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Hüter der Freude. Paul LeppinЧитать онлайн книгу.

Hüter der Freude - Paul Leppin


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ein Schrecken auf Römerstern zu, kam näher und näher. Er sah die halbdunkle Straße hinunter, die sich ihm öffnete, und eine nichtswürdige Furcht lähmte seine Glieder. In der Tiefe, wohin eine Faust ihn abwärts schob, waren die Schatten. Läppische Gestalten mit mißlungenen Gebärden, die frech und knechtisch nach ihm äugten. Schmutzfinken aus dem Inseratenteil der Tagespresse, die Meute, die nach Prozenten hungerte. Da standen die Geldgeber aus der inneren Altstadt, Kaufleute mit Speiseflecken auf der gewölbten Weste und Raubtierfratzen unter dem Hute. Agenten, die eine abgerissene Eleganz zur Schau trugen, Kneipenwirte mit dem Rotwälsch des Kriminals. Fromme Witwen, die mit ihrem Pfunde wucherten und der verschwitzte Oberkellner aus dem Kaffeehaus »Zur Gemse«.

      Römerstern ging mit zusammengebundenen Füßen. In seinem Gehirn regte sich das versteckte Wissen, daß es ein böser Traum war, der ihn narrte. Die Gefühle eines Gefesselten marterten ihn, den man mit Unrat besudelt. Mit Grauen und Widerstreben rückte er vor die Phalanx. In der vordersten Reihe, dicht vor ihm, stand Bambula. Das faule Gebiß wuchs schräg aus seinen Kiefern und er klapperte mit den Augendeckeln. Schmatzend, mit Üblem Atem, spie er dem Ohnmächtigen eine Ziffer entgegen. – – –

      Römerstern fuhr auf. Ein taumelndes Entsetzen wirbelte ihn blitzschnell in die Wirklichkeit. Er öffnete die Augen und sah in das behäbige Gesicht Meermanns hinein, der treuherzig mit der Serviette knallte. –

      V. KAPITEL

DIE WELTFREUNDEBIETEN EINANDEROHRFEIGEN AN

      Das Café Portugal hatte seine Spezialitäten. Mit dem Komfort seiner Einrichtung, den Klubsesseln, der Holztäfelung, den Beleuchtungskörpern aus dem letzten Jahrzehnt des Kunstgewerbes schien es ein Kaffeehaus für bemittelte Bürgersleute zu sein, die hier am Sonntag nachmittag oder wochentags nach dem Abendessen mit ihren Frauen und Töchtern die »Neue Freie Presse« oder die »Národni Listy« lasen. Der Spaziergänger, der draußen vorüberschlenderte und einen Blick durch die hohen Spiegelscheiben tat, nahm die gewohnten Eindrücke mit auf den Weg; erhitzte Damen, die ihre Korpulenz hinter schlecht sitzenden Miedern verbargen, Kinder, denen die braune Fülle der Schokoladekuchen aus den Mundwinkeln tropfte, ältere Heeren mit rosafarbigen Glatzen und großen Ametystanhängseln an der goldenen Uhrkette. Der Wirt, der manchmal im schwarzen Gehrock zwischen den Tischen erschien und seinen Gästen händereibend freundliche Verbeugungen machte, war ein dicker Mann mit Pockennarben, der das Haar wie eine Bürste aufgekämmt trug und den wohlanständigen Typ des Lokals in keiner Weise beeinträchtigte. Das Geschäft war gut und die Einnahme reichlich. Er kniff die Augen zufrieden zusammen und zog einen Strich unter unfruchtbare Träume.

