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Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band). Theodor StormЧитать онлайн книгу.

Der Schimmelreiter und andere Novellen (103 Titel in einem Band) - Theodor Storm


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im Tale sichtbar wurde, wandte der Justizrat den Kopf zurück. »Nun, Vetter«, rief er, »du hast eine leidliche Handschrift; wie wär es, wenn du ein wenig Kontraktemachen lerntest?«

      Aber der Vetter winkte abwehrend mit der Hand. »Geht nur!« sagte er, und blickte fragend auf seine Begleiterin, »ich nehme indes eine Sprechstunde bei deiner Frau!«

      »So mach ihn wenigstens nicht gar zu klug, Veronika!«

      Die junge Frau neigte nur wie zustimmend den Kopf. – Hinter ihnen von den Türmen der Stadt kam das Abendläuten über die Gegend. Ihre Hand, mit der sie eben das schwarze Haar unter den weißen Seidenhut zurückgestrichen, glitt über die Brust hinab, und indem sie das Zeichen des Kreuzes machte, begann sie leise das angelus zu sprechen. Die Blicke des jungen Mannes, der gleich seinem Verwandten einer protestantischen Familie angehörte, folgten mit einem Ausdrucke von Ungeduld der gleichmäßigen Bewegung ihrer Lippen.

      Vor einigen Monaten war er als Architekt bei dem Neubau einer Kirche in die Stadt gekommen, und seitdem ein fast täglicher Gast in dem Hause des Justizrats geworden. Mit der jungen Frau seines Vetters geriet er sogleich in lebhaften Verkehr; sowohl durch die Gemeinsamkeit der Jugend, als durch seine Fertigkeit im Zeichnen, das auch von ihr mit Eifer und Geschick betrieben wurde. Nun hatte sie in ihm einen Freund und einen Lehrmeister zugleich gewonnen. Bald aber, wenn er des Abends neben ihr saß, war es nicht sowohl die vor ihr liegende Zeichnung, als die kleine arbeitende Hand, auf der seine Augen ruhten; und sie, die sonst jeden Augenblick den Bleistift fortgeworfen hatte, zeichnete jetzt schweigend und gehorsam weiter, ohne aufzusehen, wie unter seinem Blick gefangen. Sie mochten endlich selbst kaum wissen, daß abends beim Gutenachtsagen ihre Hände immer ein wenig länger aneinander ruhten, und ihre Finger ein wenig dichter sich umschlossen. Der Justizrat, dessen Gedanken meistens in seinen Geschäften waren, hatte noch weniger Arg daraus; er freute sich, daß seine Frau in ihren Lieblingsstudien Anregung und Teilnahme gefunden hatte, die er selbst ihr nicht zu gewähren vermochte. Nur einmal, als kurz zuvor der junge Architekt ihr Haus verlassen hatte, überraschte ihn der träumerische Ausdruck ihrer Augen. »Vroni«, sagte er, indem er die Vorübergehende an der Hand zurückhielt, »es ist doch wahr, was deine Schwestern sagen.« – »Was denn, Franz?« – »Freilich«, sagte er, »jetzt seh ich’s selbst, daß du gefirmte Augen hast.« – Sie errötete; und duldete es schweigend, als er sie näher an sich zog und küßte. – –

      Heute bei dem schönen Wetter waren sie und Rudolf von dem Justizrat aufgefordert worden, ihn auf seinem Geschäftsgange nach der nahe gelegenen Mühle zu begleiten.

      Seit der gestrigen Gesellschaft, wo sie eine unter seinen Augen vollendete Zeichnung auf Bitten ihres Mannes vorgelegt hatte, war indessen zwischen ihnen nicht alles so, wie es gewesen. Rudolf fühlte das nur zu wohl; und er vergegenwärtigte es sich jetzt noch einmal, wie es denn gekommen, daß er dem zwar etwas übermäßigen Lobe der andern mit so scharfem leidenschaftlichem Tadel entgegengetreten war.

      Veronika hatte längst ihr Gebet beendet; aber er wartete vergebens, daß sie die Augen zu ihm wende.

      »Sie grollen mir, Veronika!« sagte er endlich.

      Die junge Frau nickte kaum merklich; aber ihre Lippen blieben fest geschlossen.

      Er sah sie an. Der kleine Trotz lag immer noch auf ihrer Stirn. »Ich dächte«, sagte er, »Sie wüßten, wie es geschehen konnte! Oder wissen Sie es nicht, Veronika?«

      »Ich weiß nur«, sagte sie, »daß Sie mir weh getan. – Und«, setzte sie hinzu, »daß Sie mir weh tun wollten.«

      Er schwieg eine Weile. »Haben Sie denn«, fragte er zögernd, »das kluge Auge des alten Mannes nicht bemerkt, der Ihnen gegenüberstand?«

      Sie wandte den Kopf und blickte flüchtig zu ihm auf.

