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Das Heim und die Welt. Rabindranath TagoreЧитать онлайн книгу.

Das Heim und die Welt - Rabindranath Tagore


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geht nicht, Herr. Das ist gegen den Befehl.«

      Ich war in hohem Grade aufgebracht. »Ich befehle es dir,« sagte ich mit erhobener Stimme, »geh und melde mich!«

      Der Bursche war durch meine Haltung etwas verblüfft.

      Inzwischen hatte ich mich der Tür genähert. Ich hatte sie beinahe erreicht, als er mir folgte und meinen Arm ergriff, indem er sagte: »Nein, Herr, Sie dürfen nicht hinein.«

      Was! Ein Bedienter wagte mich anzurühren! Ich machte meinen Arm mit einem Ruck frei und gab dem Mann eine schallende Ohrfeige. Im selben Augenblick kam Bima aus dem Zimmer und sah, wie der Mann im Begriff war, frech gegen mich zu werden.

      Ich werde nie das Bild vergessen, wie sie in ihrem Zorn dastand! Daß Bima schön ist, ist meine eigene Entdeckung. Die meisten Leute hier würden an ihr nichts Besonderes finden. Diese Tölpel würden ihre große, schlanke Gestalt »schmächtig« nennen. Aber gerade diese Biegsamkeit bewundere ich, sie ist wie ein lebenspendender Springbrunnen, der aus der Tiefe der mütterlichen Erde aufsteigt. Ihre Hautfarbe ist dunkel, aber von einem leuchtenden Dunkel wie die scharfe, blitzende Schneide eines Schwertes.

      »Nanku!« gebot sie, als sie in der Tür stand, den Arm gebieterisch ausgestreckt, »geh fort!«

      »Seien Sie nicht böse auf ihn«, sagte ich. »Wenn er Befehl hat, so bin ich es, der fortgehen muß.«

      Bimas Stimme zitterte noch, als sie erwiderte: »Sie dürfen nicht fortgehen. Kommen Sie herein!«

      Dies war keine Bitte, sondern auch ein Befehl! Ich folgte ihr, als sie eintrat, setzte mich, nahm einen Fächer, der auf dem Tische lag und fing an, mich zu fächeln. Bima kritzelte mit einem Bleistift etwas auf ein Blatt Papier, rief einen Diener und gab es ihm mit den Worten: »Bring' dies dem Maharadscha!«

      »Verzeihen Sie mir«, sagte ich. »Ich war so außer mir, daß ich Ihren Diener schlug.«

      »Ihm geschah ganz recht«, sagte Bima.

      »Aber der arme Bursche hatte im Grunde doch keine Schuld. Er gehorchte nur seinem Befehl.«

      In diesem Augenblick kam Nikhil herein. Ich stand hastig auf und trat ans Fenster, den Rücken dem Zimmer zugekehrt.

      »Der Türhüter Nanku hat Sandip Babu beleidigt«, sagte Bima zu Nikhil.

      Nikhil schien so ehrlich überrascht, daß ich nicht umhin konnte, mich umzuwenden und ihn anzustarren. Sollte er leugnen wollen? Selbst ein ungewöhnlich guter Mann kann vor seiner Frau seinen Wahrheitsstolz nicht aufrechterhalten, wenn die Frau danach ist.

      »Er hatte die Frechheit, Sandip Babu den Weg zu vertreten, als er hier herein wollte«, fuhr Bima fort. »Er sagte, er habe Befehl...«

      »Befehl von wem?« fragte Nikhil.

      »Wie soll ich das wissen?« rief Bima ungeduldig, während ihr vor Zorn und Scham die Tränen in die Augen traten.

      Nikhil ließ den Mann rufen und fragte ihn aus. »Es war nicht meine Schuld«, wiederholte Nanku trotzig. »Ich hatte Befehl.«

      »Wer gab dir den Befehl?«

      »Die Bara Rani.«

      Eine Weile schwiegen wir alle. Nachdem der Mann hinaus war, sagte Bima: »Nanku muß fort.« Nikhil antwortete nicht. Ich sah, daß sein Gerechtigkeitsgefühl sich dagegen sträubte. Immer neue Schwierigkeiten stiegen vor ihm auf. Aber diesmal war die Lösung besonders schwer. Bima war nicht die Frau, die eine Sache hingehen ließ. Sie mußte sich ihrer Schwägerin gegenüber behaupten, dadurch, daß sie den Burschen bestrafte. Und als Nikhil stumm blieb, sprühten ihre Augen Blitze. Sie wußte nicht, wie sie ihre Verachtung für die Schwachmütigkeit ihres Gatten zum Ausdruck bringen sollte. Nach einer Weile verließ Nikhil das Zimmer, ohne ein Wort gesagt zu haben.

      Am nächsten Tag war Nanku nicht zu sehen. Auf meine Frage sagte man mir, daß er auf eins der andern Güter geschickt und daß es nicht sein Schade sei.

      Ich konnte ab und zu einen schnellen Blick werfen, der mir zeigte, welche Verheerungen der hierdurch hervorgerufene Sturm hinter der Szene anrichtete. Ich kann nur sagen, daß Nikhil ein merkwürdiges Geschöpf ist, ganz anders als andere.