      Im Grunde seines Herzens war Herr Bumberlik ein Phantast. Sein wohlgenährtes Exterieur umschloß eine unbotmäßige Seele, die heimlich auf unwegsamen Gebieten wildern ging. In der Spießerhaftigkeit seines Daseins hatte er sich eine Vorliebe für alles Zügellose und Ungeordnete bewahrt, für alles, was über die Stränge schlug und Revolutiönchen machte. Vor Jahren trat er einmal mit der Absicht hervor, ein vages, aus der Art geschlagenes Unternehmen zu begründen. Im Keller des Hauses, durch eine steile Wendeltreppe auf romantische Weise zugänglich, hatte er einige wundervolle Räume entdeckt, runde und eckige Katakomben, Stiegengänge, die Unaussprechliches umwitterte. Der Gedanke, hier einen Sammelpunkt für ungebundene Elemente zu schaffen, ein nächtliches Kabarett mit orgiastischem Programme, ließ ihn nicht mehr los, Arbeiter kamen und setzten den Keller in Stand, leiteten Licht und Luft in die Tiefe. Junge Maler bekritzelten die Wände mit Karikaturen, verklexten Farbentöpfe, schmierten Totentänze und Gerippe an die Decke. Stellenlose Artisten fanden sich ein, der Malerklüngel der Stadt, Dichter und Halbweltdamen. Aber vor dem Eröffnungsabend verbot die Polizei die ganze Geschichte und Herr Bumberlik mußte den Keller schließen.

      Ein Trost allerdings entschädigte ihn für die Enttäuschung. Das fahrende Volk, mit dem er seiner Pläne wegen in Fühlung getreten war, blieb ihm treu und verbrachte einen guten Teil des Tages und auch der Nacht in seinem Kaffeehause. In einem den bürgerlichen Gästen abgekehrten Hinterzimmer versammelten sich von nun an die jungen Künstler der Stadt, deutsche und tschechische Literaten mit dem gemischten Gefolge, das dazugehörte. Herr Bumberlik brachte allen eine an Liebe grenzende Sympathie entgegen. Er sorgte dafür, daß sein Geschäftsführer alle die Literaturblättchen abonnierte, wo die Essays und Gedichte seiner Gäste gedruckt wurden, er subskribierte alle Zeitschriften, die auf Büttenpapier mit gerissenen Rändern erschienen. Für die Genießlinge und Ästheten hatte er eine umfangreiche erotische Bibliothek in Gewahrsam, niedliche Obszönitäten, die er außer den Stammgästen nur jenen in diskreter Weise präsentierte, die mit Betonung »Kunstsachen« verlangten. Aber auch materielle Bedürfnisse fanden an ihm einen Helfer und Freund. Er gewährte Kredit, war nachsichtig gegen Schuldner. Oft machte er sich einzig und allein mit der Freude darüber bezahlt, daß man in Prag das Café Portugal ein Künstlerkaffeehaus nannte.

* * *

      Fräulein Muck aus Bischofteinitz war heute die erste in der Ecke, in der sich von sechs Uhr abends an die jungen Genies zu treffen pflegten. Sie hielt die Stielbrille vor die kurzsichtigen Augen und las im »Brenner«. Die Lektüre strengte sie an und ihr beständig fieberisch gerötetes Gesicht wurde noch um einen Schatten dunkler. Sie las mit einem gewissermaßen devoten Pflichtgefühl. Hatte nicht Karl Kraus den »Brenner« die einzige unabhängige Zeitschrift in Deutschland und Österreich genannt?

      Der borstige Bart Sturmfensters tauchte im Türrahmen auf und seine schlotternde Gestalt kam unentschlossen näher. Er saß viel lieber draußen in dem großen Salon und sah sich durch die Glasscheiben die Leute auf der Straße an. Aber es war wieder einmal kein Plätzchen mehr zu haben.

      Guten Tag! – grüßte er und zog einen Sessel zum Tisch.

      Fräulein Muck nickte zerstreut. Dieser Prolet mit den ungepflegten Nägeln war ihr zuwider. Es war ihr unbegreiflich, wieso die anderen seinen Verkehr suchen konnten. Ein plumpes, kulturloses Tier, ohne geistige Prägung.

      Ein hysterischer Frosch, – räsonierte Sturmfenster – der die Literatur für seine Gebärmutterkrisen verantwortlich macht. – –

      Klirrend stieß er das winzige Geschirr beiseite, aus dem Fräulein Muck den auf türkische Art bereiteten Mokka getrunken hatte und warf einen haßgrünen Blick auf die vor ihr aufgetürmten schöngeistigen Journale.

      Ein Krügel Pilsner und die »Fliegenden Blätter« – bestellte er schallend und schneuzte geräuschvoll.

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