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Hamburgische Dramaturgie. Gotthold Ephraim LessingЧитать онлайн книгу.

Hamburgische Dramaturgie - Gotthold Ephraim Lessing


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mit einem Worte, tragischere Situation! Und wenn sich endlich dieser Unglueckliche vergiftet; wenn er, nachdem er sich vergiftet, erfaehrt, dass der Himmel ihn noch retten wollen: was fehlet diesem schmerzlichen und fuerchterlichen Augenblicke, wo sich zu den Schrecknissen des Todes marternde Vorstellungen, wie gluecklich er habe leben koennen, gesellen; was fehlt ihm, frage ich, um der Tragoedie wuerdig zu sein? Das Wunderbare, wird man antworten. Wie? Findet sich denn nicht dieses Wunderbare genugsam in dem ploetzlichen Uebergange von der Ehre zur Schande, von der Unschuld zum Verbrechen, von der suessesten Ruhe zur Verzweiflung; kurz, in dem aeussersten Ungluecke, in das eine blosse Schwachheit gestuerzet?"

      Man lasse aber diese Betrachtungen den Franzosen, von ihren Diderots und Marmontels, noch so eingeschaerft werden: es scheint doch nicht, dass das buergerliche Trauerspiel darum bei ihnen besonders in Schwang kommen werde. Die Nation ist zu eitel, ist in Titel und andere aeusserliche Vorzuege zu verliebt; bis auf den gemeinsten Mann will alles mit Vornehmern umgehen; und Gesellschaft mit seinesgleichen ist so viel als schlechte Gesellschaft. Zwar ein glueckliches Genie vermag viel ueber sein Volk; die Natur hat nirgends ihre Rechte aufgegeben, und sie erwartet vielleicht auch dort nur den Dichter, der sie in aller ihrer Wahrheit und Staerke zu zeigen verstehet. Der Versuch, den ein Ungenannter in einem Stuecke gemacht hat, welches er "Das Gemaelde der Duerftigkeit" nennet, hat schon grosse Schoenheiten; und bis die Franzosen daran Geschmack gewinnen, haetten wir es fuer unser Theater adoptieren sollen.

      Was der erstgedachte Kunstrichter an der deutschen "Sara" aussetzet, ist zum Teil nicht ohne Grund. Ich glaube aber doch, der Verfasser wird lieber seine Fehler behalten, als sich der vielleicht ungluecklichen Muehe einer gaenzlichen Umarbeitung unterziehen wollen. Er erinnert sich, was Voltaire bei einer aehnlichen Gelegenheit sagte: "Man kann nicht immer alles ausfuehren, was uns unsere Freunde raten. Es gibt auch notwendige Fehler. Einem Bucklichten, den man von seinem Buckel heilen wollte, muesste man das Leben nehmen. Mein Kind ist bucklicht; aber es befindet sich sonst ganz gut."

      Den zwoelften Abend (donnerstags, den 7. Mai) ward "Der Spieler", vom

       Regnard, aufgefuehret.

      Dieses Stueck ist ohne Zweifel das beste, was Regnard gemacht hat; aber Riviere du Freny, der bald darauf gleichfalls einen Spieler auf die Buehne brachte, nahm ihn wegen der Erfindung in Anspruch. Er beklagte sich, dass ihm Regnard die Anlage und verschiedene Szenen gestohlen habe; Regnard schob die Beschuldigung zurueck, und itzt wissen wir von diesem Streite nur so viel mit Zuverlaessigkeit, dass einer von beiden der Plagiarius gewesen. Wenn es Regnard war, so muessen wir es ihm wohl noch dazu danken, dass er sich ueberwinden konnte, die Vertraulichkeit seines Freundes zu missbrauchen; er bemaechtigte sich, bloss zu unserm Besten, der Materialien, von denen er voraussahe, dass sie verhunzt werden wuerden. Wir haetten nur einen sehr elenden Spieler, wenn er gewissenhafter gewesen waere. Doch haette er die Tat eingestehen und dem armen Du Freny einen Teil der damit erworbnen Ehre lassen muessen.

      Den dreizehnten Abend (freitags, den 8. Mai) ward "Der verheiratete

       Philosoph" wiederholst; und den Beschluss machte "Der Liebhaber als

       Schriftsteller und Bedienter".

      Der Verfasser dieses kleinen artigen Stueckes heisst Cerou; er studierte die Rechte, als er es im Jahre 1740 den Italienern in Paris zu spielen gab. Es faellt ungemein wohl aus.

      Den vierzehnten Abend (montags, den 11. Mai) wurden "Die kokette Mutter", vom Quinault, und "Der Advokat Patelin" aufgefuehrt.

      Jene wird von den Kennern unter die besten Stuecke gerechnet, die sich auf dem franzoesischen Theater aus dem vorigen Jahrhunderte erhalten haben. Es ist wirklich viel gutes Komisches darin, dessen sich Moliere nicht haette schaemen duerfen. Aber der fuenfte Akt und die ganze Aufloesung haette weit besser sein koennen; der alte Sklave, dessen in den vorhergehenden Akten gedacht wird, koemmt nicht zum Vorscheine; das Stueck schliesst mit einer kalten Erzaehlung, nachdem wir auf eine theatralische Handlung vorbereitet worden. Sonst ist es in der Geschichte des franzoesischen Theaters deswegen mit merkwuerdig, weil der laecherliche Marquis darin der erste von seiner Art ist. "Die kokette Mutter" ist auch sein eigentlichster Titel nicht, und Quinault haette es immer bei dem zweiten "Die veruneinigten Verliebten" koennen bewenden lassen.

