Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
„Die Stadt liegt wirklich wundervoll,“ sagte Harald Harst zu mir und deutete hinab auf das an der Südseite der Tafelbai sich hinziehende und mit seinen modernen Häusern, geraden Straßen und großen Parkanlagen so ganz europäisch wirkende Kapstadt, den Sitz der Regierung der englischen Kapkolonie.
Wir standen auf der Spitze des 1082 Meter hohen Tafelberges, hatten zur Rechten den Teufels- und zur Linken den Löwenberg, die die prächtige Stadt und ihre Umgebung amphitheatralisch im Westen und Süden einschließen. Wir waren nicht allein auf der Höhe des Tafelberges. Den warmen, sonnigen Vormittag hatten noch andere Ausflügler zu einer Partie nach der tafelförmigen Kuppe benutzt.
Harst holte sein Zigarettenetui hervor und hielt es mir hin.
„Bitte, bediene Dich, lieber Schraut – Ich fürchte mit unseren Ferien ist’s vorbei. Uns wird sofort ein älterer Herr ansprechen, der soeben sehr eilig den steilen Pfad heraufgekeucht kam, dann die zwei Dutzend Menschen hier oben prüfend musterte und nun nur noch Augen für uns hat. Ich kenne ihn nicht. Es ist fraglos ein wohlhabender Engländer und zwar ein Einheimischer. Ein so stark gebräuntes Gesicht findet man nur bei denen, die jahrelang unter der heißen Sonne Afrikas lebten. Der Herr ist verheiratet und dürfte 50 Jahre alt sein. Er ist Liebhaber von Diamanten. Seine Ringe und seine Busennadel stellen ein Vermögen dar. Aber – er hat Sorgen. Er sieht verstört aus. Ich wette, er hat aus den hiesigen Zeitungen erfahren, daß ich seit drei Tagen hier im Hotel Atlantik wohne, ist im Hotel gewesen, hat nach uns gefragt und wird von unserem Landsmann und Zimmerkellner den Bescheid erhalten haben, wir hätten eine Tour nach dem Tafelberg unternommen.“
Hinter uns – denn wir standen dicht am steilen Abhang – jetzt ein tiefe Stimme:
„Gestatten die Herren eine Frage –“
Wir wandten uns um. Ein Herr mit grauem Spitzbart lüftete den breitrandigen Strohhut.
„Habe ich die Ehre, Herrn Harald Harst vor mir zu sehen? Mein Name ist Jones Fitzgerald.“
Sein Deutsch war fließend. Der Eindruck, den er auf den ersten Blick machte, recht sympathisch. Er war hager und groß und für seine Jahre fast zu modern gekleidet.
„Ich bin Harald Harst,“ erklärte dieser höflich. „Dies hier mein Freund und Privatsekretär Schraut. – Ich kann nur annehmen, daß Ihnen etwas Unangenehmes passiert ist, Herr Fitzgerald. Sie haben sehr wahrscheinlich im Hotel gehört, daß wir hier zu finden seien.“
Jones Fitzgerald tupfte sich die Schweißperlen von der Stirn. Seine Hand zitterte. In seinen grauen, großen Augen lag ein Ausdruck von Sorge und Angst.
„Sie haben recht, Herr Harst. Ich war soeben in Ihrem Hotel,“ antwortete er überhastet. „In meiner Villa ist in der verflossenen Nacht ein rätselhafter Diebstahl verübt worden. – Ich übertreibe wirklich nicht: die Sache ist völlig unerklärlich. Wäre dem nicht so, würde ich es wahrhaftig nicht wagen, Sie mit der Bitte zu belästigen, mir zu helfen, diese geheimnisvolle Angelegenheit aufzuklären. Ein Mann von Ihrem Weltruf – jede Schmeichelei liegt mir fern – gibt sich kaum mit Lappalien ab. – Um es kurz zu sagen: mir ist ein Edelstein gestohlen worden, der unter dem Namen „Die Rose von Rondebosch“ eine gewisse Berühmtheit besitzt, – ein Stein von zartrosa Färbung, die äußerst selten ist, und von der Größe eines Taubeneis.“
„Ich habe von dem Stein bereits gehört, Herr Fitzgerald. Ich bin gern bereit, mit nach Ihrer Villa zu kommen. – Gehen wir also. – So, vielleicht sagen Sie mir nun, wo und wie Sie wohnen, wo der Stein aufbewahrt wurde und ob Sie gegen irgend jemand Verdacht haben.“
Der Pfad ist schmal, der zur Bergkuppe führt, so daß ich hinter den beiden Herren bleiben mußte. Trotzdem vernahm ich jedes Wort, denn Fitzgeralds Stimme war sehr kräftig.
