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Hüter der Freude. Paul LeppinЧитать онлайн книгу.

Hüter der Freude - Paul Leppin


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mit dem blanken Messingbecken vor der Türe und den bunten Diplomen an den winkligen Wänden war immer überfüllt. Sie war seit Jahren in der deutschen Gesellschaft Prags in Mode gekommen und ihr Eigentümer verstand es, die Gunst der Verhältnisse zu nützen. Sein volles Diplomatengesicht war stetig von einem verbindlichen Lächeln erlustigt, das den Eintretenden empfing und wieder hinausgeleitete und in der spielerisch betonten Höflichkeit seines Wesens stak ein gutes Stück Ironie und Welterkenntnis. In seinem Geschäftslokale wurde nicht bloß barbiert, Bart und Kopfhaare geschnitten, Kölnisch-Wasser und Puder zerstäubt, es herrschte hier eine traditionelle Geselligkeit, eine geistige Separatkultur, die durch die rein prägen sehe Form des Kalauers am wirkungsvollsten gekennzeichnet erschien. Herr Scheibenhonig leitete mit klugem Takt und bedachtsamem Verständnis den intellektuellen Mist seiner Kunden in die richtigen Bahnen. Er erwies sich immer in jeder Situation als der Mann von Welt, über dessen beiläufige Schlagfertigkeit ein artiger Schwank kursierte.

      Ein älterer Hofrat der vornehmsten Behörde begegnete ihm einmal auf dem neutralen Boden einer Wohltätigkeitsgesellschaft. Obwohl er zu seiner tagtäglichen Kundschaft gehörte, vermochten seine durch den beständigen Staatsdienst zerrütteten Sinne den eleganten Herrn im Frack nicht gleich richtig zu registrieren. In der Meinung, einen seiner Beamten vor sich zu haben, erwiderte er mit kollegialer Herablassung seinen Gruß und fühlte sich bewogen, den ohne Zweifel sehr repräsentablen Untergebenen mit einer Ansprache zu beglücken.

      In welchem Departement arbeiten Sie jetzt? – fragte er freundlich den sich respektvoll Verneigenden.

      In meinem eigenen, Herr Hofrat, – ich bin der Friseur Scheibenhonig.

      In dem drehbaren Armstuhl neben der offenen Türe, der wegen der frischen Luft, die von draußen hereinkam, allgemein den Beinamen »Riviera« führte, hatte eben ein junger Mann mit auffallend hohem Stehkragen Platz genommen. Die aufdringliche Beflissenheit, die sich um ihn entfaltete, gab zu erkennen, daß er gewohnt sein mochte, Ansprüche zu stellen und daß er nicht zu den Knickern gehörte.

      Meermann legte dem Ankömmling den blütenweißen Umhang um die Schultern und zwang seine Miene zu einem grimmigen Grinsen.

      Eine Waschung gefällig – Herr Römerstern?

      Meinetwegen. – Schampoon oder Pix?

      Pix und ein Tropfen Birkenwasser. Geschäftig trug der Lehrjunge einen Haufen Servietten herbei. Während Meermann sich anschickte, den Kopf des Sitzenden in eine riesige Seifenkugel zu verwandeln, näherte sich der Chef mit listigem Schmunzeln.

      Wissen Sie schon, was für ein Handwerk Meermann eigentlich gelernt hat? Nein. –

      Er ist ein Schneider. Ein Schneider – wieso?

      Nun, das merkt man doch. Weil er die Leute schneidet. Ein Blick unsäglicher Verachtung aus den runden Augen des Verspotteten spießte sich in das Gesicht des Erzählers.

      Blöder Kerl! – knurrte er und seifte gewaltig, daß die Flocken stoben. Das Auditorium wieherte vor Vergnügen. Dieses gemütliche Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Angestelltem war unbezahlbar.

      Je, aber haben Sie es denn schon bemerkt, wie täuschend er dem Tell ähnlich sieht? – fragte jetzt Römerstern und duckte sich tiefer in den Sessel.

      Dem Tell? – Der Meermann dem Tell? – Sie meinen den Wilhelm Tell? –

      Nein. Ich meine den Trot-tel.

      Eine Lachsalve erschütterte eine Zeitlang das Gewölbe. Ausgezeichnet! – Wirklich ausgezeichnet! – rief begeistert Herr Scheibenhonig. Selbst der Lehrjunge lachte in der Ecke.

      An Meermann reichte heute der Spektakel nicht heran. Er hatte sich in einen hartnäckigen Gleichmut zurückgezogen, der ihn gegen allen Unflat schützte. Sein breiter Daumen fuhr über den eingeseiften Schädel des Witzlings und massierte die Kopfhaut. Was tat ihm das, was da die jungen Herren schwatzten? Es war nun einmal so auf dieser Welt. Ein jeder trug die Nase hoch und höhnte den andern. Nur er war der Niemand, der arme Hund, der den Leuten den Bart putzte. – – –

      Auch Römerstern verstummte. Der würzige Geruch des Pixavons hüllte sein Gehirn in Schläfrigkeit. Die gleichförmigen Geräusche der Rasierstube, das Klappern der Scheren, das Knittern der Zeitungsblätter, das Gelächter, das zwischen den Gesprächen hin- und herkollerte, lullten ihn in Betäubung. Er war müde. Es war allerdings heute wieder fünf Uhr morgens gewesen, als ihn die Droschke nach Hause brachte. In der Bank mußte er dann um dreiviertel neun schon wieder zum Dienst antreten. Das hielt ja kein Pferd aus. Dazu kamen noch die immerwährenden, schauerlichen Sorgen!

