Im Schatten der Schwarzen Sonne. Nicholas Goodrick-ClarkeЧитать онлайн книгу.
nannte. Halbgötter seien die Arier, verkündete Serrano, und obendrein außerirdischen Ursprungs; leider habe im Laufe der Zeit ihr erhabenes Wesen durch Vermischung an Kraft eingebüßt. Dagegen empfahl er das tantrische Kundalini-Yoga; dieses könne das »mystische arische Blut«, wo es verdorben sei, reinigen und ihm die frühere Eigenschaft als Bewahrer des göttlichen Lichts wiedergeben. Des Weiteren war bei Serrano die Rede von einem gnostischen Krieg gegen die Juden, von der Schwarzen Sonne, von Hitler als Avatar und von Nazi-UFOs in der Antarktis. So schaffte sich der Neonazismus neue Mythen und neue Weltdeutungsmuster, um jüngere Generationen anzusprechen.
Deutlich stand und steht hinter all dem der Wunsch, den Nationalsozialismus aufzuwerten. Ironischerweise haben zu dieser Aufwertung auch Autoren nicht-nazistischer Provenienz beigetragen, die den Nazis den Gefallen taten, sie ins Dämonische zu überhöhen. Sie warfen sich in die Pose mutiger Enthüller, die bisher wenig bekannte – eben »okkulte« – Seiten der braunen Bewegung beleuchteten; tatsächlich ging es den Schreibern aber wohl eher ums Geschäft mit der Sensation. Die 60er- und 70er-Jahre bescherten der Welt zahllose Thriller und Pseudo-Sachbücher, meist reißerisch aufgemachte Paperbacks, die den Nationalsozialismus mystifizierten und romantisierten, ihn emporhoben zu einer neuzeitlichen Religion, in welcher sich abendländische Gnostik, orientalische Mystik, tibetanische Geheimlehren und diverse Dämonenkulte mischten – oder waren die nazistischen Akteure gar selbst von Dämonen gelenkt? Der Effekt solcher Werke war eine Enthistorisierung: Die Faktizität von Diktatur, Krieg und Unterdrückung verschwand hinter einem mythologischen Brimborium. Was die Trivialliteratur dergestalt vorgegeben hatte, fand bald sein Echo in der Realität. Schon während der frühen 70er-Jahre tändelten amerikanische Satansjünger mit Nazistischem, das ihnen eine Chiffre für die tabuisierte dunkle Seite des Lebens war. Zu dieser dunklen Seite wollten sie sich provokativ bekennen, und dafür nutzten sie das Schockpotential brauner Symbole und Ideen. Hatte diese Annäherung noch den Charakter eines oberflächlichen Flirts, so verhielt sich dies bei späteren Gruppen anders. Die 90er-Jahre brachten einen genuinen nazistischen Satanismus, getragen von »schwarzen Logen« in Amerika, Europa und Australien. Der predigte ein krass antichristliches Neuheidentum und sah in den braunen Herren, die ein solches ja auch angestrebt hatten, geistige Vorläufer, weshalb er, allen zivilgesellschaftlichen Konsens bewusst ignorierend, ohne Scheu Hitler und das Dritte Reich pries. In der Ideologie dieser Strömung fand sich Verschiedenes zusammengerührt, das sich aus elitärer Sicht zur antichristlichen Polemik eignete: etwa eine vulgärnietzscheanische Vergötzung von Macht und Stärke, Sozialdarwinismus und Herrenrassendenken.
In den 80er- und 90er-Jahren stieß die extreme Rechte auf dramatisch steigendes Interesse, namentlich unter einer verunsicherten weißen Jugend und einheimischen Niedriglöhnern, die sich mehr und mehr marginalisiert sahen durch die neue High-Tech-Industrie und die fortschreitende Integration ethnischer Minderheiten. Das rasche Anwachsen der Immigration aus den Entwicklungsländern schuf in den USA und den Staaten Westeuropas neue Angst vor Überfremdung. Letzteren trieb außerdem der Zusammenbruch der Sowjetunion und Jugoslawiens jede Menge Osteuropäer ins Haus, daneben Sinti und Roma. Freihandelsabkommen, der Rückgang der traditionellen Industrieproduktion, die internationale Beweglichkeit der Wirtschaft – dank moderner Computertechnologie – und, damit verbunden, die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland brachten den Liberalismus weiter in Misskredit und bereiteten rassistischen Haltungen den Boden.
Im Zeitalter der Globalisierung strömen Kapital, Information, Know-how und Personal massiv und ungehindert über die nationalen Grenzen – mit grundlegenden Folgen gerade für den Westen, der sich in einer Phase rascher und weitreichender Transformation befindet. Die Einheimischen in den fortgeschrittenen Industriestaaten sind längst nicht mehr unter sich; eine ständig wachsende Zahl von Menschen gesellt sich von außen hinzu: Wirtschaftsmigranten, Flüchtlinge, Asylanten, aber auch bestens ausgebildete Fachkräfte. Die eigene Kultur findet sich zunehmend konfrontiert mit bisher fremden Gebräuchen, Normen und Religionen. Am Beginn unseres neuen Jahrhunderts wird immer unverhohlener die Frage gestellt, ob der Nationalstaat überhaupt Zukunft habe. Nicht alle begrüßen diese Entwicklung; einige wünschen sich gar eine harte, radikale Konterattacke – Reflexe, wie sie ähnlich ein Jahrhundert zuvor schon einmal im Schwange waren. Wieder werden Liberalismus und Laissez-faire-Kapitalismus als Faktoren unwillkommener, ja bedrohlicher Veränderung betrachtet. Und wieder empfiehlt eine extreme nationale Rechte zur Verteidigung der bedrohten Identität die Rückbesinnung aufs Völkische, auf die Bedeutsamkeit der eigenen Rasse.
