Berühmte Briefe. Marcus Tullius CiceroЧитать онлайн книгу.
Francesco Petrarca an Cicero
Vorwort
Der Marix Verlag wünschte, in seiner Reihe philosophischer Klassiker eine kleine Auswahl von Cicero-Briefen herauszugeben. Ciceros Briefe enthalten zwar nicht seine philosophischen Ausführungen, stellen aber eine Ergänzung zu diesen dar, wie sie in der Antike nur bei wenigen Schriftstellern zu finden ist: Sie zeigen seine Person jenseits der philosophischen Ideale.
Da Auswahlausgaben nach Schönheit oder Wichtigkeit immer subjektiv ausfallen, erschien die Auswahl zweier Briefgruppen sinnvoll, von denen jede aus sachlichen Gründen in sich eine Einheit darstellt: die Exilbriefe durch die Zeit und die Umstände ihrer Entstehung, die Briefe an Ciceros Ehefrau Terentia durch die Adressatin. Beide Gruppen bestehen ausschließlich aus Gebrauchsbriefen und enthalten zusammen gewiss die persönlichsten Mitteilungen, die von Cicero – durch Dritte eher als von ihm selbst – der Nachwelt überliefert wurden und zeigen den bisweilen geschmähten Staatsmann und berühmten Philosophen von seiner privatesten Seite. Damit stellen sie nicht nur ein bemerkenswertes menschliches Zeugnis, sondern auch eine historische Quelle seltener Art dar.
Außer den Briefen Ciceros selbst wurde ein Brief des italienischen Humanisten Francesco Petrarca in dieses Büchlein aufgenommen, jenes Mannes, der einen wesentlichen, seit dem 13. Jh. verschollenen Teil von Ciceros Briefen aufgefunden und als erster Mensch der Neuzeit gelesen hat. Petrarca war vom Wesen Ciceros, wie es sich in den Briefen an seinen Freund Atticus zeigt, so betroffen, dass er dem längst verstorbenen Vorbild lateinischer Sprachkunst seinerseits einen fiktiven Brief schrieb, um seine Erschütterung über dessen Schwächen auszudrücken, und gewiss haben die Exilbriefe an diesem Befremden Petrarcas keinen geringen Anteil.
Der deutschen Übersetzung liegen die lateinischen Fassungen von D. R. Shackleton Bailey und Helmut Kasten zugrunde, der Übersetzung des Petrarca-Briefes die lateinische Textfassung von Vittorio Rossi, wiedergegeben bei Florian Neumann.
Die Briefe werden nicht nach ihrer Nummer in den überlieferten Briefsammlungen, sondern chronologisch wiedergegeben.
Speyer, 3. Januar 2009
Lenelotte Möller
Einleitung
M. Tullius Cicero
Der berühmte römische Staatsmann, Redner und Philosoph, Konsul des Jahres 63 v. Chr., wurde am 3. Januar 106 v. Chr. in Arpinum geboren. Seine Heimatstadt liegt im Süden Latiums, 100 km südöstlich von Rom, im Gebiet der Volsker. Die Einwohner der Stadt hatten 188 v. Chr. das römische Bürgerrecht erhalten. Cicero war der älteste Sohn Marcus Tullius Ciceros und Helvias, die 103 oder 102 noch den Sohn Quintus bekamen. Die Tullii Cicerones gehörten dem Ritterstand an, der zweitobersten Klasse der Bevölkerung zwischen den Patriziern und den Plebejern. Sie führten ihre Herkunft auf den römischen König Servius Tullius, wie Cicero eher scherzhaft mitteilt, und den Konsul der frühen Republik Manius Tullius Longus (Konsul 500 v. Chr.), den einzigen Patrizier dieses Namens, zurück. Obwohl eine der führenden Familien Arpinums, gehörten sie in Rom nicht zur Nobilität, also jenen patrizischen, plebejischen und ritterlichen Familien, von denen Mitglieder im Senat saßen, aus denen also Prätoren und Konsuln, die höchsten Regierungsbeamten, kamen und die nicht selten untereinander verwandt waren.
Grundlage für eine politische Karriere waren aber vor allem die Beziehungen zu eben dieser Nobilität, außerdem eine möglichst große Zahl von Klienten, d. h. Angehörigen niedrigerer Bevölkerungsschichten, die sich unter den Schutz eines Patrons stellten und diesem dafür morgendlich aufwarteten, ihn bei öffentlichen Auftritten begleiteten und ihn im Wahlkampf unterstützten. Umso schwerer war es für jemanden, der über diese Grundlagen nicht verfügte, politisch aufzusteigen. Männer, denen dies dennoch gelang, wurden homines novi (wörtl.: neue Männer, gemeint: Neulinge, Emporkömmlinge) genannt. Zu den 15 Männern, die dies seit 366 v. Chr. bis zu Ciceros Zeit geschafft hatten, gehörten z. B. M. Porcius Cato, der Zensor, dessen Landgut Tusculum später Cicero kaufte, und der wie Cicero aus Arpinum stammende C. Marius (Konsul 107 sowie 104-100 und 87), mit dem Cicero durch Adoption eines Onkels entfernt verwandt war.
