Die Schildbürger & Doktor Faustus. Gustav SchwabЧитать онлайн книгу.
eigenen Neste sehen wollet und hören, daß sie zu euch sprechen: Vor der Tür ist draußen! Darum seid vor Schaden gewarnt. Beschlossen und gegeben zu Schilda, mit eurem eigenen Siegel, das eurer wartet.«
Sobald den Männern dieses Schreiben eingehändigt worden und sie den Inhalt eingesehen, wurde ihr Herz gerührt, und sie fanden es höchst notwendig, sogleich heimzukehren. Sie nahmen daher von ihren Herren gnädigen Urlaub und kamen nach Hause. Hier trafen sie eine solche Verwirrung in allen Sachen, daß sie, so weise sie waren, sich nicht genug verwundern konnten, wie in der kurzen Zeit ihrer Abwesenheit so vieles sich hatte verkehren können. Aber freilich, Rom, das in so vielen Jahren mit Mühe gebauet worden ist, kann an einem Tage gebrochen und zerstört werden! Die Weiber der Schildbürger wurden über die Zurückkunft ihrer Männer sehr froh; doch empfing nicht jede ihren Mann gleich, wie sie denn gar verschiedener Komplexion waren. Die einen nahmen ihre Männer ganz freundlich und liebevoll auf, wie eine ehrliche Frau billig tun soll, vermöge der Tugenden, mit welchen das weibliche Geschlecht absonderlich geziert ist; andere aber fuhren die ihrigen mit rauhen und zweigespitzten Worten an und hießen sie in alles Bösen Namen willkommen; wie dies denn auch in unsern Tagen viele Weiber gegen die Natur im Brauche haben; so daß diesen Männern besser gewesen, sie wären mit dem Vieh hereingekommen und heimlich in die Ställe geschlüpft. Im übrigen waren sie allzumal fröhlich und begingen ein Freudenfest; dann aber setzten sie ihren Männern auseinander, wie notwendig es war, daß sie wieder heimgekommen, und baten sie, das Versäumte hereinzubringen und fernerhin des Hauswesens und Gewerbes besser wahrzunehmen, welches die Männer ihnen auch bei Treu und Ehren zusagten.
Auf dieses traten die Schildbürger zusammen, einen Rat zu fassen, was zu tun wäre, daß sie von ausländischen Herren nicht mehr, wie bisher, geplagt und abgefordert würden. Weil es aber spät am Tage und der Handel wichtig war, so ließen sie es für heute bei einer guten Mahlzeit bewenden, bei der sie sich mit weisen Reden, die süßer als Honig und schöner als Gold und Silber sind, aber auch mit Speise und Trank nach Notdurft, als vernünftige Leute, genugsam ergötzt hatten.
Am folgenden Tage verfügten sich meine Herren, Rat zu halten, unter die Linde. Denn dort pflegten sie sich von alters her zu versammeln, solang es Sommer war. Winters über war das Rathaus der Versammlungssaal, und der Richterstuhl stand hinter dem Ofen. Als sie nun zuvörderst den großen Schaden, der ihrem Hauswesen erwachsen war, erwogen und mit dem Nutzen verglichen, der ihnen aus dem Dienste bei den fremden Herren erwuchs, so fanden sie, daß der Nutzen den Schaden bei weitem nicht ersetzen konnte. Es wurde daher eine Umfrage getan, wie doch den Sachen zu helfen wäre. Da hätte einer sollen die weisen und hochverständigen Ratschläge hören, die so gar vernünftig vorgebracht wurden! Einige meinten, man sollte sich der auswärtigen Herren gar nicht mehr annehmen; andere, man sollte sie nicht ganz abtun, sondern nur ihnen so kalte Ratschläge geben, daß sie von selbst abständen und die Schildbürger unbekümmert ließen. Zuletzt trat ein alter Schildbürger auf und brachte sein Bedenken vor, dieses Inhalts: Da doch ihrer aller hohe Weisheit und großer Verstand die einzige Ursache sei, warum sie von Hause abgefordert und da- und dorthin beschickt würden, so dünke ihm das beste zu sein, wenn sie sich durch Torheit und Aberwitz vor künftiger Zudringlichkeit beschirmten. Wie man sie früher ihrer Klugheit wegen in fremde Lande berufen hätte, so würde man sie jetzt ihrer Dummheit halber zu Hause lassen. Deswegen sei er der Meinung, daß sie alle einhellig, niemand ausgeschlossen, Weiber und Kinder, Junge und Alte, die abenteuerlichsten und seltsamsten Sachen anfangen sollten, die nur zu ersinnen wären; ja was jedem Närrisches in den Sinn käme, das sollte er tun. Dazu brauche man aber gerade die Weisesten und Geschicktesten; denn es sei keine geringe Kunst, Narrenamt recht zu verwesen. Wenn nämlich einer die rechten Griffe nicht wisse, und es ihm so mißlinge, daß er gar zum Toren werde, der bleibe sein Leben lang ein Narr; wie der Kuckuck seinen Gesang, die Glocke ihren Klang, der Krebs seinen Gang behält.
