Memoiren einer Favorite. Александр ДюмаЧитать онлайн книгу.
an zu schreiben. Nun kam ich, in die Klasse, wo Rechnen und englische Sprache gelehrt ward. In dieser Klasse blieb ich sieben oder acht Monate, dann kam ich in die, welche man die »große« nannte.
Hier lehrte man Geographie, Geschichte, Musik und Zeichnen.
In diesen letzteren Künsten hatte ich schon einige Fortschritte gemacht, als eines Morgens meine Mutter laut weinend mich aufsuchte, um mir zu melden, daß mein Gönner, Lord Halifax, plötzlich gestorben sei. Er war mit dem Pferde gestürzt und hatte keinerlei Verfügung zu unsern Gunsten hinterlassen.
Meine Pension ward noch einen Monat lang bezahlt. Nach Ablauf dieses Monats aber sah sich meine Mutter wahrscheinlich genötigt, meine Erziehung zu unterbrechen, weil sie dann nicht mehr die Mittel besaß, die Kosten dafür zu bestreiten.
Die Neuigkeit, daß die kleine Bäuerin, deren Fortschritte die vornehmen Fräuleins oft gedemütigt, sich genötigt sehen würde, wieder die Schafe zu hüten, rief in der Klasse der Großen, zu welcher auch meine drei alten Feindinnen gehörten, die immer noch einen echt englischen Groll gegen mich bewahrten, allgemeine Freude hervor. In den unteren Klassen, wo ich mir einige Freundinnen erworben, bedauerte man mich.
Mistreß Colman tat, indem sie Abschied von mir nahm, als ob sie sich eine Träne trocknete, um ihren Schülerinnen ein gutes Beispiel zu geben, dabei aber hütete sie sich wohl, sich zu erbieten, meine Ausbildung unentgeltlich fortzusetzen, obschon sie mir mehr als einmal, besonders an den Tagen, wo meine Mutter sich einfand, um das vierteljährige Honorar für mich im voraus zu bezahlen, mehr als einmal gesagt hatte, ich würde in einem oder zwei Jahren die Ehre und der Stolz ihres Institutes sein.
Ich verließ das Pensionat und nahm weiter keinen Trost mit, als alle meine kleinen Toilettegegenstände und ein ganz neues Uniformkleid, dessen ich mich aber, wie Mistreß Colman mir einschärfte, nicht bedienen sollte, weil ich nicht mehr dem Pensionate angehörte.
Übrigens verließ ich Mistreß Colmans Haus, worin ich achtzehn Monate zugebracht, mit einer nach allen Seiten hin begonnenen, aber auch gleichzeitig in jeder Richtung unvollendeten Erziehung. Ich konnte lesen und schreiben, ich verstand ein wenig zu rechnen, ich hatte einige Kenntnisse in Geographie und Geschichte. Außerdem hatte ich drei Monate Zeichnen und Musik getrieben und besaß sonach, abgesehen vom Lesen und Schreiben, keine Fertigkeit, die mir hätte nützlich sein können.
Es war dies nicht genug, um mein Wohlergehen zu fördern, wohl aber mehr als nötig war, um mich meinem Verderben entgegen zuführen.
Meine Mutter hatte ebenfalls von dem Rückschlage des Unglücks, welches mich betroffen, zu leiden. Als die Pächterin sie wieder die arme, mittellose Witwe werden sah, die sie bei ihrer Ankunft gewesen, machte sie wieder aus ihr dasselbe, was sie anfangs gewesen, nämlich eine gewöhnliche Magd.
Was mich betraf, so taugte ich, durch meine begonnene Schulbildung zu einer halben Vornehmheit herangezogen, zu gar nichts mehr. Ich konnte nicht wieder auf den Pachthof zurückkehren, um wie eine Schäferin Marmontels in meinem himmelblauen Kleide und mit meinem großen Strohhut die Herde zu hüten. Man begann sich daher nach einem Unterkommen für mich umzusehen.
Eines Morgens kam Dicks Schwester, Amy Strong, um mir zu melden, daß dieses Unterkommen durch ihre Mutter gefunden sei. Ich sollte nämlich als Kinderwärterin und Elementarlehrerin zu Mr. Thomas Hawarden kommen, welcher, ich weiß nicht warum oder wie, den Namen der Stadt trug, die er bewohnte. Er war ein Schwager des letzten Alderman Boybel und Vater des berühmten Chirurgen von Leicester Square.
Die Stellung, die man mir anbot, war allerdings weit entfernt, meinen ehrgeizigen Träumen zu entsprechen; ich mußte aber leben und hatte daher keine Wahl der Mittel.
Man stellte meine Ausstattung aus den Trümmern der des Pensionats zusammen. Aus meinem himmelblauen Kleid ward ein gewöhnliches gefertigt, und da ich monatlich außer Kost und Wohnung zwölf Schillinge bekommen sollte, so erwartete man, daß ich durch angemessene Ersparnis die Mittel zur Vervollständigung meiner mangelhaften Garderobe erwerben würde.
