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Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis WillibaldЧитать онлайн книгу.

Morde am Fließband: Kriminalgeschichten - Alexis Willibald


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ging gehorsam ab und tat doch nichts von dem, was man verlangte.

      Sie wandte sich in ihrer Not noch einmal an ihren edeln Beschützer in Nürnberg, der sich auch wirklich ihrer annahm. Aber »zu ihrem Erstaunen nahm sie eine große Veränderung in seinen Sitten wahr. Er, der verheiratete Mann, wurde auf einmal freier, immer zudringlicher, äußerte sehr leichtsinnige Grundsätze und vergaß endlich seine Würde so ganz und gar, daß sie von ihm in die Hoffnung versetzt wurde, von neuem Mutter zu werden«. Darauf wurde er plötzlich kalt, machte seltenere, kürzere Besuche, und sie erhielt die entsetzliche Gewißheit, daß er eine damals berühmte Schauspielerin, die sich in Nürnberg aufhielt, lieber besuche als sie selbst. Der Schreck veranlaßte eine Fehlgeburt. Die Fehlgeburt veranlaßte sie zum Selbstmord. Der Versuch mit dem Aderlaßeisen lief aber unglücklich ab, und sie konnte nicht mehr als eine Kaffeeschale voll Blut herausbringen. Der Freiherr erschien, aber nicht voll Schmerz und Reue; er lachte, obgleich ihm die Kaffeeschale mit Blut unter die Augen geführt wurde, die Närrin aus und drehte ihr trotz aller ihrer Beschwörungen und Vorwürfe den Rücken.

      Sie, um sich zu rächen, packte seine Briefe zusammen, sandte sie an des Freiherrn Gemahlin und ging dann, den »Siegwart in der Tasche und ihr Dienstmädchen neben sich«, an die Pegnitz, um ihrem Liebesgram und Leben zugleich ein Ende zu machen. Sie las im Siegwart, bis sie an die Stelle kam, wo das Lied steht: »Mein Leben ist so traurig usw.« und stürzte sich dann in den Fluß. Aber zwei Fischer, die in der Nähe waren, brachten sie auf der Stelle ohne allen Schaden ans Ufer. Nur ihre Kleider waren durchnäßt. Sie wurden sofort, nachdem sie trockene angezogen hatte, durch das Mädchen an den Freiherrn geschickt als Belege für den neuen Mordversuch. Dieser schlug ihr zwar nicht die Tür vor der Nase zu, sondern gab der Botin ein für allemal fünfundzwanzig Gulden, zugleich aber die Weisung, auf der Stelle Nürnberg zu verlassen und je weiter desto besser zu reisen.

      Bei den erwiesenen furchtbaren Verbrechen der Zwanziger kommt es auf eine Lüge mehr oder weniger nicht an. Doch erhellt, daß wir hier einen vielfach von ihr ausgeschmückten Roman vor uns haben, zumal wenn wir bedenken, daß sie, als sie die empfindsame Rolle darin spielte, schon das vierzigste Lebensjahr zählen mußte. Nur so viel leuchtet daraus hervor, daß sie einen ehemaligen Liebhaber noch auf alle mögliche Weise zu fesseln oder vielmehr Geld von ihm zu erpressen versuchte und die angebliche Schwangerschaft und Fehlgeburt sowohl als die beiden Mordversuche Theatercoups waren, die abblitzten. Aber dem hartherzigen Benehmen dieses treulosen Beschützers legt sie einen großen Teil ihrer Erbitterung gegen das Menschengeschlecht zur Last. »Als ich mir die Adern aufgeschnitten, da lachte er nur; als ich ihm vorhielt, daß er schon einmal ein Mädchen unglücklich gemacht, die mit seinem Kinde ins Wasser sprang, da lachte er wieder. Sooft ich nachher etwas Böses tat, dachte ich bei mir: mit dir hat kein Mensch Mitleid gehabt; so habe denn auch kein Mitleid, wenn andere unglücklich sind.«

      Sie folgte der Weisung des Freiherrn und kehrte nicht noch einmal nach Nürnberg zurück, sondern reiste sogleich nach Regensburg. Nachdem sie sich in Wien, Nürnberg und anderen Orten in Kummer und Not umhergetrieben hatte, mußte sie als Dienstmagd bei einem Kammerherrn v. S. ein Unterkommen annehmen. Weil aber hier der Dienst sehr beschwerlich und wenig lohnend war, beschloß sie, »ihn heimlich und ohne Aufkündigung« zu verlassen, sich jedoch eine Entschädigung mitzunehmen. Nach ihrem Romane wies ihr ihr Schutzgeist selbst diese Entschädigung, indem das Kind mit den Juwelen der Herrschaft spielte, während diese bei Tafel saß, und ihr mit seinem kleinen Händchen den Ring gab: »Da war mir, als stände jemand neben mir und spräche: Behalte ihn! Ich folgte der Eingebung,« Sie schläferte das Kind ein und lief mit dem Ringe davon. Die Dienstherrschaft erzählte den Vorfall etwas anders, und wenn ihr Schutzgeist die Zwanziger angetrieben hatte, den Ring zu nehmen, so muß er ihr danach auch die Weisung gegeben haben, einen verschlossenen Schreibschrank zu erbrechen und Geld herauszunehmen. Sie ward durch Steckbriefe verfolgt. Als sie bei ihrem schon erwähnten Schwiegersohn, dem Buchbinder Sauer, in Mainbernheim war, las dieser mit Entsetzen den Steckbrief in der eben angekommenen Zeitung und wies eine solche Schwiegermutter sogleich aus dem Hause.

