Geliebte Stimme. Barbara CartlandЧитать онлайн книгу.
Susanna sah sie mit weit aufgerissenen Augen verständnislos an.
„Aber das bedeutet doch nicht, daß Miss Harding gehen muß!“
„Natürlich tut es das. Was willst du mit einer Gouvernante, wenn du ausgehst? Vermutlich muß ich wohl oder übel die alles andere als angenehme Aufgabe übernehmen, dich überallhin zu begleiten.“
Die Art, wie Lady Lavenham das sagte, ließ keinen Zweifel offen, daß sie das als lästige Pflicht betrachtete.
Bevor Susanna etwas erwidern konnte, fügte ihre Mutter mit ätzender Schärfe in der Stimme hinzu: „Und nun sorge um Himmels willen dafür, daß du wenigstens einigermaßen annehmbar aussiehst. Weiß der Himmel, wie ich dich jemals unter die Haube bringen soll, wenn du so wenig Wert auf dein Äußeres legst.“
Einen Augenblick lang sah Susanna ihre Mutter bestürzt an, dann schoß brennende Röte in ihre Wangen. Sie drehte sich um und lief aus dem Zimmer.
Oben ließ sie sich mutlos aufs Bett fallen. Für sie war eine Welt eingestürzt. Der einzige Mensch, der sie verstand, sollte sie verlassen.
Natürlich war es töricht von ihr, zu vergessen, daß ihr Debüt bevorstand und sie bald, wie May vor ihr, von Ball zu Ball geschleppt werden würde, von einem Empfang zum anderen; und sie wußte jetzt schon, daß ihr der ganze Rummel zuwider sein würde.
Wie hätte sie auch anders empfinden sollen, wußte sie doch, daß ihre Mutter sich ihrer schämte, daß kein junger Mann freiwillig, sondern nur gezwungenermaßen mit ihr tanzen würde.
Zu ihrem Leidwesen war ihr nie in den Sinn gekommen, daß sie Miss Harding verlieren würde, wenn sie in die Gesellschaft eingeführt wurde.
Die letzten beiden Jahre waren die glücklichsten ihres Lebens gewesen, doch ihr wurde schmerzhaft bewußt, daß sie in einem Wolkenkuckucksheim gelebt hatte, denn eigentlich hätte sie schon im vorigen Sommer ihr Debüt geben müssen.
Das war unmöglich gewesen, weil ihre Großmutter gestorben war und die Familie Trauerkleidung trug. Ihre Mutter hatte ganz in Schwarz noch hinreißender ausgesehen als sonst, während Susanna sich vorkam wie eine dicke Saatkrähe.
Mittlerweile war sie achtzehneinhalb Jahre alt und ihre Einführung in die Gesellschaft unumgänglich geworden. Nach Ansicht ihrer Mutter und nach ihrer eigenen Erkenntnis kam das einer mittleren Katastrophe gleich. Häßlich wie sie war, würde sie die ganze Familie blamieren.
Der Gedanke an dieses schreckliche Ereignis war für Susanna so grauenhaft, daß sie Trost in der Tüte Bonbons suchte, die sie sich heimlich im Dorfladen gekauft hatte, und die Süßigkeiten in sich hineinstopfte.
„Ich werde scheußlich aussehen und mich zu Tode schämen“, sagte sie sich, „und wenn Miss Harding fort ist, habe ich niemanden mehr, mit dem ich reden kann, der sich für meine Gedanken und meine Sorgen interessiert.“
Mühelos wie einer jener neuen D-Züge, die schnell und sicher ihr Ziel ansteuerten, kamen die Pläne für den Umzug ins Londoner Haus und Miss Hardings Abschied ins Rollen.
Am Abend vor der Abreise der gütigen Erzieherin hatte Susanna bitterlich geweint.
„Was soll ich denn ohne Sie tun?“ schluchzte sie. „Sie sind der einzige Mensch, der jemals lieb zu mir war und mich spüren ließ, daß ich auch etwas wert bin. Wenn Sie weg sind, habe ich niemanden mehr!“
„Um ganz offen zu sein, Susanna“, hatte Miss Harding in ihrer ruhigen Art erwidert, „es gibt nicht mehr viel, was ich dir beibringen könnte.“
Susannas Verblüffung über diese Eröffnung war so groß, daß sie ihr Schluchzen unterbrach und ihre Erzieherin mit weit aufgerissenen Augen anstarrte.
