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Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis WillibaldЧитать онлайн книгу.

Morde am Fließband: Kriminalgeschichten - Alexis Willibald


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von ihr zurückgewiesen worden.

      In der Tat befindet sich bei den Akten eine Zuschrift von Virginia an Arrigone, in der sie ihm in den stärksten Ausdrücken vorwirft, daß er es gewagt habe, eine Braut Christi in Versuchung zu führen.

      Benedetta gibt weiter an, Virginia habe oftmals Reue empfunden und den sündlichen Umgang mit Osio nicht fortsetzen wollen. Sie habe die Schlüssel zu ihrer Zelle und zur Klosterpforte in den Brunnen geworfen, darauf seien die Schlösser verändert worden, Osios Schlüssel hätten nicht mehr gepaßt, und folglich habe er nicht mehr in das Kloster gelangen können. Aber Arrigone habe dem Osio die neuen Schlüssel verschafft, dieser habe sich sofort Nachschlüssel machen lassen, sei mit Hilfe dieser Nachschlüssel wiederum zu Virginia gekommen, und nun sei sie von neuem in Sunde gefallen. Wohl fünfzigmal habe Schwester Virginia die Schlüssel weggeworfen, aber ebensooft habe Osio durch Vermittelung des Priesters Arrigone die neuen Schlüssel erhalten und nachmachen lassen.

      Aus Benedettas Aussage geht hervor, daß Osio ein auffallend schöner Mann gewesen ist und durch seine Schönheit auf Virginia großen Eindruck gemacht hat. Als sie ihn vom Fenster der Schwester Candida aus zum ersten Male erblickt habe, berichtete Benedetta, habe sie ausgerufen: »Si potrebbe mai vedere la più bella cosa!« (»Es kann nichts Schöneres in der Welt geben als ihn!«)

      Einige Tage, nachdem Schwester Benedetta aus jenem Brunnen herausgeholt worden war, am 9. Dezember 1607, sandte der königliche Fiskal Tormiani dem Kriminalvikar einen bereits stark in Verwesung übergegangenen menschlichen Kopf zu mit dem Bemerken, daß der Kopf in demselben Brunnen gelegen habe. Der Kopf war mit einem leinenen Tuche umhüllt und reichlich mit Haaren bedeckt, die aber nicht in Zöpfen herabhingen, sondern kurz geschnitten waren. Das Gesicht mußte, wie man aus der Bildung des Kopfes schließen konnte, rund gewesen sein. Dr. Antonio Monti wurde beauftragt, den Kopf zu untersuchen, und gab sein Gutachten dahin ab, daß es schwer sei, zu entscheiden, ob der Kopf einem Manne oder einem Weibe angehört habe; er neige aber mehr zu der Ansicht, daß es der Kopf eines Weibes sei. Es entstand die Vermutung, daß man den Kopf der Schwester Catterina vor sich habe, die von Osio ermordet und deren Kopf von ihm in den erwähnten Brunnen geworfen worden sein mußte.

      Die angestellten Verhöre erhoben diese Vermutung zur Gewißheit. Schwester Ottavia sagte noch vor ihrem Tode aus: »Schwester Catterina, die kurze Haare trug und ein rundes volles Gesicht hatte, geriet eines Tages in Zwist mit Schwester Degnamerita. Virginia, die mit der letzteren sehr befreundet war, ließ deshalb die Catterina in einen Raum neben der Waschküche einsperren. Catterina fing darauf an, von Virginia, Benedetta und mir übel zu reden, sie drohte, den Umgang zwischen Virginia und Osio anzuzeigen und sie an ihrer Stelle ins Gefängnis zu bringen. Als Osio dies erfuhr und zugleich hörte, daß Monsignore Bacca im Kloster angekommen sei, um Visitation zu halten, fürchtete er, Catterina würde ihre Drohung ausführen. Er beschloß deshalb, sie zu ermorden. Eines Nachts, als Osio im Kloster bei seiner Geliebten war, begaben wir uns in das Gefängnis der Schwester Catterina. Schwester Benedetta ging zuerst hinein und sprach mit ihr, dann folgte Virginia, dann ich, dann Osio. Er hatte aus der Waschküche den eisernen Fuß einer Haspel (un piede di bicocca) geholt und versetzte ihr damit, als sie sich von ihrem Strohlager erhob, etliche Schläge auf den Kopf. Die Schläge waren tödlich, sie starb nach wenigen Augenblicken in unserem Beisein, und wir trugen die Leiche in den Hühnerstall. Benedetta und ich zogen die Tote an den Füßen in eine Ecke und legten Holz auf sie, so daß sie nicht gesehen werden konnte. Hierauf brach Osio mit Hilfe seines Degens eine Öffnung in die Gartenmauer und entfernte sich. In der folgenden Nacht kam Osio wieder und trug zusammen mit Schwester Benedetta die Leiche in seine Wohnung. Dort zerstückelte er den Körper, zerstreute die einzelnen Teile und warf den Kopf, wie er uns später mitteilte, in einen von Monza ziemlich weit entfernten Brunnen.«

      Benedetta bestätigte diese Angaben im wesentlichen, fügte aber noch hinzu, daß auch die Schwestern Silvia und Candida bei dem Morde zugegen gewesen wären. Beide räumten es bei ihren Verhören ein, und im Hause Osios fand man, als genau nachgesucht wurde, in einem versteckten Räume mehrere Knochen, die Sachverständige für Menschenknochen erklärten.

