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An der weißen Grenze. Джек ЛондонЧитать онлайн книгу.

An der weißen Grenze - Джек Лондон


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nahmen Inventar vom Besitz des Toten auf. Der eine rief laut die verschiedenen Gegenstände aus, der andere notierte sie auf ein Stück schmutziges Packpapier. Über den Sand waren Briefe und aufgeweichte Schriftstücke zerstreut. Auf einem ausgebreiteten Taschentuch lag der Barbestand des Toten: ein paar Goldmünzen und viel Kupfer. Viele Männer, die in Kanus und Booten über den Fluß fuhren, nahmen gar keine Notiz von der Sache. Die Schweden aber wurden für einen Augenblick ernst.

      »Wo ist sein Kamerad? Hat er keinen Kameraden gehabt?« fragte auch sie der aufgeregte Mann. Sie schüttelten die Köpfe. Sie verstanden kein Englisch. Dann wateten sie in das Wasser hinein.

      Vom andern Ufer herüber rief jemand eine Warnung. Sie blieben stehen und berieten sich. Dann gingen sie weiter. Die beiden Männer, die das Verzeichnis vom Eigentum des Toten aufnahmen, unterbrachen ihre Arbeit und sahen den Schweden nach. Sie standen jetzt bis zum Gürtel in der reißenden Strömung, mit Riesenkräften an den Karren geklammert, der den Wellen eine gewaltige Fläche bot. Sie kämpften furchtbar, dann schien das schlimmste Stück überstanden. Als das Wasser den beiden vordersten Riesen nur noch bis zu den Knien reichte, riß dem dritten plötzlich ein Tragriemen durch. Seine Last warf sich mit einem Ruck auf die linke Schulter; er wollte sich dagegen stemmen und verlor das Gleichgewicht. Im selben Augenblick stolperte der zweite, griff hilfesuchend um sich, und einer zog den andern in die Flut. Die beiden folgenden Männer verloren den Halt, denn jetzt war die Karre umgestürzt und wurde über die Furt hinaus ins tiefe Wasser gerissen.

      Ein paarmal tauchten die Männer wieder auf und warfen sich rückwärts in die Tragriemen. Aber sie wurden ihre Lasten nicht los, sie kämpften wie Helden, aber es stieg über menschliche Kräfte. Zoll um Zoll sanken sie wieder unter. Ihre Rucksäcke, die sich voll Wasser gesogen hatten, hingen wie steinerner Ballast an ihnen. Nur der eine Mann, dessen Tragriemen gerissen war, wurde seiner Last ledig, aber er versuchte nicht, das Ufer zu gewinnen, sondern blieb bei seinen Kameraden. Fünfzig Meter stromabwärts zerstäubte die Flut an einem zackigen Felsriff; hier kamen sie noch einmal zum Vorschein. Zuerst der halb zerschmetterte Karren, dann die Männer in einem gräßlichen Gewirr von Köpfen, Armen und Beinen. Das Wasser schmetterte sie gegen die Klippen und spülte sie über das Riff.

      Ein Dutzend Kanus war den unglücklichen Schweden nachgefahren; auch Frona war unter denen, die retten wollten. Sie sah einen der jungen Riesen mit blutüberströmten Händen nach dem Felsen greifen, sah sein weißes Gesicht und seinen verzweifelten Kampf. Der einzige seiner Kameraden, der noch schwimmen konnte, stürzte sich mit mächtigen Bewegungen auf ihn zu. Seine Hand hatte ihn fast schon erreicht – da schleuderte auch diesen Mann eine Sturzwelle ins Gebrodel.

      Den einen schwimmenden Mann nahm ein Kanu auf; alle andern erdrosselte die Flut. Eine Viertelstunde lang fuhren die Boote fruchtlos auf und ab, dann fanden sie die Toten im Schlamm stecken. Man nahm ein paar Pferde von einem Transportzug am Ufer, umschlang die Leichen mit einer Leine, und so wurde die schreckliche Last an Land gezogen. Frona sah die fünf jungen Riesen mit gebrochenen Gliedern schlaff und regungslos im Schlamm liegen. Sie waren immer noch vor die Karre gespannt; die armseligen triefenden Lasten hingen noch an ihren Rücken. Der sechste saß mit trockenen Augen betäubt in der Mitte.

      Ein paar Schritte entfernt von ihnen floß der Strom des Lebens wie immer. Frona schloß sich ihm an und zog weiter.

      Sechstes Kapitel

      Die dunklen, mit Rottannen bestandenen Berge stießen am Dyea-Paß zusammen. Die Füße der Menschen zerstampften die feuchte Erde, auf die nie ein Sonnenstrahl fiel, zu Schlamm und Morast. Viele Fußwege zogen durch die feuchte Wüste. Auf einem dieser Wege traf Frona einen Mann, der sich nachlässig in den Schmutz geworfen hatte. Er lag auf der Seite mit gespreizten Beinen, von einer schweren Last zu Boden gedrückt. Seine Wange ruhte in dem weichen Schlamm wie auf einem Kissen. Er sah müde und zufrieden aus. Als er Frona sah, wurde sein Gesicht noch heller; er grüßte sie mit den Augen.

