Tausend und Ein Gespenst. Александр ДюмаЧитать онлайн книгу.
zur Rechten des Herrn Ledru für sie, einer ihr gegenüber für mich.
V.
Die Ohrfeige der Charlotte Corday
Dieser Tisch des Herrn Ledru hatte seinen Charakter, wie Alles das, was bei Herrn Ledru war.
Es war ein großes, an die Gartenfenster gestütztes Hufeisen, welches drei Viertel des unermeßlichen Saales für die Bedienung frei ließ. Dieser Tisch konnte zwanzig Personen empfangen, ohne daß dadurch Jemand genirt war; man aß immer an demselben, Herr Ledru mochte nun ein, zwei, vier, zehn, oder zwanzig Gäste haben oder allein essen; an diesem Tage waren wir nur zu sechs, und nahmen kaum den dritten Theil desselben ein.
Jeden Donnerstag war der Küchenzettel derselbe. Herr Ledru dachte, daß seine Gäste während der acht verflossenen Tage zu Haus oder bei den andern Wirthen, welche sie eingeladen hatten, etwas Anderes wieder gegessen haben. Man war daher gewiß, bei Herrn Ledru jeden Donnerstag Suppe, Rindfleisch, ein gebratenes Huhn, einen Hammelsbraten, Bohnen und Salat zu finden.
Die Hühner verdoppelten oder verdreifachten sich je nach den Bedürfnissen der Gäste.
Es mogte nun wenig, keine oder viel Gesellschaft da sein, Herr Ledru saß immer an dem einen Ende des Tisches, dem Garten den Rücken, dem Hofe das Gesicht zugewandt. Er saß in einem großen, seit zehn Jahren auf demselben Platze stehenden Sessel; – dort empfing er aus den Händen seines Gärtners Antoine, – der wie Meister Jacques in einen Bedienten verwandelt war, außer dem gewöhnlichen Weine einige Flaschen alten Burgunder, den man ihm mit gewissenhafter Sorgfalt überbrachtes den er entpfropfte und seinen Gästen selbst mit derselben Achtung und derselben Verehrung einschenkte.
Vor achtzehn Jahren glaubte man noch an Etwas, in zehn Jahren wird man an Nichts mehr glauben, nicht einmal an alten Wein.
Nach dem Mittagessen ging man in den Salon, um den Kaffee zu trinken.
Das Mittagessen verfloß, wie ein Mittagessen verfließt damit, die Köchin zu loben und den Wein zu preisen. – Die junge Frau allein aß nur einige Krumen Brod, trank nur ein Glas Wasser, und sprach kein einziges Wort aus.
Sie erinnerte mich an den Erdgeist aus Tausend Und Eine Nacht, welcher sich wie die Andern zu Tische setzte, aber nur um einige Körner Reis mit einem Zahnstocher zu essen.
Nach dem Mittagessen ging man wie gewöhnlich in den Salon.
Es war natürlicher Weise an mir, unserer schweigsamen Tischgenossin den Arm zu geben. Sie kam mir die Hälfte des Weges entgegen, um ihn zu nehmen. Es war immer dieselbe Nachlässigkeit in den Bewegungen, dieselbe Anmuth in der Haltung, ich mögte fast sagen, dieselbe Unfühlbarkeit in den Gliedern.
Ich führte sie an einen langen Sessel, auf den sie sich legte.
Während wir zu Mittag aßen, waren zwei Personen in den Salon geführt worden.
Es war der Doctor und der Polizeicommissär.
Der Polizeicommissär kam, uns das Protokoll unterzeichnen zu lassen, das Jacquemin bereits in seinem Gefängnisse unterzeichnet hatte.
Ein kleiner Blutflecken war auf dem Papier zu bemerken:
Ich unterzeichnete nach meiner Reihe, und indem ich unterzeichnete, fragte ich:
– Was ist das für ein Fleck? rührt dieses Blut von der Frau oder von dem Gatten her?
– Es rührt von der Wunde her, antwortete mir der Polizeicommissär, welche der Mörder an der Hand hatte, und die fortwährend blutet, ohne daß man das Blut zu stillen vermag.
– Begreifen Sie, Herr Ledru, sagte der Doctor, daß dieser dumme Mensch darauf beharrt zu behaupten, daß der Kopf seiner Frau zu ihm gesprochen hatte?