      »Ich mußte es selber tun, Veronika – verzeihen Sie mir! – Ich kann Sie nicht von andern tadeln hören.«

      Es zog sich wie ein Schleier über ihre Augen, und die langen schwarzen Wimpern senkten sich tief auf ihre Wangen; aber sie erwiderte nichts. – –

      Kurz darauf hatten sie das Gehöft erreicht. Der Justizrat wurde von dem Sohn des Müllers in das Wohnhaus geführt; Veronika und Rudolf traten in den zur Seite liegenden Garten. Aber sie gingen schweigend auf dem langen Steige fort; es war fast, als zürnten sie miteinander, als würde ihnen der Atem schwer, wenn sie dennoch wie beiläufig ein einzelnes Wort zu reden suchten.

      Als sie den Garten durchwandert hatten, gingen sie über einen schmalen Steg in die untere Tür des Mühlengebäudes, welches hier zu Ende desselben an einem stark fließenden Wasser lag. – Durch das Klappern des Werkes und das Getöse des stürzenden Wassers, welches jeden von außen kommenden Laut verschlang, herrschte eine seltsame Abgeschiedenheit in dem fast dämmerigen Raume. Veronika war gegenüber in die Tür getreten, die zu dem Gerinne hinausführte, und blickte unter sich in die tosenden Räder, auf denen das Wasser in der Abendsonne blitzte. Rudolf folgte ihr nicht; er stand drinnen neben dem großen Kammrade, die Augen düster und unablässig auf sie gerichtet. – Endlich wandte sie den Kopf. Sie sprach, er sah, wie ihre Lippen sich bewegten; aber er vernahm keine Worte.

      »Ich verstehe nicht!« sagte er und schüttelte den Kopf.

      Als er zu ihr gehen wollte, war sie schon in den innern Raum zurückgetreten. Im Vorübergehen kam sie dem Rade, neben welchem er stand, so nahe, daß die Zacken fast ihr Haar berührten. Sie sah es nicht, denn sie war noch geblendet von der Abendsonne; aber sie fühlte ihre Hände ergriffen und sich rasch zur Seite gezogen. Als sie aufsah, blickten ihre Augen in die seinen. Sie schwiegen beide; ein plötzliches Vergessen fiel wie ein Schatten über sie. Zu ihren Häuptern tosten die Mühlwerke; von draußen klang das eintönige Rauschen des Wassers, das über die Räder in die Tiefe stürzte. – Allmählich aber begannen die Lippen des jungen Mannes sich zu regen, und unter dem Schutze des betäubenden Schalles, in dem der Laut seiner Stimme wesenlos verschwand, flüsterte er trunkene, betörende Worte. Ihr Ohr vernahm sie nicht, aber sie las ihren Sinn aus der Bewegung seines Mundes, aus der leidenschaftlichen Blässe seines Angesichts. Sie legte den Kopf zurück und schloß die Augen; nur ihr Mund lächelte und gab von ihrem Leben Kunde. So stand sie wie in Scham gebannt, das Antlitz hülflos ihm entgegenhaltend, die Hände wie vergessen in den seinen.

      Da plötzlich hörte das Rauschen auf; die Mühle stand, sie hörten über sich den Mühlknappen gehen und draußen von den Rädern fiel das abtropfende Wasser klingend in den Teich. Die Lippen des jungen Mannes verstummten; und als Veronika sich ihm entzog, versuchte er nicht sie zurückzuhalten. Erst als sie aus der Tür ins Freie trat, schien er die Sprache wiedergefunden zu haben. Er rief ihren Namen und streckte die Arme bittend nach ihr aus. Aber sie schüttelte, ohne nach ihm umzusehen, den Kopf und ging langsam durch den Garten nach dem Wohnhause.

      Als sie drinnen in die nur angelehnte Tür des Zimmers trat, sah sie gegenüber den alten Müller mit gefalteten Händen in seinem Bette liegen. Oberhalb desselben an der Wand war ein hölzernes Kruzifix befestigt, von dem ein Rosenkranz herabhing. Ein junges Weib, mit einem Kinde auf dem Arm, war eben herangetreten und neigte sich über das Deckbett. »Ihm fehlt nur die Luft«, sagte sie, »das Essen schmeckt ihm gut genug.«

      »Welchen Arzt habt Ihr denn?« fragte der Justizrat, der mit einem Schriftstück in der Hand danebenstand.

      »Arzt?« wiederholte sie. »Wir haben keinen Arzt.«

      »Da tut Ihr unrecht!«

      Das junge Weib stieß ein verlegenes Lachen aus. »Es ist die Altersschwäche«, sagte sie, indem sie ihrem dicken Jungen sein Näschen mit der Schürze putzte, »da hilft der Doktor nichts dazu.«

      Veronika horchte atemlos auf diese Reden. – Der Alte begann zu husten und fuhr mit der Hand nach seinen Augen.

      »Ist das so Euer Wille, Martin, wie es hier geschrieben steht?« fragte jetzt der Justizrat.

      Aber der Kranke schien ihn nicht zu hören.

      »Vater«, sagte das junge Weib, »ob das so richtig ist, wie es der Herr Justizrat vorgelesen hat?«

      »Freilich«,


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