Semmering 1912. Peter AltenbergЧитать онлайн книгу.
einem Baumast ein silberner großer Käfig mit einem grauen Papagei, Lori! Zwei-Farben-Gärten! Nun einige Anregungen: weite Rasenflächen sind still-aristokratisch, werden aber durch alte, knorrige, spärlich unregelmäßig hingesetzte Obstbäume sofort bewegt-romantisch! Es dürfte nie heißen: ein Garten, sondern immer nur: sein Garten. Goethe hat einen andern Garten als Victor Hugo.
Wasserpflanzen und Steinpflanzen erfordern Bassins und Mauern. Diese können aber nicht diskret bescheiden genug sein. Der Kurpark in Baden bei Wien entspringt gleichsam einer dunklen, echten Waldquelle, die die Wiesenabhänge herabstürzt, sich zerteilend und winzige Tümpel bildend. Hier ist die Natur am allerdiskretesten organisiert! Ein enragierter Feind jedoch bin ich seit jeher der Teppichbeete, die mir wie als Smyrnateppiche mißbrauchte Blumenpracht erscheinen. Man überlasse diese stilisierten Farbensymphonien den Webern und Knüpfern. Ich bin gegen die Riesenlineale, Riesenzirkel, gespannten Stricke der Gartenkunst! Rhabarber erscheint im Gemüsegarten als Nutzpflanze, an Teichen jedoch als Wildstaude, pittoresk. Jeder Platz eine andere Welt!
Waldrebe, Klematis, ist, an alten Bäumen, unsre „Liane des Urwalds“. Der Boden ist so reich, daß er auch noch die Schmarotzer in Üppigkeit erhalten kann. Immergrün als Bodenbedeckung ist ein natürlicher Rasen. Rasen braucht doch Schneiden, Spritzen, Walzen und Düngen. Rasen will „gepflegt, gehegt“ werden. Immergrün ist einfach immer grün. Es läßt den Wurzeln aller andern Pflanzen das Regenwasser, das Gießwasser, das Tauwasser, das Schneewasser, während der Rasen sich vollsauft und andre verdursten läßt! Selbst im Winter gibt Sedum spurium noch einen lebendigen bräunlichgrünen Bodenüberzug, während unser Rasen dann nur „Winterlieder zum Cello“ in der Seele hervorbringt. Sedum spurium wirkt körperlicher, plastischer, naturgemäßer, dichter, verworrener als Rasen, der mir stets den Eindruck von geschnittenem Samt und Plüsch hinterläßt.
Ich bin sehr für Trockenmauerwerk mit schmiedeeisernen Geländern und dicht bepflanzt mit Kapuzinerkresse. Wie wenn die überstarke Natur auch da noch Stein und Eisen schmücken möchte mit Grün und Dunkelgelb. Zur Schlingpflanze gehört ihre Stütze. Man soll sie sehen, sie ist ein naturgemäßer Schmuck. Ihr Holzgitterwerk kann daher sogar aus Edelholz sein, oder in diskreten Ölfarben, Ocker, Ruß, steingrau. Ich weiß nicht, weshalb man nicht an niederen Ästen von exotischen Bäumen, Tulpenbaum, Trompetenbaum, herrliche Käfige mit exotischen Vögeln aufhängt, so als Urwaldstaffage?! Brombeere, Himbeere, Kletterrose sind mir ein sympathisches Dickicht, so Dornröschenwald, undurchdringlich einsam. Weshalb sind Villen nicht dicht bedeckt mit Bauerngärtengeranke?! Ein Überfluß der Reichen und der Armen.
Steinplattenwege im Garten, in deren Fugen Blumen sprießen, sind romantisch. Das Haus ströme gleichsam in den Garten aus, erweitere sich, erhöhe sich zum Garten, verliere seine Bedachungen, an deren Stelle der blaue Himmel, die graue Wolke tritt. Ich sah an einem Lindenpark ein dickes rotes Backsteinportal mit eichener Holztür. Da können keine Talmimenschen wohnen, sondern nur gediegene. Grellrote Holzpforte zwischen Granitmauern. Gelbe Eschenholzpforte zwischen weiß-schwarzen Betonmauern.