      "Der Advokat Patelin" ist eigentlich ein altes Possenspiel aus dem funfzehnten Jahrhunderte, das zu seiner Zeit ausserordentlichen Beifall fand. Es verdiente ihn auch, wegen der ungemeinen Lustigkeit und des guten Komischen, das aus der Handlung selbst und aus der Situation der Personen entspringet und nicht auf blossen Einfaellen beruhet. Brueys gab ihm eine neue Sprache und brachte es in die Form, in welcher es gegenwaertig aufgefuehret wird. Hr. Ekhof spielt den Patelin ganz vortrefflich.

      Den funfzehnten Abend (dienstags, den 12. Mai) ward Lessings "Freigeist" vorgestellt.

      Man kennt ihn hier unter dem Titel des "Beschaemten Freigeistes", weil man ihn von dem Trauerspiele des Hrn. von Brawe, das eben diese Aufschrift fuehret, unterscheiden wollen. Eigentlich kann man wohl nicht sagen, dass derjenige beschaemt wird, welcher sich bessert. Adrast ist auch nicht einzig und allein der Freigeist; sondern es nehmen mehrere Personen an diesem Charakter teil. Die eitle unbesonnene Henriette, der fuer Wahrheit und Irrtum gleichgueltige Lisidor, der spitzbuebische Johann sind alles Arten von Freigeistern, die zusammen den Titel des Stuecks erfuellen muessen. Doch was liegt an dem Titel? Genug, dass die Vorstellung alles Beifalls wuerdig war. Die Rollen sind ohne Ausnahme wohl besetzt; und besonders spielt Herr Boek den Theophan mit alle dem freundlichen Anstande, den dieser Charakter erfordert, um dem endlichen Unwillen ueber die Hartnaeckigkeit, mit der ihn Adrast verkennet, und auf dem die ganze Katastrophe beruhet, dagegen abstechen zu lassen.

      Den Beschluss dieses Abends machte das Schaeferspiel des Hrn. Pfeffels:

       "Der Schatz".

      Dieser Dichter hat sich, ausser diesem kleinen Stuecke, noch durch ein anders, "Der Eremit", nicht unruehmlich bekannt gemacht. In den "Schatz" hat er mehr Interesse zu legen gesucht, als gemeiniglich unsere Schaeferspiele zu haben pflegen, deren ganzer Inhalt taendelnde Liebe ist. Sein Ausdruck ist nur oefters ein wenig zu gesucht und kostbar, wodurch die ohnedem schon allzu verfeinerten Empfindungen ein hoechst studiertes Ansehen bekommen, und zu nichts als frostigen Spielwerken des Witzes werden. Dieses gilt besonders von seinem "Eremiten", welches ein kleines Trauerspiel sein soll, das man, anstatt der allzu lustigen Nachspiele, auf ruehrende Stuecke koennte folgen lassen. Die Absicht ist recht gut; aber wir wollen vom Weinen doch noch lieber zum Lachen, als zum Gaehnen uebergehen.

      ——Fussnote

      [1] "Journal Etranger", Decembre 1761.

      ——Fussnote

      Funfzehntes Stueck

       Den 19. Junius 1767

      Den sechzehnten Abend (mittewochs, den 13. Mai) ward die "Zaire" des

       Herrn von Voltaire aufgefuehrt.

      "Den Liebhabern der gelehrten Geschichte", sagt der Hr. von Voltaire, "wird es nicht unangenehm sein, zu wissen, wie dieses Stueck entstanden. Verschiedene Damen hatten dem Verfasser vorgeworfen, dass in seinen Tragoedien nicht genug Liebe waere. Er antwortete ihnen, dass seiner Meinung nach die Tragoedie auch eben nicht der schicklichste Ort fuer die Liebe sei; wenn sie aber doch mit aller Gewalt verliebte Helden haben muessten, so wolle er ihnen welche machen, so gut als ein anderer. Das Stueck ward in achtzehn Tagen vollendet und fand grossen Beifall. Man nennt es zu Paris ein christliches Trauerspiel, und es ist oft, anstatt des Polyeukts, vorgestellet worden."

      Den Damen haben wir also dieses Stueck zu verdanken, und es wird noch lange das Lieblingsstueck der Damen bleiben. Ein junger feuriger Monarch, nur der Liebe unterwuerfig; ein stolzer Sieger, nur von der Schoenheit besiegt; ein Sultan ohne Polygamie; ein Seraglio, in den freien zugaenglichen Sitz einer unumschraenkten Gebieterin verwandelt; ein verlassenes Maedchen, zur hoechsten Staffel des Gluecks, durch nichts als ihre schoenen Augen, erhoehet; ein Herz, um das Zaertlichkeit und Religion streiten, das sich zwischen seinen Gott und seinen Abgott teilet, das gern fromm sein moechte, wenn es nur nicht aufhoeren sollte zu lieben; ein Eifersuechtiger, der sein Unrecht erkennet und es an sich selbst raechet; wenn diese schmeichelnde Ideen das schoene Geschlecht nicht bestechen, durch was liesse es sich denn bestechen?

      Die Liebe selbst hat Voltairen die


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