Für nicht wenige Einheimische, die ihren Status durch die vielen Fremden gefährdet wissen, bildet »Identität« eine Art letzte Zuflucht. Meist handelt es sich um rassische oder religiöse Identität, oft gar um eine Verquickung aus beidem. In den USA gibt es einen Hauptstrom des weißen Rassismus, den man als Christian Identity – »Christliche Identität« – bezeichnet (und dem etwa der Ku-Klux-Klan zugerechnet wird). Die Anschauungen dieser Gruppen vermengen den Dualismus bestimmter christlicher Häretiker mit einer antisemitisch pervertierten Theologie, die in den Juden die »Ausgeburt Satans« sieht. Ähnliche Eigenschaften weisen sie sämtlichen Nicht-Weißen zu, also Menschen afrikanischer, asiatischer oder lateinamerikanischer Abkunft. Ein minderwertiges und bösartiges Gezücht seien diese mud races (»Schlammrassen«); nicht um Gleichberechtigung gehe es ihnen, sondern darum, die arische Herrenrasse zu schwächen, wenn nicht gar zu vernichten; deshalb machten sie sich jetzt überall breit, wo früher nur die Weißen schalteten und walteten. Die Vertreter der Christian Identity berufen sich ganz ohne Scheu auf die Ideologie des Nationalsozialismus, namentlich auf ihre Dämonologie und ihre Endzeitvisionen, bekunden ungeniert ihre Verehrung für Adolf Hitler und benutzen schamfrei die Symbole des Dritten Reiches. Und wie ihre Vorbilder hetzen sie zur Gewalt auf, die ihnen immer gerechtfertigt erscheint, wenn es der Erringung oder dem Erhalt weißer Prädominanz dient. Andere Gruppen sind nicht christlich, sondern neuheidnisch ausgerichtet und vermischen ihren Rassismus mit nordischer Religion. Da werden Runen als geheime Zeichen überlieferter Weisheit und mystischer Bindung ans arische Blut zelebriert. In den USA, Großbritannien, Deutschland und Skandinavien brüten rassenfanatische Neuheiden über Runen, Magie und den finsteren Sagen um die nordischen Gottheiten Wotan, Loki und den Fenriswolf. Die heutigen Rassisten suchen Rat bei Mythen und Esoterik, bei alten Kosmologien und Prophezeiungen. Wenn ihnen dergestalt nur Botschaften vom Überirdischen noch Halt zu geben vermögen, verrät dies, welch bedrückende Sorgen ihnen die Zukunft weißer Identität innerhalb der multiethnischen Gesellschaft bereitet.
Dieses Buch war gedacht als Folgeband zu Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, der das Weiterleben nazistischer Okkultismen nach dem Zweiten Weltkrieg dokumentieren sollte. Darin, so meine ursprüngliche Erwartung, würde ich hauptsächlich schildern, wie irgendwelche unbelehrbaren Exzentriker fern aller Gegenwartsrelevanz altbraunes Gedankengut wiederkäuen und hilflos versuchen, ein wenig von der ehemaligen Strahlkraft faschistischer Mystik in die neue Zeit herüberzuretten. Doch je mehr meine Arbeit fortschritt, desto klarer wurde mir, dass ich die Darstellung breiter anlegen und anders perspektivieren musste. Was ich hier zu leisten hatte, könnte den Titel tragen: »Die Neuvölkischen in Amerika und Europa. Geschichte, Ideologie und Gruppierungen einer aktuellen Politreligion«. Ja, einer aktuellen, denn diese Bewegung, die so oft das Gestern bemüht, hat, wie meine Forschungen zumindest für die englischsprachigen Länder eindeutig belegen, durchaus das Heute und seine Probleme im Visier. Das völkische »Revival« ist, so gesehen, gleichsam die rückwärtsgewandte Reaktion auf den Siegeszug von Liberalismus und Globalisierung seit Beginn der 1980er-Jahre.
Alte und neue Völkische haben gemein, dass es sich bei ihrer Weltanschauung um eine Defensiv-Ideologie handelt. Während die originale völkische Bewegung im späten 19. Jahrhundert die deutsche Identität gegen die beginnende Moderne und ihre nivellierenden Tendenzen verteidigte, so verteidigen die Neuvölkischen die weiße Identität gegen Multikulturalismus, Gleichberechtigung und Massenimmigration aus der Dritten Welt. Die Weißen, so postulieren sie, sollen sich ihres Wertes wieder bewusst werden, sollen, um einen ihrer gängigsten Slogans zu zitieren, white pride zeigen, »weißen Stolz«. Die Ideologie, eine Art theoretischer Unterbau für den politischen Kampf, will nun genau bestimmen, was die so verehrte Identität eigentlich ausmacht und was nicht, und warum sie derart wertvoll ist. Und eben bei dieser Bestimmung kommen die Neuvölkischen – wie schon ihre Vorläufer – fast zwangsläufig ins esoterische Spintisieren und