Verbergen und Suchen. Уилки КоллинзЧитать онлайн книгу.
von diesen laut klatschenden Händen konnte sie erreichen; sie konnte sehen, dass man sie freundlich bewillkommte, und das war alles!
Als der Beifall nachgelassen hatte, ersuchte Herr Jubber eine der gegenwärtigen Damen um ein Taschentuch und verband prahlerisch die Augen der Taubstummen; er hob sie dann auf die breite niedrige Mauer, welche die Barriere umgab, und ging ein wenig darauf mit ihr herum, indem er die Zuschauer einlud, durch Zusammenschlagen ihrer Hände, durch lautes Schreien oder durch irgend ein beliebiges lautes Geräusch dicht am Ohr des armen Kindes ihre gänzliche Taubheit zu erproben.
Darauf begann die Ausführung der Zauberkunststücke, bei denen sie von Herrn Jubber und einem Milgliede der Gesellschaft auf jeder Seite unterstützt wurde. Diese Kunststücke waren an sich selbst von der einfachsten und gewöhnlichsten Art und erlangten ihre Anziehungskraft nur durch die unschuldig ernste Manier, womit sie das Kind ausführte, und dadurch, dass sich die Zuhörer nur mit ihm unterhalten konnten, wenn sie das, was sie ihr mitteilen wollten, auf eine Schiefertafel schrieben. Sie wurden niemals müde, Fragen aufzuschreiben, »armes kleines Wesen!« zu sagen und sie zu küssen, so oft sich eine Gelegenheit dazu darbot, während sie um den Zirkus herumging. »Liebes, liebes taubstummes Kind« war das allgemeine Gemurmel des Mitgefühls, womit sie jede neue Gruppe begrüßte, als sie vorwärtsschritt, und Herr Jubber verfehlte nicht, stets mit einem Lächeln hinzuzufügen: »Und wie Sie sehen, meine Damen und Herrn! Trotzdem erfreut sie sich einer ausgezeichneten Gesundheit und Laune, und ich gebe ihnen mein heiliges Ehrenwort darauf, sie ist so frisch und mutig wie der Beste von uns!«
Während sie so die Zuschauer auf der einen Seite des Zirkus ergötzte, was fingen wohl die Zuschauer auf der andern Seite zu ihrer Unterhaltung an, deren Plätze sie noch nicht erreicht hatte?
Von dem ersten Augenblicke an, wo das Kind auftrat, wurde ihnen durch das Benehmen eines großen, starken und muntern Fremdlings, der, sobald er das taubstumme Kind erblickte, plötzlich seine Sinne zu verlieren schien, hinreichende Unterhaltung gewährt. Dieser Herr sprang wohl ein Dutzend Mal in einer Minute aufgeregt auf und setzte sich ebenso oft wieder nieder. Sobald er zur Ordnung gerufen wurde, bat er um Entschuldigung und einen Augenblick nachher veranlasste er dieselbe Störung wieder. Unsinnige und geheimnisvolle Worte, die niemals vorher in Rubbleford gehört wurden, fielen von seinen Lippen. »Andächtige Schönheit«, erste italienische Kunst, »Fra Angelicos Engel,« »Giatta und die Cherubin«, genug um den göttlichen Raphael herniederzubringen, um sie zu malen. Dies waren einige Bruchstücke von den unzusammenhängenden Äußerungen des tollen Herrn, welche zu den Ohren der Nachbarn gelangten.
Langsam, langsam glitt die kleine leichte Gestalt um die breite Mauer des Zirkus herum, bis sie immer näher und näher zu dem Platze kam, wo Valentin saß. O erbarmungsvoller Anblick! So lieblich und dennoch so mitleiderregend anzuschauen, soll sie niemals, niemals wieder freundliche Menschenstimmen, den Gesang der Vögel, das liebliche Murmeln der Bäume hören? Sind alle diese süßen Töne, welche der Kindheit von Glückseligkeit singen, auf immer unhörbar für sie?
Sollen ihren frischen Lippen niemals heitere Worte entströmen, wenn sie im Sonnenschein umherläuft und spielt? Soll das junge zarte Leben als ein sprachloses Wesen auf immer stumm von der freien Welt der Stimmen abgeschlossen sein? O Engel des Gerichts! Hast Du diesem kleinen Kinde sein Gehör und seine Sprache entrissen, um es in hilfloser Betrübnis einer solchen Entweihung preiszugeben, wie es jetzt erleidet?
Langsam, langsam glitt die leichte Gestalt durch den großen Kreis von Zuschauern, gehorsam zu ihrem Vergnügen beitragend, geduldig wartend, bis ihre Neugier befriedigt war. Nun war ihre mühsame Pilgerschaft für den heutigen Abend bald vorüber. Sie gelangte jetzt zu der letzten Gruppe von Zuschauern, welche noch sehen sollten, wie sie in der Nähe aussah und was sie für Kunststücke mit ihren Karten ausführen konnte.
Sie blieb gerade vor Valentin stehen, und als sie aufsah, sah sie nach ihm allein hin.