– Und Sie halten die Sache für unmöglich, nicht wahr, Doctor?
– Bei Gott!
– Sie halten es sogar für unmöglich, daß die Augen sich wieder geöffnet haben?
– Unmöglich.
– Sie glauben nicht, daß das in seinem Ausfließen durch diese Lage Gyps, welche auf der Stelle alle Adern und alle Gefäße verstopft hat, unterbrochene Blut, diesem Kopfe einen Augenblick des Lebens und des Gefühles hat wiedergeben können?
– Ich glaube es nicht.
– Nun denn! sagte Herr Ledru, ich glaube es.
– Ich auch, sagte Alliette.
– Ich auch, sagte der Abbé Moulle.
– Ich auch, sagte der Chevalier Lenoir.
– Ich auch, sagte ich.
Der Polizeicommissär und die bleiche Dame allein sagten nichts: – der eine ohne Zweifel, weil ihn die Sache nicht genug interessirte, die andere vielleicht, weil sie die Sache zu sehr interessirte.
– Ah! wenn Sie Alle gegen mich sind, so werden Sie Recht haben. Nur, wenn einer von Ihnen Arzt wäre. . .
– Aber, Doctor, sagte Herr Ledru, Sie wissen, daß ich es so ziemlich bin.
– In diesem Falle, sagte der Doctor, müssen Sie wissen, daß es da keinen Schmerz mehr gibt, wo es kein Gefühl mehr gibt, und daß das Gefühl durch die Trennung der Wirbelsäule zerstört wird.
– Und wer hat Ihnen das gesagt? fragte Herr Ledru.
– Der Verstand, bei Gott!
– O! eine schöne Antwort. – Ist es nicht etwa auch der Verstand, der den Richtern, welche Galilei verdammt haben, sagte, daß es die Sonne wäre, die sich drehe, und daß die Erde regungslos bliebe? – Der Verstand ist ein Dummkopf, mein lieber Doctor. Haben Sie selbst Versuche an abgeschnittenen Köpfen angestellt?
– Nein, niemals.
– Haben Sie die Dissertationen Sömmerings gelesen? Haben Sie die Protokolle des Doctor Sue gelesen? Haben Sie die Protestationen Oelchers gelesen?
– Nein.
– Demnach also glauben Sie, nicht wahr, nach dem Berichte des Herrn Guillotin, daß seine Maschine das sicherste, das schnellste und das am wenigsten schmerzhafte Mittel ist, das Leben zu beendigen.
– Ich glaube es.
– Nun denn! Sie irren sich, mein lieber Freund, das ist Alles.
– Ah! zum Beispiele!
– Hören Sie, Doctor, da Sie Sich auf die Wissenschaft berufen haben, so will ich Ihnen wissenschaftlich antworten, – und glauben Sie es nur, Niemand von uns ist dieser Unterhaltung fremd genug, um nicht daran Theil zu nehmen.
Der Doctor machte eine Geberde des Zweifels.
– Gleichviel, dann werden Sie allein verstehen.
Wir hatten uns Herrn Ledru genähert, und ich für mein Theil hörte ihm begierig zu, da die Frage der entweder durch den Strick, oder durch das Schwert, oder durch Gift angewandten Todesstrafe, mich immer als eine Frage der Menschlichkeit außerordentlich beschäftigt hatte.
Ich hatte sogar selbst einige Nachforschungen über die verschiedenen Schmerzen angestellt, welche den verschiedenen Todesarten vorausgehen, sie begleiten und ihnen folgen.
– Wohlan, sprechen Sie, sagte der Doctor in einem ungläubigen Tone.
– Es ist leicht jedem, der nur den geringsten Begriff von dem Baue und von den Lebenskräften unseres Körpers hat, fuhr Herr Ledru fort, zu beweisen, daß das Gefühl nicht gänzlich durch die Hinrichtung zerstört ist, und das, was ich behaupte, Doctor, ist nicht auf Hypothesen, sondern auf Thatsachen begründet.
– Lassen Sie diese Thatsachen hören.
– Hier sind sie: 1) der Sitz des Gefühles ist in dem Gehirn, nicht wahr?
– Das ist wahrscheinlich.
– Die Verrichtungen dieses Bewußtseins des Gefühles können vor sich gehen, obgleich der Umlauf des Blutes durch das Gehirn unterbrochen, geschwächt oder theilweise zerstört sei.
– Das