„Es ist wahr“, sagte Miss Harding. „Dir muß doch mittlerweile auch klargeworden sein, daß du sehr intelligent bist, viel zu intelligent für das Leben, das du führen sollst.“
„Aber ich habe doch keine andere Wahl“, antwortete Susanna todunglücklich. „Ich muß dieses Leben führen.“
„Das mußt du wohl“, gab Miss Harding ihr mit einem tiefen Seufzer recht. „Für ein Mädchen deiner gesellschaftlichen Stellung gibt es wohl keinen Ausweg, keine andere Möglichkeit, sein Leben zu gestalten. Das braucht dich jedoch nicht davon abzuhalten, über die Dinge des Lebens nachzudenken, dich durch Lesen weiterzubilden und deinen Geist weiter wachzuhalten.“
„Wozu?“ fragte Susanna verbittert.
„Für dich selbst“, entgegnete Miss Harding.
Sie schwieg einen Augenblick, als suche sie nach den richtigen Worten, um es ihrer Lieblingsschülerin zu erklären, dann fuhr sie fort: „Für einige Leute bedeutet es das höchste Glück, sich dem gesellschaftlichen Leben zu widmen, und sie finden es ungeheuer aufregend, immer größere und glanzvollere Abendgesellschaften zu geben als die Gastgeber vor ihnen, aber ich glaube, du bist anders.“
„Hoffentlich“, murmelte Susanna vor sich hin.
„Ganz sicher bist du anders“, fuhr Miss Harding fort, „und deshalb glaube ich auch, daß du dir ständig neues Wissen aneignest, Susanna, daß du bemüht bist, deinen geistigen Horizont zu erweitern. Wenn du schon nicht das tun darfst, was du gern tun möchtest, bleibt dir immer noch, es dir in deiner Phantasie auszumalen.“
Susanna preßte die Hände zusammen.
„Aber Sie werden nicht mehr da sein, um mir dabei zu helfen“, sagte sie tonlos.
Wieder schwieg Miss Harding einen Moment, bevor sie antwortete: „Ich bin immer der festen Überzeugung gewesen, wenn man etwas wirklich will, findet man auch jemand, der einem dabei hilft, es zu erreichen. Wenn es kein Mensch ist, dann können es Bücher sein, gute Musik oder ein Gebet, das uns Kraft gibt. Wir sind niemals ganz allein.“
Susanna schwieg einen Augenblick lang und sagte dann: „Ich verstehe, was Sie mir damit sagen wollen, aber es wird sehr, sehr schwer werden, denn ich werde kaum jemand finden, der mir gegen Mamas Freundeskreis beisteht.“
Miss Harding war der gleichen Meinung, sprach es aber aus Taktgefühl nicht aus, sondern betonte noch einmal: „Du mußt an dich selbst glauben, Susanna, und dir deinen eigenen Weg suchen, die Richtung, die du einschlägst, selbst bestimmen. Gerade weil ich dich so gut kenne, weiß ich, daß du in diesem Bemühen nicht scheitern wirst.“
„Ihnen zuliebe“, fügte Susanna leise hinzu.
„Ich werde immer an dich denken“, versprach ihr Miss Harding. „Du sollst wissen, daß ich noch nie eine Schülerin so liebgewonnen habe wie dich und daß es auch noch keine gab, in die ich so große Hoffnungen gesetzt habe wie in dich.“
Diese Worte trieben Susanna erneut Tränen in die Augen, aber es waren keine Tränen der Verzweiflung, sondern der Freude, denn bisher hatte noch niemand ein Lobeswort für sie gefunden.
Als Miss Harding sich verabschiedete hatte Susanna wieder geweint, denn sie fühlte sich in ihrem Unglück allein gelassen. Sie hatte das dumpfe Gefühl, ein neues Leben beginnen zu müssen, das ihr völlig fremd und in tiefster Seele zuwider sein würde.
Lady Lavenham war früher als gewöhnlich mit ihr nach London abgereist, um Susanna mit neuer Garderobe auszustatten.
Jeden Tag suchten sie Modehäuser auf und verbrachten endlose, ermüdende Stunden mit dem Aussuchen von Stoffen, Schuhen, Handschuhen, Sonnenschirmen, Hüten und Reizwäsche und mit lästigen Anproben, und das alles in einem Ausmaß, als müsse Susanna eine zwanzigjährige Expedition antreten.
„Ich muß wenigstens versuchen, dich einigermaßen präsentabel erscheinen zu lassen“, hatte ihre Mutter scharf erwidert, als Susanna zu bedenken gab, daß sie doch genügend neue Kleider habe.
In ihrer verletzenden Art hatte ihre Mutter hinzugefügt: „Dein Vater hat mir die Erlaubnis erteilt, soviel Geld auszugeben, wie ich möchte, dafür solltest du wenigstens dankbar sein. Bedauerlicherweise kann ich mit allem Geld der Welt deine