War irgendetwas in dem leidenschaftlichen Mitgefühl seiner Augen, als sie den ihrigen begegneten, welche mit dem kleinen verlassenen Herzen in der einzigen Sprache redeten, welche es jemals erreichen konnte? Konnte das Kind mit jenem schnellen Instinkt der Taubstummen sein Mitgefühl, seine schnelle ungestüme Gereiztheit, sein Mitleid und sein Verlangen, ihm zu helfen, in jenem Augenblicke in seinem Ausdruck lesen? Es könnte wohl so sein. Ihre hübschen rosigen Lippen lächelten ihm zu, wie sie noch niemandem an jenem Abend zugelächelt hatten; und als sie einige Karten zeigte, um sie auszuwählen, ließ sie die gierigen Hände, welche sich auf jeder Seite von ihr ausstreckten, unbeachtet und überreichte sie Valentin allein.
Er sah, wie die kleinen Finger, als sie die Karten hielten, zitterten; er sah die zarten kleinen Schultern und den armen kleinen Nacken und die zarte Brust herausgeputzt mit flitterhaften falschen Juwelen und Spangen; er sah das unschuldige junge Gesicht, dessen reine Schönheit kein Schmutz der Theaterschminke entstellen konnte, mit dem Lächeln noch auf den geöffneten Lippen, aber mit einer geduldigen Hilfslosigkeit in den traurigen blauen Augen, wie wenn das ihr übrig gebliebene Gesichtsorgan immer über das verlorne Gehör und die verlorne Sprache trauerten – er bemerkte alle diese Dinge in einem Augenblick und fühlte sein Herz erbeben, als er sie ansah. Ein Schleier legte sich über sein Gesicht, ein erstickendes Gefühl erdrückte seinen Atem, die Lichter im Zirkus tanzten auf und nieder vor ihm, er beugte sich über des Kindes Hand, nahm es in die seinigen und küsste es zweimal feurig; dann stand er zum größten Erstaunen der ihn umgebenden Menge plötzlich auf und etwas über einen kläglichen Anblick murmelnd, der zu herzzerreißend wäre, um ihn zu ertragen, lief er so schnell aus dem Zirkus, als wenn sein Leben in Gefahr gewesen wäre.
Es entstand eine augenblickliche Verwirrung unter den Zuschauern.
Herr Jubber war ein zu alter Kunstverständiger in allen Theaterangelegenheiten, um nicht zu wissen, wie er diesem wachsenden Tumulte sogleich Einhalt tun und ihn in allgemeinen Beifall verwandeln könnte.
»Meine Herren nnd Damen!« rief er mit einem leichten Zittern in seiner Stimme, »ich bitte Sie, sich wieder zu
setzen und die Aufführung des Herrn zu entschuldigen, der sich soeben entfernt hat. Der geheimnisvolle Findling hat in jeder Stadt Englands auf einige Leute diese Wirkung hervorgebracht.« (Freudengeschrei) »Irre ich mich, wenn ich glaube, dass die Rubbleforder Zuhörer die Güte haben werden, ihre schwächeren Mitmenschen zu entschuldigen?« (Bravo und Freudengeschrei) »Dank, tausend Dank, im Namen dieses lieben talentvollen Kindes für ihren herzlichen, großmächtigen, liebevollen und unschätzbaren Empfang seiner heutigen Leistungen. Nach dieser Rede verließ Herr Jubber mit seiner Schülerin den Zirkus und bemerkte nicht, dass das Kind, als es hinter ihm herging, bis zuletzt gedankenvoll nach der Richtung hinblickte, in der Valentin fortgegangen war.
»Das Publikum liebt die Aufregung«, sprach Herr Jubber vor sich hin, als er hinter der roten Gardine verschwand. »Das muss morgen alles auf dem Zettel stehen. Wir werden dadurch sicher dreißig Schilling mehr einnehmen.«
Unterdessen fand Valentin, nachdem er an mehreren unrechten Türen herumgetappt hatte, zuletzt seinen Weg aus dem Zirkus und stand nun allein auf dem feuchten Grase in dem wolkenlosen Herbstmondlicht.
Er schlug mit seinem Stock heftig auf den Boden, welcher bei ihm in diesem Augenblicke den Kopf des Herrn Jubber vorstellte. Noch vor sich bin murmelnd, war er jedoch schon im Begriff, nach der Rektorwohnung zurückzukehren, als er eine atemlose Stimme hinter sich hörte, welche ausrief: »Warten Sie, mein Herr, bitte, eine Minute.«
Er drehte sich um. Eine dicke stattliche Frau in einem flitterigen und zerrissenen Kleide lief so schnell, als es ihre natürlichen Hindernisse einer schnellen Fortbewegung gestatten wollten, auf ihn zu.
»Bitte, mein Herr«, rief sie aus. »Waren Sie es nicht, der sich so außerordentlich benahm, als er unsern kleinen Findling sah? Ich blickte gerade in diesem Augenblicke durch die rote Gardine.«
Statt diese Frage zu beantworten, fing Valentin sogleich an, in unzusammenhängender Rede über das Gesicht des Kindes zu sprechen.
»O mein Herr, wenn Sie irgendetwas über das Kind wissen«, unterbrach ihn das Weib, »so tragen Sie um des Himmels Willen kein Bedenken, es mir zu sagen! Ich bin nur Frau Peckover, mein Herr, die Frau des Jenny Peckover, des Clown, wie sie ihn nennen, und den sie heute Abend im Zirkus sahen. Ich nahm mich des kleinen