Im Schatten der Schwarzen Sonne. Nicholas Goodrick-ClarkeЧитать онлайн книгу.
seiner Ablehnung des Christentums als eines artfremden (semitischen) Glaubens bediente sich Matt Koehl bei der Darlegung der New-Order-Parteidoktrin immer wieder religiöser Symbole unfehlbar christlichen Ursprungs. Er hebt Hitler zum Retter, ja zum Messias der arischen Rasse empor: »Uns Ariern ist er Gesetz und Wegweiser für alle Zeit. Er ist unsere Hoffnung, unsere Erlösung.« Er spricht von Hitlers »Verklärung«, vom »heiligen Gefolge«, das sich hinter ihm versammele. Besonders mit Erlösungssymbolik überlädt Koehl seine Verkündigungen dergestalt, dass es ihn geradezu davonträgt: »Tief steht schon die Sonne, die sterbende Zivilisation wirft lange Schatten über eine verwirrte und verzweifelte Welt und taucht sie in Finsternis, aber der Glaube leuchtet fort, der Glaube an eine bessere Zukunft. […] Diese Zukunft wird sein eine strahlende Neue Ordnung […], geleitet und gelehrt von der unsterblichen Persönlichkeit des Größten, der je auf Erden wandelte«.30 Man findet wohl schwerlich einen glühenderen Ausdruck inbrünstiger Hitler-Verehrung als dieses messianisch-apokalyptische Geschwalle, und schwerlich einen, der so offenkundig christlichen Vorbildern nachgestaltet ist.
Mit vielen fundamentalistischen Sekten teilt die New Order die aggressive Absage an die moderne liberale Welt, die in ihren Augen bestimmt wird von Zügellosigkeit, moralischem Verfall sowie mentaler und körperlicher Verseuchung. Anders als die religiösen Eiferer beklagen die Neonazis jedoch nicht Gottferne, sondern Artferne. Jene, die Hitler gemäß den Standards seiner demokratischen Gegner be- und verurteilen, fragt Koehl, was die Sieger von 1945 der Welt denn so Segensreiches beschert haben. Wie sieht ihre Bilanz aus, fünfzig Jahre nach der Niederwerfung Hitlers? Welches sind die großen Gaben, die der Triumph der Alliierten ihren Völkern brachte? Koehl antwortet: Eigennutz, Konkurrenzdenken, rasender Konsumismus, Umweltverschmutzung und Rassenvermischung. Womit haben die Bezwinger des braunen Deutschlands beispielsweise Amerika beglückt? »Sie verfälschten die nationale Demographie und nannten es ›Integration’, derzuliebe die Weißen allerlei schlucken mussten: gemischtrassige Busfahrten, Minderheitenförderungsprogramme, positive Diskriminierung, political correctness, die Leidensgeschichte der Schwarzen – und den Holocaust. Sie bescherten uns Permissivität, MTV und Teenager-Selbstmorde. Sie bescherten uns sicheren Sex und unsichere Straßen sowie restriktive Waffengesetze. Sie bescherten uns Rock’n’Roll und Beratungszentren für Vergewaltigungsopfer. Sie bescherten uns ›alternative Lebensstile’, Analverkehr, AIDS, Pornographie, Perversion, Chaos, Verbrechen, Korruption, Verblödung und Schwachsinn aller Art«31. Wahrlich eine erdrückende Fülle von Unerfreulichkeiten, kulturpessimistisch umgedeutet zu Symptomen der Agonie einer Gesellschaft, die dem Untergang geweiht ist. All diese Fehlentwicklungen, so will uns diese Suada einreden, sind eine direkte Folge der Niederlage des Nationalsozialismus. Aber dieser Triumph des liberalen Systems, meint Koehl, kann nicht ewig währen; die Krisensymptome künden ja schon sein nahes Ende, und bald wird die alte Ordnung abgelöst durch die Neue Ordnung, die alles gerade richtet.
