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Im Schatten der Schwarzen Sonne. Nicholas Goodrick-ClarkeЧитать онлайн книгу.

Im Schatten der Schwarzen Sonne - Nicholas Goodrick-Clarke


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Zu derlei Esoterismen nämlich nehmen bestimmte Individuen und Gruppen in den USA und Europa, die durch die vorrückende Multikulturalität ihren sozialen Status, ihre kulturellen Traditionen und ihre Identität gefährdet sehen, besonders gern Zuflucht; sie basteln sich daraus eine Art subversiven Gegenentwurf.

      Unser Panorama beginnt mit der Entwicklung des Neonazismus in den USA und Großbritannien. Auch die angelsächsische Variante des Spätvölkischen entstand als extremistische Defensivreaktion auf Kommunismus und Liberalismus, ergänzt um ein paar landestypische Spezifika, namentlich den Kampf wider jegliche Rassenintegration: die Schwarzafrikaner hier sollten ebenso ausgegrenzt bleiben wie die farbigen Einwanderer dort. Die radikale Rechte suchte ein geeignetes ideologisches Gegengift gegen den Liberalismus, besonders gegen die Tolerierung oder gar Förderung ethnischer Minderheiten; da erschien ihnen der geistige Fundus der braunen Vordenker gerade passend. In Untergrund-Publikationen pries man Hitler und den Nationalsozialismus; würde die weiße Rasse, hieß es, jenen Konzepten folgen, könne sie sich die weltweite Vorherrschaft auf ewig sichern. Zwar befehdete man inzwischen aktualitätshalber primär die Farbigen; dies bedeutet aber nicht, dass man den alten Antisemitismus ad acta gelegt hätte. Unverändert sah man im Juden den dämonischen Hauptfeind des weißen Ariertums. Niemand anders als die Juden, hieß es, steckten doch hinter den Bestrebungen, alle Rasseschranken zu beseitigen; so ließen sich Nationalbewusstsein und die traditionellen Werte und Loyalitätsgefühle, die den nationalen Zusammenhalt garantieren, leichter zersetzen. Und zersetzt werden müssten sie, einschließlich der Nationen selbst – dem großen Ziel zuliebe, das die Juden seit jeher verfolgt und nie aufgegeben hätten: der Eroberung der Weltherrschaft.

      Dass der Antisemitismus im modernen rassistischen Diskurs ungemindert fortexistiert, obwohl dessen Hauptstoßrichtung inzwischen anderen Ethnien gilt, beweist die Zählebigkeit der dämonologischen Denkmuster des Nazismus. Sie folgen einer radikal dualistischen Einteilung der Welt in Hell und Dunkel, in Gut und Böse, die an die Sichtweise bestimmter religiöser Bestrebungen der Spätantike und des Frühmittelalters erinnert, besonders an die der Manichäer und der Gnostiker – fundamentalistischer Gruppen, die teils in Konkurrenz zum Christentum, teils als häretische Opposition zu dessen offizieller Linie entstanden waren. Wie die Gnostiker sich in einer moralisch verschatteten Welt von der lichten göttlichen Transzendenz abgeschnitten fühlten, sahen die amerikanischen und britischen Neonazis um sich herum nur liberalistisch verblendete Zeitgenossen, die nicht begriffen, dass einzig eine Politik nach Art des Nationalsozialismus der weißen Rasse Schutz vor Überfremdung bieten könne. Auch die chiliastische Erwartung einer Ideal-Epoche gehörte bereits zum Gedankengut bestimmter Ketzergruppen, das die Neuvölkischen allerdings rassistisch einfärbten. Jedenfalls bilden der Glaube an ein reinrassiges Tausendjähriges Reich und der Gut-Böse-Dualismus mit den Juden in der Rolle des Bösen die Hauptelemente neonazistischer Religiosität.

      Von den 1950er- bis in die 1970er-Jahre imitierten Neofaschisten und Neonazis weitgehend das Erscheinungsbild der Vergangenheit: uniformierte Kampftrupps, Märsche, Hakenkreuzfahnen. Politische Parteien entsprechender Ausrichtung gab es auch wieder, aber sie wuchsen nie übers Marginale hinaus. Sie waren ein Reservat für Fanatiker; Zutritt hatte nur, wer die alten Bewegungen bewunderte; wenigstens musste er radikaler Antisemit sein. Zwar wurde der enge nationale Rahmen der Hitlerianer ins Globale erweitert: Nicht allein das Deutschtum, sondern die weiße Rasse allgemein sollte gerettet werden. Und doch blieb Nazideutschland als historisch-politischer Erfahrungsfundus das gültige Modell, dem man nacheifern wollte. Diese unbedingte Treue gegenüber den Vorbildern, ja deren kultische Vergötzung kennzeichnet sämtliche spektakulären Versuche einer Wiederbelebung des braunen Reichs im angloamerikanischen Raum; bei dem amerikanischen »Führer«-Imitat George Lincoln Rockwell finden wir dies ebenso wie bei seinem britischen Pendant Colin Jordan, desgleichen bei all ihren Anhängern und Nachfolgern. Die Haltung verurteilte jene Gruppen freilich auch zur Wirkungslosigkeit: Wo die Verdammung des Dritten Reiches und des Holocaust allgemein respektierter Konsens war, hatte, wer Hitler und die Seinen verklärte, keine Aussicht auf politischen Erfolg.