      Das Resultat war, daß Bima mich von jetzt ab ohne weiteres zu einer gemütlichen Unterhaltung ins Wohnzimmer rufen ließ, ohne irgendeinen Vorwand oder Versuch, dem Zusammensein den Schein des Zufälligen zu geben. So gaben wir fast jede Zurückhaltung auf, und was bisher stillschweigend verstanden war, wurde jetzt offen ausgesprochen. Die Gemahlin eines Radscha lebt sonst in einer Sternenregion, die dem gewöhnlichen Sterblichen so fern ist, daß kein Weg zu ihr hinführt. Welch ein Triumph der siegreich fortschreitenden Wahrheit war es doch, daß allmählich, aber unaufhaltsam ein Schleier verhüllender Sitte nach dem andern fiel, bis sich endlich die Natur in ihrer wahren Gestalt zeigte.

      Triumph der Wahrheit? Ja, der Wahrheit! Die gegenseitige Anziehung zwischen Mann und Weib ist die Grundlage alles Seins. Die ganze Welt der Materie, vom Staubkörnchen aufwärts, ist diesem Gesetz unterworfen. Und doch versuchen die Menschen, sie hinter einem Schleier von Worten verborgen zu halten, und wollen mit hausbackenen Verordnungen und Verboten ein Hausgerät aus ihr machen.

      Wenn trotz alledem die Natur beim Rufe der Wahrheit erwacht, welch ein Zähneknirschen und Sich-an die-Brust-Schlagen! Aber kann man mit dem Sturm streiten? Er gibt sich nicht die Mühe zu antworten, sondern schüttelt nur seinen Gegner.

      Ich genieße den Anblick dieser Wahrheit, die sich mir immer mehr enthüllt. Wie lieblich sind diese zitternden Schritte, dies Sichabwenden; wie lieblich sind diese kleinen Betrügereien, womit Bima nicht nur andere, sondern auch sich selbst täuscht! Verstellung ist die beste Waffe des Wirklichen dem Unwirklichen gegenüber, denn die Feinde des Wirklichen suchen es immer zu verunehren, indem sie es roh nennen, und daher muß es sich verstecken oder verstellen. Es darf nicht offen bekennen: »Ja, ich bin roh, weil ich wahr bin. Ich bin Fleisch und Blut. Ich bin Leidenschaft. Ich bin Hunger, der ohne Erbarmen und ohne Scham zupackt.«

      Ich sehe jetzt alles klar vor mir. Der Vorhang flattert, und durch den Spalt kann ich die Vorbereitungen für die Katastrophe sehen. Das kleine rote Band, das sich voll geheimen Verlangens durch die üppigen Haarmassen schlängelt, ist der züngelnde Blitz in der Gewitterwolke. Ich fühle die Glut ihrer Leidenschaft bei jeder Bewegung ihres Gewandes, mehr als sie selbst vielleicht sie spürt.

      Bima ist sich der Wirklichkeit nicht bewußt, weil sie sich ihrer schämt. Denn die Menschen haben dieser Wirklichkeit einen schlimmen Namen gegeben, sie nennen sie Satan. Und so muß sie sich in Gestalt einer Schlange in den Garten des Paradieses schleichen und der erwählten Gefährtin des Mannes ihre Geheimnisse ins Ohr flüstern und sie zum Abfall bringen. Dann ist es aus mit aller Ruhe, bis der Tod das Ende ist.

      Meine arme kleine Bienenkönigin lebt wie im Traum. Sie weiß nicht, welchen Weg sie geht. Es wäre nicht ratsam, sie vor der Zeit aufzuwecken. Es ist am besten, daß ich so tue, als ob ich auch keine Ahnung hätte.

      Neulich beim Mittagessen starrte sie mich eigentümlich an, ohne zu ahnen, was solche Blicke bedeuten. Als mein Blick dem ihren begegnete, wandte sie sich ab. »Sie wundern sich über meinen Appetit«, sagte ich. »Ich kann alles verbergen, nur nicht, daß ich gern esse. Aber warum wollen Sie für mich erröten, wenn ich mich nicht schäme?«

      Sie errötete nur noch tiefer und stotterte: »Nein, nein, ich sah nur...«

      »Ich weiß«, unterbrach ich sie. »Die Frauen haben eine Schwäche für begehrliche Männer, denn gerade durch unsere Begierden beherrschen sie uns. Die Nachsicht, die sie mir immer gezeigt haben, hat mich nur noch schamloser gemacht. Es macht mir gar nichts, wenn Sie zusehen, wie all die guten Sachen bei mir verschwinden. Ich werde darum doch jeden Bissen genießen.«

      Neulich las ich ein englisches Buch, in dem sexuelle Fragen mit sehr kühnem Realismus behandelt werden. Ich hatte es im Wohnzimmer liegen lassen. Als ich am Nachmittag des folgenden Tages hineinkam, um irgend etwas zu holen, saß Bima da, mit dem Buch in der Hand. Als sie meine Schritte hörte, warf sie


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