      Sein hübsches, arrogantes Gesicht gaffte übernächtig aus dem Spiegel. Die heutige Bummelei hatte er ja ohnehin nur aus dem Grunde veranstaltet, um für ein paar Stunden die quälenden Gedanken los zu werden. Dabei war ihm trotzdem die ganze Nacht der verfluchte Wechsel nicht aus dem Kopfe gegangen, den ihm dieser Herr Bambula morgen präsentieren würde. Achthundert Kronen waren immerhin ein hübsches Geld, besonders wenn man bedachte, daß sie in längstens drei Tagen beschafft sein sollten. Prolongieren würde Bambula diesmal bestimmt nicht mehr.

      Eine Gänsehaut lief kalt und zapplig über seinen Rücken. Fröstelnd zog er den Frisiermantel dichter an sich und gähnte ungeniert. Alles in allem saß er also glücklich in der famosesten Klemme. Eine aus Resignation und Mitleid gemischte Stimmung kam über ihn und wandelte sich langsam in eine weinerliche Verbitterung. Die andern, seine Kollegen und die Jünglinge, mit denen er in der Gesellschaft zusammentraf, konnten leicht großtun. Ihnen blieb im schlimmsten Falle, wenn alle Mittel versagten, die Beichte zu Hause und der Geldsack des Vaters. Ihm aber, was blieb ihm? Ein gehässiger Ärger verzog seine Lippen, wenn er an die dreizimmrige Wohnung daheim und an seine Eltern dachte. Das waren ja Proletarier. Ohne Schwung und ohne Verständnis für eine bessere Lebensführung. Die würde er um das Geld nicht angehen, selbst wenn sie es besäßen. Aber sie hatten es nicht einmal. –

      Römerstern ließ das Kinn auf die Brust sinken. Ein leiser Kopfschmerz kitzelte ihn hinter den Schläfen und seine Gedankengänge verwirrten sich. Zusammenhanglos sprangen zerstückelte Begebenheiten aus vergangenen Jahren darin auf. Das wohlige Gefühl umfing sein Bewußtsein, für eine Viertelstunde in den bequemen Armstuhl gebannt zu sein, ohne sich rühren zu müssen. Er blies eine Fliege von der Nasenspitze fort, streckte die Beine aus und entschlummerte.

      Aus der verkaterten Kläglichkeit seines Daseins hob ihn der Schlaf in eine kreisrunde Helle hinein. Aus einer glühenden Blume ergoß sich ein Lichtkegel in den Raum. Ein alter Steindruck hing an der Wand, der die Flucht der Muttergottes nach Ägypten darstellte. Den Kopf über ein zerlesenes Gebetbuch gebeugt saß eine Frau neben der leuchtenden Blume. Römerstern erkannte das Zimmer. Es war die Stube, in der er seine Knabenzeit verbracht hatte, bevor er aus dem Hause schied, um möbliert zu wohnen. Die rote Blume auf dem Tische war die Lampe, die seine Kinderjahre mit ihrem Lichte wärmte. Die alte Frau dort mit dem Gesangbuch zwischen den Fingern war seine Mutter. Eine schämige Freude erschütterte ihn plötzlich. Er dachte daran, wie die Tränen schmeckten, die er als Kind an ihrem Halse weinen durfte. Aber seine Lider blieben trocken und er konnte den Mund nicht öffnen, um sie zu rufen.

      Da löschte der Schlaf das Lampenlicht aus und entführte ihn in ein sekundenlanges Dunkel. Als dann die Dämmerung wiederkehrte, durchflutete sie den Saal mit den Gasthaustischen und dem Kleiderständer neben dem Eingang. Eine Gesellschaft von Damen und Herren saß um die hufeisenförmige Tafel und an der Präsidentenecke stand Römerstern und hielt eine Ansprache an das Komitee. Sein Oberkörper wiegte sich in den Hüften und sein Bleistift klopfte das Protokollbuch. Es mußte der eleganteste Ball der Saison werden. Die Jünglinge mit den sorgfältig gezogenen Scheiteln klatschten Beifall, Mädchenaugen begrüßten ihn funkelnd. – –

      Ein Geigenton zerriß die Szene. Das Licht verschwamm, flackerte weiter an Torbogen und gelben Laternen vorbei bis zu dem Hause mit den großen Fenstern. Das Kaffeehaus war erleuchtet, die Zigeunermusik vibrierte darin. Die Kellnerin mit der blonden Frisur und den granatroten Lippen flüsterte mit Römerstern. Er lauschte nervös und zerstreut. Dann neigte sich der kahle Kellner mit der zerknitterten Hemdbrust zu ihm und nickte lächelnd. Seine feuchte Hand fuhr in das Innenfutter des Fracks und holte eine abgegriffene Ledertasche hervor. Drin saßen die Hundertkronennoten wie die Mäuse im Speck. Eine von ihnen,


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