      Wenn Rechtsextreme politisch nicht weiterkommen, greifen sie gern ins Metaphysische, um ihren Gedanken sozusagen höhere Weihen und damit mehr Zugkraft zu verleihen. Mystik macht zumindest interessant. Schon die Ariosophen des beginnenden 20. Jahrhunderts waren so verfahren; seit den 1970er-Jahren nun versuchen nicht wenige neonazistische und neofaschistische Gruppen das Gleiche. Sie kämpfen gegen eine Gesellschaft, die isoliert und ächtet, was sich nicht in den liberalen Mainstream fügt, und suchen für diesen Kampf immer häufiger transzendente Rechtfertigungen, die von der politischen Tagesrealität abstrahieren und ältere Gedankenwelten bemühen, aus denen sich, so behaupten sie, ersehen lasse, dass bestimmte Rassen anderen eben doch überlegen seien. Zu diesem Behufe sichten sie die abend- wie die morgenländische Geistes-, Religions- und Mythengeschichte und schauen, was ihnen nützlich erscheint – wobei ihnen gewisse sektiererische Philosophen des 20. Jahrhunderts einen Teil der Sucharbeit abgenommen haben, deren »Erkenntnisse« sie dankbar heranziehen. Eine wesentliche Rolle spielt die Berufung auf die okkulten, angeblich uralten »Lehren der arischen Weisheit«, die einen neuen Kult begründen sollen. Die klassische Verehrung der »Herrenrasse« wird versetzt mit Entlehnungen aus orientalischen Religionen und europäischer Esoterik. Einen bedeutsamen Beitrag zu dieser Entwicklung leistete in Deutschland und Österreich der ehemalige SS-Mann Wilhelm Landig. Er versuchte eine Wiederbelebung des ariosophischen Mythos um das sagenhafte Land Thule, weit im Norden gelegen, die angebliche Heimat der ursprünglichen Arier. Er fabulierte die Idee der »Schwarzen Sonne«, einer geheimnisvollen Energiequelle, die in der Lage sei, die arische Rasse zu regenerieren; das passende Symbol dazu, das man künftig anstelle des (verbotenen) Hakenkreuzes verwenden solle, wählte er aus dem germanischen Zeicheninventar: eine Radfigur mit zwölf gewinkelten Speichen. Er popularisierte esoterische Theorien über Atlantis und prähistorische Sintfluten, die Welteislehre und tibetanische Rassenmythen - Gedankengut, das bei den Völkischen schon vor Hitler im Schwange war und später namentlich von der SS kultiviert wurde. Ferner machte er das große Interesse Hitlers für ketzerische Bewegungen des Mittelalters bekannt, die Katharer zumal und die Gralssucher; an deren Haltungen, so Landig, habe Hitler anknüpfen wollen, um eine besondere germanische Religion zu konstruieren, eine Art Spezialversion der dualistischen Häresie. In Italien wiederum begründete der Mussolini-Vertraute Julius Evola eine eigene Tradition des aristokratischen Elitarismus und der arisch-nordischen Esoterik. Der römische Baron hat die erste Generation der Neofaschisten nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmend geprägt. Wenn rechtsextreme Terroristen aus Italien in ein anderes europäisches Land fliehen mussten, nahmen sie Evolas Ideen mit und gaben sie an die dortigen rechtsextremen Parteien und Gruppen weiter. Sie wirkten über seinen Tod 1974 hinaus; in den späten 80er-Jahren avancierte der vorher kaum bekannte Philosoph gar zur Ikone der Opposition gegen Demokratie und Liberalismus im Westen.

      Zur Legitimation der geforderten Herrschaft des Ariertums zog auch Evola indische Heilslehren heran, den Hinduismus etwa und den Tantrismus. Der Blick nach Indien war unter Rechtsextremen schon länger gang und gäbe. Allein die strikt hierarchischen Strukturen des Kastenwesens mussten sie faszinieren. Was sie über indische Spiritualität wussten, bezogen sie überwiegend aus den Schriften der Theosophen, einer religiös-philosophischen Sekte, die seit dem späten 19. Jahrhundert orientalischen Mystizismus für das Abendland fruchtbar machen wollte. Manche Ideen der Theosophie sind zumindest rassistisch missdeutbar. Zu den ersten Neo-Nazis, die nach dem Krieg die eigene Ideologie mit (theosophisch adaptiertem) indischem Gedankengut anzureichern trachteten, einschließlich einer Neudeutung des hinduistischen Kastenprinzips, gehörte der Amerikaner James Madole. Ähnliche Amalgamierungen versuchten Savitri Devi und Miguel Serrano, deren mystizistische Doktrinen in der rechten Szene als Geheimtipps gehandelt werden. Savitri Devi, gebürtige Französin, später Wahlinderin, brachte es zur Leitprophetin einer neuen Richtung des Hinduismus, der viel Schmeichelhaftes für die braune Bewegung erschaute. Hitler etwa sei ein Avatar, die Verkörperung eines Gottes in Menschengestalt, und zwar verkörpere er den Gott Vishnu. Den Nationalsozialismus setzte Devi mit dem Shiva-Kult gleich; immerhin glaubten beide an das unbedingte Zusammengehören von Zerstörung und neuer Schöpfung. Unter Bezug auf die hinduistische Lehre vom Zyklus der vier Zeitalter behauptete sie, gegenwärtig lebe die Menschheit im Kaliyuga, im »dunklen Zeitalter des Streits«, das nur beendet werden könne durch die regenerative Gewalt von Krieg und Völkervernichtung. Miguel Serrano, erst chilenischer


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