      »Höchste Zeit, daß Sie kamen«, begrüßte er sie. »Ich warte schon eine Stunde auf Sie.«

      Frona beugte sich über ihn.

      »Machen Sie mir nur den Riemen los, liebes Fräulein«, bat er, »ein verdammtes Ding! Die ganze Zeit habe ich ihn nicht zu fassen gekriegt.«

      »Sind Sie verletzt?« fragte sie.

      Er schlüpfte aus dem Riemen heraus und befühlte seinen verdrehten Arm.

      »Nein, gesund wie ein Fisch! Auch der Arm, Gott sei Dank.«

      Er streckte die schmutzige Hand nach einer niedrigen Tanne aus und wischte sie an den Zweigen ab.

      »Also stellen Sie sich vor, ich stolpere über diese kleine Dreckwurzel da, und – bums! – liege ich wie eine Schildkröte mitten im Dreck und kann den Riemen nicht zu fassen kriegen. Eine ganze Stunde liege ich schon so da; die andern ziehen da unten vorbei, und keiner sieht mich. Immerhin, ich hab' mich ausgeruht.«

      »Warum haben Sie niemand gerufen?«

      »Daß einer zu mir heraufklettern soll? Die armen Teufel haben mit sich selbst genug zu tun! Wenn ich mir vorstelle, mich läßt einer da heraufkrabbeln, nur weil er ausgerutscht ist … Aus dem Dreck herausziehen würd' ich ihn schon, aber dann ihm das Fell vertobaken und ihn zuletzt wieder hineinschmeißen. Außerdem konnte ich mir ja denken, daß schließlich auch mal hier jemand vorbeikommt.«

      »Sie passen hierher! Sie sind der richtige Mann für dies Land.«

      »Bin ich auch!« sagte er, wuchtete seinen Packen auf die Schulter und trabte los. »Auf jeden Fall hab' ich mich ordentlich ausgeruht.«

      Der Weg ging jetzt steil abwärts durch einen Morast zum Flußufer. Eine schlanke Kiefer lag als Brücke über dem tosenden Schaum. In der Mitte bog sich der Stamm so tief, daß er das Wasser berührte. Wellen schlugen dagegen und setzten ihn in zitternde Bewegung. Die Stiefel der Packträger hatten seine vom Wasser überspülte Oberfläche glattgeschliffen. Über zwanzig Meter maß diese schwankende, gefährliche Brücke. Frona betrat sie, fühlte, wie das Vibrieren unter ihrem Gewicht heftiger wurde, hörte das Rauschen des Wassers, sah das wilde Tosen – und schauderte zurück.

      Sie hockte sich am Weg nieder und tat, als wäre sie mit ihrem Schuhwerk beschäftigt, denn Indianer traten aus dem Wald hervor. Vier kräftige Männer schritten voran, ihnen folgte eine Schar von schwer belasteten Frauen mit Kindern, und den Schluß machte ein Dutzend Hunde, denen die Zunge zum Halse heraushing. Auch die Hunde und sogar die kleinsten Kinder waren bepackt.

      Im Vorbeigehen machte einer der Männer eine Bemerkung über Frona. Sie verstand die Worte nicht, aber das helle Kichern, das durch den ganzen Zug lief, trieb ihr die Schamröte in die Wangen.

      Der Führer trat beiseite; dann beschritt einer nach dem andern den gefährlichen Pfad. Keiner durfte antreten, ehe der letzte jenseits das Ufer erreicht hatte. In der Mitte, wo der Stamm sich bog, wurde er vom Gewicht des Menschen tief unter die Wasserfläche gedrückt. Es war schwer, den Halt zu wahren, wenn der kalte, reißende Strom die Knöchel überspülte. Aber selbst die Kleinen gingen ohne Zögern hinüber, nur die Hunde winselten und mußten getrieben werden. Als der Führer schon den Stamm betreten hatte, drehte er sich zu Frona um:

      »Dort oben ist der Weg für Pferde«, sagte er und wies auf die Bergwand. »Du gehst besser den Weg für Pferde! Das hier ist nichts für dich.«

      Frona schüttelte den Kopf und wartete, bis er am anderen Ufer stand. Dann setzte sie den Fuß auf den Baumstamm und schritt in den wirbelnden Schaum hinein, während die Augen des fremden Volkes auf ihr ruhten. Ihr Herz krümmte sich vor Angst, aber so viel war sie ihrem Stolz und ihrer Rasse schuldig.

      Siebentes Kapitel

      Sie traf einen Mann, der weinend am Wegrand saß. Er hatte einen Schuh ausgezogen; sein Fuß war geschwollen und wundgelaufen. Rings um ihn lag sein schlecht verschnürtes Gepäck zerstreut.

      »Kann ich Ihnen helfen?« fragte sie.

      »Mir kann keiner mehr helfen. Der Rücken ist beinahe gebrochen, die Füße sind kaputt.« Er heulte laut: »Meine Kameraden haben mich im Stich gelassen und sind weitergezogen. Aber ich komm' keinen Schritt mehr von der Stelle. Ach, meine Frau, meine Kinder! Ich hab' sie in den Staaten gelassen …


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