      Osio, der also in ein Nonnenkloster eingedrungen, die Schwester Virginia verführt, mit ihr jahrelang Unzucht getrieben, sodann die Schwestern Ottavia und Benedetta aus dem Kloster weggebracht, die erstere sowie schon vorher die Schwester Catterina ermordet und die Schwester Benedetta zu ermorden versucht haben sollte, Osio, dem ferner der Tod des Apothekers Reineri und eines Agenten Molteno vorgeworfen wurde, war schon vor dem Eintreffen des Kriminalvikars aus Monza verschwunden. Die Justiz bot alles auf, um seiner habhaft zu werden, aber vergeblich. Osio war ein gewandter Mann, er hatte viele gute Freunde, und die Grenze war bald erreicht. Am 12. Dezember 1607 reichte er beim Erzbischof Federigo Borromeo eine Verteidigungsschrift ein, in der er keck behauptete, die arme Virginia und er seien durch schlechte Menschen in eine Falle gelockt worden. Die Hauptschuld träfe die Schwestern Ottavia und Benedetta; diese hätten ihn dazu verleitet, sie aus dem Kloster wegzuführen. Unterwegs seien beide in heftigen Streit geraten, Benedetta habe zuletzt in voller Wut die Ottavia in den Lambro gestoßen und dann sich selbst aus Verzweiflung darüber in den Brunnen gestürzt. Der Priester Paolo Arrigone und nicht er habe die Liebesbriefe an Virginia geschrieben. Er bat den Erzbischof um die Gnade, ihm die Aufnahme in das Kastell zu Pavia zu gestatten, damit er der lästigen Verfolgungen durch die Justiz-und Polizeibehörden endlich überhoben werde.

      Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß dieses Gesuch nicht berücksichtigt wurde.

      Am 22. Dezember 1607 fand im Kloster del Borchetto zu Mailand das erste Verhör der damals zweiunddreißig Jahre alten, noch immer liebreizenden und liebenswürdigen Schwester Virginia statt. Sie wurde in doppelter Eigenschaft vernommen: als Angeschuldigte und als Zeugin. Man ließ sie einen feierlichen Eid leisten, daß sie die Wahrheit angeben werde, und begann auch hier wie bei den übrigen Verhören mit der Frage, ob sie wisse oder vermute, weshalb sie sich in diesem Kloster und nicht mehr im Kloster Santa Margherita in Monza befinde, und weshalb gegen sie die Kriminaluntersuchung eingeleitet worden sei. Sie antwortete: »Ich weiß es nicht anders, als daß das Gerede in bezug auf Giampaolo Osio die Ursache ist. Deshalb bin ich auch hierher versetzt worden; übrigens habe ich meine Versetzung selbst gewünscht.«

      Nun fragte man, was an dem Gerede Wahres sei. Daraufhin erklärte sie: »Meine Oberen, insbesondere auch Monsignore Bacca, warfen mir vor, ich hätte mit Osio, dessen Haus sich dicht neben dem Kloster befindet, in dem ich in Monza gelebt habe, in einem Liebesverhältnis gestanden. Dieser Vorwurf war auch begründet. Es ist aber von meiner Seite eine erzwungene Liebe gewesen, denn freiwillig würde ich nicht einmal dem Könige von Spanien eine Vertraulichkeit gestattet haben. Es sind jetzt sechs Jahre verflossen, seit mein Agent Joseph Molteno von Giampaolo Osio getötet wurde. Der Mörder hatte sich, um den Händen der Justiz zu entgehen, geflüchtet und in seiner Gartenwohnung dicht an der Klostermauer versteckt. Eines Tages war ich zufällig in der Zelle der Schwester Candida Brancolina und stand an dem nach dem Garten hinausgehenden Fenster. Osio sah mich dort und grüßte mich ehrerbietig. Als ich bald darauf wieder an jenem Fenster stand, grüßte er mich nochmals und gab mir durch ein Zeichen zu verstehen, daß er mir einen Brief zusenden wollte. Ich war aufgebracht darüber und zürnte ihm wegen der Tötung meines Agenten. Ich setzte deshalb den Richter von Monza, Carlo Pirovano, von dem Versteck Osios in Kenntnis und hoffte, er würde ihn festnehmen und in das Gefängnis setzen lassen. Da wandte sich die Mutter Osios an die Priorin und bat sie, bei mir ein gutes Wort einzulegen, daß ich meine Klage zurücknehmen und den Richter wissen lassen möchte, ihr Sohn habe meine Verzeihung erhalten. Die Priorin sagte mir das und verlangte von mir, ich sollte den jungen Mann nicht ins Unglück stürzen und nicht darauf bestehen, daß er bestraft würde. Hierauf schrieb ich dem Richter, daß er die Sache auf sich beruhen lassen sollte. Er antwortete mir, es hätten sich schon viele Kavaliere bemüht, den Lauf der Gerechtigkeit in diesem Falle zu hemmen, er habe ihnen indes niemals Gehör geschenkt. Nachdem ich nun aber selbst auf die Verfolgung verzichtet hätte, wollte er kein weiteres Verfahren einleiten.

      Ich benachrichtigte Osio hiervon, und er dankte mir vom Garten aus, indem er mir zugleich versicherte, er würde mir ebenso gern und ebenso eifrig dienen, wie Molteno es getan habe. Zugleich bat er um die Erlaubnis, mir einen Brief schreiben zu dürfen. Einige Tage später war er wieder im Garten und zeigte mir einen Brief, den er in der


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