Weiße Rankrosen geben Märchenstimmung. Gartenlaube am Wasser, Nachmittagstraumplatz. Buchenjungwald, wunderbar im Vorfrühling und im Spätherbst. Ein Teppich von raschelnden braunen Blättern darunter. „Warte nur, balde ruhest du auch!“
Weshalb bepflanzt man die Bergwiesen in Berggärten (Semmering) nicht dicht mit Wacholder, Rhododendron, Zirbelkiefer, das, was Rax und Schneeberg von selbst leisten in ihrem künstlerischen Naturgeschmack?! Stauden vor Gebüsch, ein ideales Ausklingen! Birken, Schlehen, Eriken, und schon ahnst du den Sandboden der „Mark“. Mit gewissen Pflanzen kannst du ferne Gegenden herzaubern! Meine Lieblingsbäume: Lärche, Graufichte, Knieholz, Blutbirke, Rotbuche, Weide! Wasser, Wasser, fließend oder stehend, du bist der Dichter in dieser Realität: Landschaft! Du bringst die Romantik, die Musik der Landschaft!
Des Teiches Stille singt des Lebens Schwermut.
Des Baches Murmeln klingt wie Wiegenkindes Plaudern aus dem Traum.
Der Wasserfall singt dir von einer Welt, deren Getöse auch nicht mehr enthält!
Springbrunnen’s Melodie bei Tag und Nacht,
die sanften Herzen melancholisch macht.
Der Sommerregen trommelt auf hunderttausend Blätter,
dürstenden Blumen zärtlicher Erretter!
Über dem Gartensumpf schwirrt die Libelle,
Vom Froschsprung klagt ans Ufer eine Welle!
Gießkannen rieseln sanft auf schwarze Erde,
damit die Pracht des Sommers baldigst werde!
Hörst du dem Brünnlein lange, lange zu,
kommt über dich unmerklich Fried’ und Ruh’!
Oh Mensch, worauf willst du denn ewig warten?!
Such’ deine kleine große Welt in deinem Garten!
MODERNER DICHTER
In unserm Leben gibt’s so viel Nuancen — — —
Die eine sagt: „Arzt meiner kranken Seele!“
Die andre sagt: „Wie schrecklich er nur aussieht!“
Die eine lauscht begierig der Persönlichkeit,
die andre sieht pikiert den Gegensatz zu den andern!
Die eine schreibt: „Darf ich zu Ihnen kommen?!“
Die andre hält’s bereits für zynisch, wenn er im Gespräch
sanft-zärtlich ihre Hand berührt.
Die eine sagt: „Ein Romantiker ohne Herz!“
Die andre sagt: „Ein Herzlicher ohne Romantik!“
Und eine jede sieht ein „für“ und „wider“ — — —
und keine spürt, daß „für“ und „wider“ eins ist
in einem, in dem „für“ und „wider“ zugleich sind!
DIE TÄNZERIN
Das Kind, allein in der Garderobe der Tänzerin, ordnet liebevollst alles — —.
Sie setzt sich dann in eine Ecke auf ein niedriges Stockerl, kauernd in sich versunken.
Die Tänzerin kommt, erhitzt, erregt vom Tanzen.
Sie setzt sich an den Toilettetisch.
Sie wendet sich um, erblickt das kauernde Kind.
„Immer, Marie, kauerst du da in der Ecke in meiner Garderobe, stundenlang. Wird dir denn das nicht langweilig?!?“
„Nie, Fräulein! Nur Menschen, die ich nicht lieb habe, langweilen mich. Menschen, die ich lieb habe, langweilen mich nie! Wodurch sollten sie es?!? Alles an ihnen ist mir wert und teuer. Ich könnte ihnen zuschauen von früh bis abends.“
Die Garderobiere blickt herein:
„Was ist das, Mizerl, schon wieder da?! Das Fräulein wird sich bedanken. Entschuldigen Sie, Fräulein, der Fratz ist gar so romantisch veranlagt. Der Vater sagt immer: ‚Wie du zu uns ehrsamen Bürgersleuten kommst — — —.‘ Gestern hat sie beim Nachtmahl gesagt: ‚Jetzt verbrenn’ ich alle meine dummen Märchenbücher — — — ich habe eine lebendige Fee gefunden!‘ So ein Fratz, was?! Man sollt’s nicht für möglich halten. Aber bitt’ Sie, 10 Jahre!? Sie wird’s schon billiger geben mit den ‚lebendigen Feen‘! Die Männer tun uns beizeiten die Märchen austreiben — — —.“ Ab.
Das Kind: „Meine Mutter blamiert mich vor Ihnen. Sie versteht gar nichts von