Während Koehl gleichsam den Nazis eine Kirche baute, wollten einige NSWPP-Streiter ohne viel Federlesen Gewalt sprechen lassen: Terror sei der richtige Weg, befand etwa Joseph Charles Tommasi, geboren 1951, der junge Führer der NSWPP-Abteilung Südliches Kalifornien. Es sollte nicht bei Worten bleiben: 1974 gründete Tommasi die National Socialist Liberation Front (»Nationalsozialistische Befreiungsfront«), kurz NSLF. Er brach mit dem »ordentlichen«, spießbürgerlich-konservativen Image des amerikanischen Nazismus; er ließ sich die Haare wachsen und rauchte Marihuana wie die Hippies. Auch bei der militanten Linken entlehnte er das eine oder andere ideologische und strategische Element, sie freilich den klassischen nazistischen Zielen unterordnend. So forderte Tommasi den bewaffneten Guerillakampf gegen die »jüdischen Machtstrukturen« der Vereinigten Staaten. Auf einem berüchtigten NSLF-Poster stand der Satz: »Die Zukunft gehört den wenigen unter uns, die noch bereit sind, sich die Hände schmutzig zu machen«. Zu sehen war ein entsichertes Gewehr, entlang dessen Lauf sich die Worte zogen: »Politischer Terror. Die einzige Sprache, die sie verstehen«. Nur wenn das Gegenwärtige untergehe, so Tommasi ganz chiliastisch, blühe der Welt eine bessere Zeit; diesen Untergang müsse man mit Gewalt beschleunigen. Statt »Recht und Ordnung« wollte Tommasi Anarchie und Chaos; seien die erst geschaffen, meinte er, könne man das verhasste System und die verhassten Polizeikräfte, die es verteidigten, leichter attackieren. Internen Richtlinien zufolge sollten sich die NSLF-Guerilleros u.a. ausrüsten mit Magnumflinten, Reihenfeuerpistolen Kaliber 45 und halbautomatischen Armeesturmgewehren. Propagandaplakate zeigten eine Ruine mit grotesk verbogenen Stahlträgern: die Überreste einer Bank-of-America-Filiale, in der die Gruppe eine Bombe gelegt hatte. Das NSLF-Hausblatt Siege (»Belagerung«) brachte das Foto eines anderen zerstörten Terrorzielobjekts auf dem Cover; freilich hatte man das Bild nicht selbst geschossen, sondern schlicht aus einem fremden Magazin übernommen – dem der radikal linken Students for a Democratic Society (»Studenten für eine demokratische Gesellschaft«), kurz SDS.32
1975 wurde Tommasi von Mitgliedern eines rivalisierenden Neonazi-Trupps ermordet. Nach seinem Tod löste sich die NSLF auf. Ein Jahrzehnt schien es, als sei die Idee des bewaffneten Kampfes in der Szene vergessen – bis Mitte der 80er-Jahre eine rechte Vereinigung auf den Plan trat, die sich bald The Order nannten, bald Brüder Schweigen (oft verballhornt zu Bruders Schweigen) – ja, hier gab sich eine amerikanische Terrorbrigade provokativ einen deutschen Namen. Sie erregte um 1985 mit einer Reihe bewaffneter Anschläge beträchtliches Aufsehen. Ihr Inspirator war ein gewisser James N. Mason, geboren 1952, ein militanter Nazi, der sich Mitte der 60er-Jahre Rockwells Partei angeschlossen hatte. Über zehn Jahre blieb er ihr verhaftet, bis er dort keine Perspektive mehr erkannte. Amerikas Weiße, befand Mason, bräuchten eine neue supremazistische Bewegung, militant und opferbereit, die notfalls auch mit Gewalt gegen die Hauptunterdrücker des Landes kämpfe, nämlich gegen das Zionist Occupation Government (»Zionistische Besatzungsregime«), kurz ZOG – so die in rechten Kreisen gängige Denunziationsvokabel für die US-Regierung, welche man als ein jüdisch kontrolliertes Marionettenregime betrachtete.33 Bei der Suche nach Vorbildern stieß Mason auf Tommasis NSLF; also gründete er sie 1980 neu, desgleichen deren Hausblatt Siege. In dem predigte er nun vehement Gewalt gegen Andersrassige und Andersdenkende und Krieg mit allen Mitteln gegen das verhasste »System«. Als weiteren Mentor fand Mason den exzentrischen Kriminellen Charles Manson, geboren 1934, den berüchtigten Anführer einer wirrköpfigen esoterischen Sekte, der »Manson Family«, die sich hippiesk gebärdete, aber nicht vor Bluttaten zurückschreckte. Aufsehen erregte sie, als einige ihrer Mitglieder August 1969 in Los Angeles die berühmte Schauspielerin Sharon Tate und einige ihrer Begleiter töteten. Charles Manson wurde gefasst und erhielt schließlich wegen Anstiftung zum Mord lebenslänglich. In der konfusen Pseudo-Philosophie des Sektenführers mischten sich Anarchistisches, Satanistisches und Nazistisches mit der üblichen Antibürgerlichkeit und Drogenvergötzung der Hippies. Obwohl er in seine Stirn ein Hakenkreuz eingeritzt hatte, legte sich Manson politisch nie fest. James Mason jedoch sah in Manson den edlen Geächteten schlechthin und ernannte den einsitzenden Verbrecher zum geistigen Führer seiner neuen Nazi-Organisation, der Universal Order (»Weltorden« oder »Weltordnung«; die Wortprägung stammte von Manson). Masons Nazi-Religion erklärte sowohl Hitler als auch Manson zu Erlösern; so verknüpfte er Koehls messianische Frömmigkeit mit Tommasis millenaristischem Terrorismus. In seinen Beiträgen für Siege nahmen Huldigungen an Hitler, Tommasi, Manson und Savitri Devi breitesten Raum ein.34
Schon seit einiger Zeit gab es Bestrebungen, den amerikanischen Neonazismus nach Europa zu reexportieren. Mitte der 60er-Jahre hatte die WUNS es versucht; jetzt übernahm die Aufgabe ein weiterer Nebenspross der Rockwell’schen Organisation, die National Socialist Party of America, kurz NSPA. Gegründet wurde sie 1970 von dem Chicagoer Neonazi Frank Collin, geboren 1944, zuerst Mitglied der NSWPP, von dieser aber ausgeschlossen, als bekannt wurde, dass er einen jüdischen Vater hatte – ein Umstand, der ihn freilich auch künftig nicht daran hinderte, sich furios antisemitisch zu äußern und zu betätigen. In den späten 70er-Jahren erregte die NSPA durch krawallträchtige