Die Tatsache, dass die homines novi permanent um Anerkennung und Ebenbürtigkeit bei der Nobilität kämpfen mussten, hat Ciceros Denken und Leben tief geprägt.
Ciceros Vater zog mit den beiden jungen Söhnen Marcus und Quintus nach Rom, um ihnen dort eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Behilflich waren dabei vor allem sein Freund L. Licinius Crassus, der Vater des Triumvirn im 1. Triumvirat (60, mit C. Iulius Caesar und Cn. Pompeius Magnus), in dessen Haus die Cicero-Brüder zuerst unterrichtet wurden, sowie M. Antonius, der Großvater des Triumvirn im 2. Triumvirat (43, mit C. Iulius Caesar Octavianus und M. Aemilius Lepidus). Nach Crassus’ Tod lernte Cicero als Mitstudenten T. Pomponius Atticus kennen, der von da an lebenslang sein bester Freund blieb.
Mit der Philosophie kam Cicero zuerst durch seinen Lehrer Philon von Larisa in Berührung. Der Leiter der Neuen Akademie in Athen war vor König Mithridates von Pontos nach Rom geflohen. Auch mit den anderen maßgeblichen philosophischen Richtungen seiner Zeit außer der sog. Akademie befasste sich Cicero, so kam er mit dem Epikureismus in Kontakt, und den Stoiker Diodotos nahm er in sein Haus auf.
Seinen nur einjährigen Militärdienst leistete Cicero im Bundesgenossenkrieg (91-89 v. Chr.) im Jahre 89 unter den Feldherren Cn. Pompeius Strabo und L. Cornelius Sulla ab, danach nahm er die für Politiker der römischen Republik übliche Anwaltstätigkeit auf. Seine erste bedeutende überlieferte Rede hielt er im Jahr 81 für P. Quinctius, dessen eigentlicher Anwalt Rom wegen einer Gesandtschaft verlassen musste, in einem komplizierten Zivilprozess. Sein Gegner war der damals berühmteste Redner Roms Q. Hortensius Hortalus, den Cicero mit der gebotenen Ehrfurcht behandelte, während er sich sonst recht mutig auch gegen Anhänger des Diktators L. Cornelius Sulla äußerte.
Im folgenden Jahr verteidigte er den des Vatermordes angeklagten Sex. Roscius Amerinus. Er erwirkte den Freispruch seines Mandanten, da er die Ankläger selbst der Tat überführte. Sie hatten den Vater Roscius’ um sein Vermögen betrogen und ermordet und anschließend versucht, den Sohn und rechtmäßigen Erben durch die Anklage als erbunwürdig erscheinen zu lassen. Nach diesem Prozess begab sich Cicero, obgleich siegreich, zu seiner eigenen Sicherheit nach Griechenland, wo er seine philosophischen Studien fortsetzte, denn einer der überführten Ankläger war ein Freund des amtierenden Diktators Sulla. Aus diesem Grunde hatte auch kein anderer Anwalt Roms die Verteidigung Roscius’ übernehmen wollen.
Weitere Motive für diese Reise waren möglicherweise auch Ciceros angeschlagene Gesundheit, da er sich beim Vortrag seiner Reden anfangs zu sehr verausgabte, sowie die Tatsache, dass Bildungsreisen dieser Art für junge Männer der römischen Oberschicht keineswegs ungewöhnlich waren. Sein Bruder Quintus und sein Vetter Lucius begleiteten ihn. Sein Freund T. Pomponius Atticus befand sich bereits in Athen. Cicero suchte verschiedene Philosophenschulen in Athen auf und lernte in Rhodos bei Molon von Rhodos einen schlichten Redestil sowie eine schonendere Technik beim Stimmeinsatz kennen.
In Smyrna besuchte Cicero P. Rutilius Rufus, den letzten Überlebenden des Scipionenkreises, eines Freundeskreises um P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanus, den Konsul der Jahre 147 und 134 und Zerstörer Karthagos 146. Zu diesem Kreis hatten der Stoiker Panaitios, der Historiker Polybios, der Dichter Lucilius, der Konsul des Jahres 140, C. Laelius und eben der Konsul des Jahres 105, P. Rutilius Rufus, gehört. Die Runde bildete von etwa 150 bis 130 einen Ort der Begegnung römischer und griechischer Geisteswelt. In diesem Kreis ließ Cicero später sein bedeutendstes staatsphilosophisches Werk De re publica spielen, und in der Tradition dieser Personen sah sich der Politiker und Philosoph Cicero selbst. P. Rutilius Rufus war zu Unrecht der Erpressung während seiner Statthalterschaft in der Provinz Asia angeklagt und verurteilt worden. Da er die entsprechende Geldstrafe nicht hatte aufbringen können, war er ins Exil nach Smyrna gegangen, wo er sich mit der Schriftstellerei beschäftigte.