„Ich wohne in dem Villenvorort Rondebosch südlich von Kapstadt, Herr Harst,“ begann der Engländer. „Ich bin alleiniger Eigentümer der Exportfirma Blaker und Fitzgerald. Mein Kompagnon starb vor vier Jahren. Meine Villa liegt abseits in einem großen Park. Ich bin verheiratet. Meine Frau weilt seit drei Monaten in London bei –“ eine kurze Pause – „bei einem Spezialarzt. Sie leidet an Netzhautablösung, – falls Sie diese gefährliche Augenerkrankung kennen. Kinder haben wir nicht. Bei uns wohnt jedoch ein Neffe meiner Frau, der in meinem Geschäft zweiter Kassierer ist. Er heißt Edward Pook. Außer ihm befinden sich in der Villa noch ständig die Köchin, ein Stubenmädchen und ein Gärtner. Diese drei sind Engländer wie ich. Dann habe ich noch zwei schwarze Diener, die seit acht Jahren in meinem Dienst stehen. Mithin hat die Villa zur Zeit außer mir und Edward noch fünf Bewohner. Die beiden Schwarzen sind jedoch in einem Nebengebäude untergebracht, und Simpson, der Gärtner, haust am Parkeingang in einem kleinen Häuschen, so daß sich in der vergangenen Nacht nur vier Personen in der Villa selbst aufhielten: die Köchin, das Stubenmädchen, Edward und ich.“
Zu meinem Erstaunen schnitt Harst setzt ein anderes Thema an: Augenkrankheiten! – Er erkundigte sich teilnehmend nach Frau Fitzgeralds Augenübel und bewies, daß er über Netzhautablösung besser Bescheid wußte als Jones Fitzgerald selbst. Als dieser das Gespräch wieder auf den Diebstahl bringen wollte, meinte Harst, das weitere möchte er sich lieber am Tatort schildern lassen.
Gegen zwölf Uhr mittags langten wir vor dem Parktor der Besitzung Fitzgeralds an. Schon die Mauer aus Backsteinen, das schmiedeeiserne Tor und das Gärtnerhäuschen daneben verrieten, daß Fitzgerald sehr reich sein mußte. Alles hier trug den Stempel des Gediegenen und bewies auch Geschmack. Die Villa lag in einer Lichtung des Parkes hinter einer weiten Rasenfläche, war im italienischen Stil gebaut und hatte zwei Stockwerke. Wir trafen vor dem Hause den Gärtner an, der ein Zierbeet frisch bepflanzte. Fitzgerald nickte dem Manne zu und fragte: „Was Neues, Simpson?“
„Nichts, Herr Fitzgerald.“
Simpson war ein schon bejahrter Mann mit kurzem Vollbart und einem Buckel. Den Kopf trug er schief wie Leute, deren Nackenmuskeln nicht in Ordnung sind.
Wir gingen weiter – „Simpson hat mal einen Negerspeer ins Genick bekommen,“ sagte Jones Fitzgerald so nebenbei. „Er ist ein unruhiger Geist. Auch so etwas Abenteurernatur, wie ich es einst war.“
Dann führte er uns in den ersten Stock der Villa in ein großes, dreifenstriges Vorderzimmer, das direkten Zugang vom Flur hatte und das Fitzgerald erst aufschließen mußte.
In dem Zimmer war’s blendend hell. Die Fenster hatten nur gelbe Sonnenvorhänge, die jetzt zurückgezogen waren. Man glaubte sich hier in einem Museum zu befinden.
Fitzgerald blieb in der Mitte unter dem elektrischen Kronleuchter stehen. – „Ich sammle afrikanische Altertümer und Raritäten, Herr Harst,“ erklärte er mit einer Handbewegung auf die großen Glasschränke ringsum und die Tische mit Glaskästen. Er schritt auf ein einzelnes Tischchen an einem Fensterpfeiler zu, auf dem ein kleiner, viereckiger, flacher Glaskasten stand, der mit schwarzem Samt ausgeschlagen war. Seine Stimme vibrierte, als er fortfuhr:
„Hier wurde der rosa Diamant aufbewahrt, den man jetzt Rose von Rondebosch nach meinem Wohnsitz nennt. Als ich heute um acht Uhr früh dieses Zimmer betrat und die in die Wände eingelassenen eisernen Fensterschiebeladen aufschloß und zurückschob, galt wie immer mein erster Blick diesem Glaskasten. Aber – er war leer. Sie sehen, Herr Harst, der Kasten ist verschlossen und ganz unbeschädigt. Er hat ein Kunstschloß, zu dem nur ich den Schlüssel besitze. Jeden Abend schließe ich die Fensterladen und ebenso die beiden Türen zu diesem Zimmer, die gleichfalls derart gesichert sind, daß kein Unberufener sie öffnen kann. Ihre Kunstschlösser sind so eingerichtet, daß mit Nachschlüsseln daran nichts auszurichten ist. Und doch ist der Stein gestohlen worden. Ich wollte zuerst sofort die Polizei benachrichtigen. Dann besann ich mich, Ihren Namen in einer hiesigen Zeitung gelesen zu haben. Deshalb wollte ich zunächst Sie bitten –“
„Danke,“ meinte Harst zerstreut. „Wo bewahren Sie die Schlüssel zu den Kunstschlössern auf, Herr Fitzgerald?“
Hier wurden wir durch den Eintritt der Köchin gestört, einer hageren, unfreundlich aussehenden Person, die ihren Herrn im Auftrage des Gärtners fragte, ob dieser in die Stadt