Dieses Bedenken wurde von allen Schildbürgern mit dem höchsten Ernst erwogen und, weil der Handel gar schwer und wichtig war, noch manche Umfrage darüber getan. Am Ende beschlossen sie, daß eben jene Meinung in allen Punkten aufs genaueste aufzusetzen und dann ins Werk zu richten sei. Hiermit ging die Gemeinde auseinander mit der Abrede, daß jeder sich besinnen sollte, bei welchem Zipfel die neue Narrenkappe anzufassen wäre. Freilich hatte gar mancher ein heimliches Bedauern, daß er, nachdem er so viele Jahre voll Weisheit gewesen, jetzt erst in seinen alten Tagen ein Narr werden sollte. Denn die Narren selbst können es am wenigsten vertragen, daß ihnen ihre Torheit, über der es ihnen selbst ekelt, durch einen Narren vorgeworfen werde.
Jedoch, um des gemeinen Nutzens willen, für den jeder ja selbst sein Leben mit Lust aufopfern soll, waren sie allzumal willig, sich ihrer Weisheit zu begeben: und damit hat in unserer Geschichte die Weisheit der Schildbürger ein Ende.
Da sie nun forthin ein anderes Regiment, anderes Wesen und Leben anzunehmen und zu bestellen entschlossen waren, so sollte zu einem recht glückhaften Anfange zuerst ein neues Rathaus auf gemeinschaftliche Kosten erbaut werden, ein solches, das auch Raum für ihre Narrheit hätte und dieselbe wohl ertragen und leiden könnte. Da sie sich nun ihrer Weisheit noch nicht ganz verziehen hatten, und sie nicht mit ihrer Narrheit auf einen Stoß hervorbrechen wollten, weil dadurch leicht verraten worden wäre, daß ihre Torheit nur eine angelegte sei: so beschlossen sie, fein gemächlich zu Werke zu gehen. Doch schien ihnen der Bau eines neuen Rathauses immerhin das Dringlichste zu sein. Sie nahmen sich dabei ihren eigenen Pfaffen zum Exempel. Dieser war so eifrig, daß er, so oft er läuten hörte, allezeit meinte, er müßte mit seiner Postille auf die Kanzel rumpeln. Deswegen begehrte er, als er zuerst von den Schildbürgern angenommen wurde, daß sie ihm, noch ehe er predigte, eine neue Kanzel von guten, starken eichenen Brettern, mit Eisen wohlbeschlagen, machen lassen sollten, die seine gewichtigen Worte, so er jederzeit vorbringen wolle, auch recht dulden könne. Ebenso nun dachten die Schildbürger vor allen Dingen an ein geduldiges Rathaus.
Und wie nun alles verabredet war, was zu einem so wichtigen Werke notwendig erfordert wird, fand sich's, daß nichts mehr mangelte, als ein Pfeifer oder Geiger, der mit seinem lieblichen Sang und Klang, wie ein Orpheus oder Amphion, Holz und Steine herbeigeholt hätte, um sie in feiner Ordnung zu diesem Bau aufeinanderzulegen. Da aber ein solcher nirgends zu finden war, so vereinigten sie sich, gemeinschaftlich das Werk anzugreifen, jeder dem andern zu helfen und nicht eher aufzuhören, als bis der ganze Bau aufgeführt und vollendet wäre. Offenbar waren die Schildbürger, deren Weisheit nur allmählich, wie ein Licht, ausgehen sollte, noch viel zu weitsichtig, da sie wußten, daß man zuvor Bauholz und andere Sachen mehr haben müsse, ehe man mit bauen anfangen könne. Denn rechte Narren würden wohl ohne Holz, Stein und Kalk zu bauen sich unterstanden haben. Deswegen zogen sie samt und sonders einmütig miteinander ins Holz, das jenseits des Berges in einem Tale gelegen war, und fingen an, nach dem Rate ihres Baumeisters das Bauholz zu fällen. Als es von den Ästen gesäubert und ordentlich zugerichtet war, da wünschten sie nichts anderes zu haben, als eine Armbrust, auf der sie es heimschießen könnten; durch solches Mittel, meinten sie, würden sie unsäglicher Mühe und Arbeit überhoben sein. So aber mußten sie die Arbeit selbst verrichten, und schleppten die Bauhölzer nicht ohne viel Schnaufen und Atemholen den Berg hinauf und jenseits wieder mit vieler Mühe hinab; alle bis auf eines, das nach ihrer Ansicht das letzte war. Dieses fesselten sie gleich den andern auch an, brachten es mit Heben, Schieben und Stoßen vor und hinter sich, rechts und links den Berg hinauf, und auf der andern Seite zur Hälfte hinab. Sei es nun aber, daß sie es übersehen hatten, oder daß Stricke und Seile zu schwach waren: kurz, das Holz entging ihnen und fing an, von selbst fein allgemach den Berg hinabzurollen, bis es zu den andern Hölzern kam, wo es wie ein anderer Stock stille liegen blieb. Solchem Verstande dieses groben Holzes sahen die Schildbürger bis zu Ende zu und verwunderten sich höchlich darüber. »Sind wir doch alle«, sprach endlich einer unter ihnen, »rechte Narren, daß wir uns solche Mühe gegeben, bis wir die Bäume den Berg hinabgebracht; und erst dieser Klotz mußte uns lehren, daß sie von selbst besser hätten hinuntergehen können!« – »Nun, dem ist Rat zu schaffen,« sagte ein anderer; »wer sie hinabgetan hat, der soll sie auch wieder hinauftun! Darum, wer mit mir dran ist, spute sich! Wenn wir erst die Hölzer wieder hinaufgeschoben, so können wir sie alle miteinander wieder hinunterrollen lassen; dann haben wir mit Zusehen unsere Lust und werden für unsere Mühe ergötzt.«
Dieser Rat gefiel allen Schildbürgern über die Maßen wohl;