für sein Haus.
Nathan.
Sein Haus ist groß.
Derwisch. Und größer, als Ihr glaubt;
Denn jeder Bettler ist von seinem Hause.
Nathan.
Doch ist den Bettlern Saladin so feind—
Derwisch.
Daß er mit Strumpf und Stiel sie zu vertilgen
Sich vorgesetzt,—und sollt' er selbst darüber
Zum Bettler werden.
Nathan. Brav!—So mein ich's eben.
Derwisch.
Er ist's auch schon, trotz einem!—Denn sein Schatz
Ist jeden Tag mit Sonnenuntergang
Viel leerer noch, als leer. Die Flut, so hoch
Sie morgens eintritt, ist des Mittags längst
Verlaufen—
Nathan. Weil Kanäle sie zum Teil
Verschlingen, die zu füllen oder zu
Verstopfen, gleich unmöglich ist.
Derwisch. Getroffen!
Nathan.
Ich kenne das!
Derwisch. Es taugt nun freilich nichts,
Wenn Fürsten Geier unter Äsern sind.
Doch sind sie Äser unter Geiern, taugt's
Noch zehnmal weniger.
Nathan. O nicht doch, Derwisch!
Nicht doch!
Derwisch. Ihr habt gut reden, Ihr!—Kommt an:
Was gebt Ihr mir? so tret ich meine Stell'
Euch ab.
Nathan. Was bringt dir deine Stelle?
Derwisch. Mir?
Nicht viel. Doch Euch, Euch kann sie trefflich wuchern.
—Denn ist es Ebb' im Schatz,—wie öfters ist,
So zieht Ihr Eure Schleusen auf: schießt vor,
Und nehmt an Zinsen, was Euch nur gefällt.
Nathan.
Auch Zins vom Zins der Zinsen?
Derwisch. Freilich!
Nathan. Bis
Mein Kapital zu lauter Zinsen wird.
Derwisch.
Das lockt Euch nicht?—So schreibet unsrer Freundschaft
Nur gleich den Scheidebrief! Denn wahrlich hab
Ich sehr auf Euch gerechnet.
Nathan. Wahrlich? Wie
Denn so? wieso denn?
Derwisch. Daß Ihr mir mein Amt
Mit Ehren würdet führen helfen; daß
Ich allzeit offne Kasse bei Euch hätte.—
Ihr schüttelt?
Nathan. Nun, verstehn wir uns nur recht!
Hier gibt's zu unterscheiden.—Du? warum
Nicht du? Al-Hafi Derwisch ist zu allem,
Was ich vermag, mir stets willkommen.—Aber
Al-Hafi Defterdar des Saladin,
Der—dem—
Derwisch.