      Noch hatte sie die Unverschämtheit, an den Kammerherrn einen Brief zu schreiben, worin sie ihm Vorwürfe machte, daß er sie durch solche öffentliche Behandlung einer Privatsache ins Unglück stürze; aber ihr Name war einmal ehrlos, sie selbst geächtet, ihre Person bürgerlich vernichtet. Sie mußte aufhören, die zu sein, welche sie war, und, um nur fortzuexistieren, einen anderen Namen annehmen. Sie wählte den väterlichen und hieß von nun an Schönleben.

      Als ginge ihr mit dem neuen Namen ein neuer Glücksstern auf, fand sie 1805, nachdem sie sich an verschiedenen Orten umhergetrieben und sich meistens bei den höheren Ständen eines kurzen Unterkommens erfreut hatte, in der Oberpfalz im Flecken Neumarkt eine Art Versorgung. Als Lehrerin junger Mädchen in weiblichen Arbeiten erhielt sie viele Lehrstunden und hätte durch ihren Fleiß und ihr anständiges Benehmen (die beide von der Ortsobrigkeit ihr bezeugt wurden) hier eine dauernde Stätte finden können, wäre nicht der alte Sündengeist durch ein unglückliches Zusammentreffen aufs neue in ihr erweckt worden. Die Lüste eines bejahrten Generals aus München, der sich in Neumarkt aufhielt, wurden durch die bejahrte Witwe angeregt. In den Stunden der Vertraulichkeit entfiel dem General das Versprechen, er wolle für sie sorgen. In der alten Buhlerin erwachten die Erinnerungen an die schöne Vergangenheit, wo »die vornehmen, edlen Männer ihre Beschützer waren«, und sie träumte davon, die unbescholtene Freundin einer Exzellenz in München zu sein. Sie glaubte das um so sicherer hoffen zu dürfen, als sie immer gehört hatte, »daß die Katholiken sehr Wort zu halten pflegen«. Aber der General ließ nichts von sich hören und antwortete auch nicht auf ihre Briefe, nachdem er Neumarkt verlassen hatte. Sie meldete ihm, sie sei schwanger; auch da erhielt sie keine Antwort, sondern durch einen Pfarrer eine kleine Summe Geldes mit dem Bedeuten, nun ein für allemal sich zur Ruhe zu geben. Die Törin reiste in ihrer Unverschämtheit dem General nach München nach, ward aber bei ihm, wie man denken mag, nicht vorgelassen, sondern erhielt nur von einem Bedienten einige Gulden, damit sie auf der Stelle aus München wieder fortreisen möchte.

      So hatte sie um einer unverzeihlichen Torheit willen ihren letzten Hafen verlassen und war aufs neue hinausgeschleudert aufs stürmische Meer. Bekannt, verachtet, gescheut, verfolgt, mußte sich die Fünfzigerin neue Länder, Orte, Menschen suchen, um nur Aufnahme zu finden. So kam sie in das Baireuther Oberland, und ihren Grimm gegen die ganze Menschheit im Heizen, mußte sie aufs neue heucheln, sich bücken und freundlich sein, um nur in der demütigsten Stellung ein Unterkommen zu finden; aber in ihr kochte der Groll, und es bedurfte nur weniger Antriebe und einer günstigen Gelegenheit, um ihn in schwarzen Rachetaten gegen alle zu entladen, welche vornehmer, reicher, glücklicher, sorgenfreier waren als sie und nicht mit ihr teilen konnten.

      Feuerbach sagt hier in der unübertroffenen Charakteristik dieses Weibes: »Fast zwanzig Jahre von Ort zu Ort umhergejagt, beinahe schon fünfzig Jahre alt und noch immer ein Fremdling auf dieser Erde, ohne Vaterland und Heimat, von der Welt entehrt, bloß durch einen Namenstrug unter den Menschen geduldet, suchte sie endlich angstvoll nach Ruhe, nach einer bleibenden Stätte, nach einer sicheren Versorgung. Und als Herrin, wie ehemals, nicht mehr als verachtete Magd wie jetzt; immer nur anderen, nie sich selbst angehören; nie befehlen, immer nur von anderen Befehle empfangen oder befürchten; immer kriechen und schmeicheln, bloß um als Magd zu gefallen; fortwährend dazu verdammt, mit freundlich erzwungener Miene den Menschen schön zu tun, welche sie gleichwohl nur hassen konnte; abhängig, untertänig, bei dem erzürnten Gefühle lebhafter Erinnerung an die vergangenen Zeiten eigener Herrschaft; voll alter Ansprüche auf das gefällige Zuvorkommen und die äußere Achtung anderer, und doch so oft geneckt, verspottet, verachtet, über die Achseln angesehen – das alles war mehr, als eine solche Seele länger zu ertragen vermochte. Rettung mußte ihr werden aus einer solchen Lage, oder wenn nicht Rettung, wenigstens Ersatz dafür! Aber aus dem Labyrinth ihres verworrenen Lebens führte kein gewöhnlicher Weg zur Freiheit! Überall Abgründe, welche den Ausgang wehrten! Innerhalb der Schranken bürgerlicher Ordnung nirgendwo ein ausreichendes, sicheres Mittel der Hilfe. Da entdeckt sich ihr endlich das Geheimnis einer still verborgenen Macht, welche sie nur sich dienstbar zu machen braucht, um über alle Berge und Abgründe leichten Fußes hinüberzuschreiten und, jenseits der lästigen Schranken beengender Verhältnisse, den Gesetzen des bürgerlichen Lebens entrückt, sogar über die Menschheit selbst hinausgehoben, mit unsichtbarer Gewalt nach eigener


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