Es war eine große Demütigung für mich, wieder nach Hawarden in einer Eigenschaft zurückzukehren, welche mit der einer dienenden Person nahe verwandt war. Es war dies aber einmal eine Laune des Gottes Zufall, der es sich zur Aufgabe gemacht zu haben scheint, mich bald zu erhöhen, bald zu erniedrigen. Du bist Zeuge, mein Gott, daß jetzt, in einer Erniedrigung, aus welcher ich keine Aussicht mehr habe mich emporzuarbeiten, ich dich mit dankbarerem Herzen anflehe, als ich es von der Höhe meiner Größe getan!
Drittes Capitel
Am 20. September 1776 trat ich in Mr. Thomas Hawardens Dienst.
Ich zählte damals zwölf bis dreizehn Jahre. Mr. Hawarden war ein Puritaner von altem Schrot und Korn, ernst und gerecht in allen Dingen. Seine Gattin war ihrerseits kalt und streng. Die Kinder, über welche ich Aufsicht führen sollte, waren die ihrer einzigen Tochter, welche während einer Reise des Vaters in Amerika an einer Brustkrankheit gestorben war.
Es waren ihrer drei. Die beiden ältesten zählten vier und fünf Jahre. Das jüngste befand sich noch in den Händen der Amme.
Eine große Pendeluhr schien die alles regelnde Gottheit des Hauses zu sein. Alle Sonnabende, wenn die Mittagsstunde schlug, ward sie aufgezogen und in Folge dieser Verrichtung, welche ich Mr. Hawarden auch nicht ein einziges Mal unterlassen sah, rollte die ganze Woche sich ab wie ein Räderwerk, das nicht weniger genau ineinandergriff wie das der Uhr selbst.
Der Leser wird mich fragen, wer die Uhr an Mr. Hawardens Stelle aufzog, wenn dieser Sonnabends mittags nicht zu Hause war? Hierauf antworte ich, daß Mr. Hawarden, welcher wußte, daß er an diesem Tage diese wichtige Funktion zu verrichten hatte, Sonnabends um halb zwölf Uhr nach Hause kam, wenn er ausgegangen war, oder erst um halb eins fortging, wenn er auszugehen hatte.
Während des ganzen Jahres, wo ich bei Mr. Hawarden war, sah ich ihn nicht einen Schritt schneller tun, als den andern, kein Wort lauter sprechen als das andere, nicht ein einziges Mal lächeln, nicht ein einziges Mal sich erzürnen, keine Gelegenheit zum Gutestun versäumen und nicht eine einzige Ungerechtigkeit begehen, wie unbedeutend dieselbe auch gewesen wäre.
Mistreß Hawarden war buchstäblich der Schatten ihres Ehegatten. Sie kam mir vor wie eine jener Püppchen, welche an den Wettergläsern das schöne Wetter und den Regen anzeigen. Das Weibchen, welches hinter dem Manne herauskommt oder hineingeht, wiederholt alle Bewegungen, welche dieser ausführt. Sie spannt ihren Regenschirm auf, wenn er zum Zeichen des herannahenden Sturmes den seinigen öffnet, und macht ihn zu, sobald er durch das Schließen des seinigen die Rückkehr des Sonnenscheins verkündet.
Mr. Thomas Hawarden mußte reich sein, obschon ich während eines ganzen Jahres in seinem Hause kein anderes Silber sah als die zwölf Schillinge, welche ich allemal am Ersten des Monats um zwölf Uhr morgens mit der gewohnten Pünktlichkeit des Hauses von Mistreß Hawardens elfenbeinweißer Hand ausgezahlt erhielt.
Das ganze Haus gehörte den beiden Gatten; von der einen Seite ging es auf die Hauptstraße der Stadt, von der andern auf einen Garten mit Gängen, die mit Meeressand bestreut waren, mit von Buchsbaum eingefaßten Beeten und pyramidenförmig zugestutzten Taxusbäumen.
Ein Gärtner hatte diesen kleinen Garten in Ordnung zu halten, und nie sah ich darin ein abgestorbenes Blatt oder eine geknickte Blume. Die Kinder gingen darin spazieren, aber sie wußten, daß sie nicht das Recht hatten darin zu spielen, und daß es ihnen verboten war, die Blumen oder Früchte anzurühren.
Im Sommer um sechs, im Winter um sieben Uhr stand man auf. Um acht Uhr begab sich die ganze Familie, Herrschaft und Dienstleute, bis zu dem Säugling und seiner Amme, in ein Zimmer, wo eine Bibel mit stählernen Schließhaken auf einem Lesepult angenietet war. Mr. Hawarden schlug diese Bibel auf, las ein Gebet und seine Frau antwortete Amen.
Dann schloß er die Bibel und man trat in das Speisezimmer, wo ein aus Milch, Butter und Eiern bestehendes Frühstück aufgetragen war. Eine große Teekanne, aus welcher jeder das Recht hatte, sich nach Belieben einzuschenken, obschon stillschweigend angenommen war, daß man dies nie mehr als zweimal täte, enthielt ungefähr ein Dutzend Tassen.
Wir waren fünf Personen bei Tische. Mr. Hawarden, Mistreß Hawarden, die beiden Kinder und ich, die ich infolge meiner