Szenen aus dem Landleben. Оноре де БальзакЧитать онлайн книгу.
schien; er runzelte die Augenbrauen wie ein Mann, der notgedrungen auf irgendeine Illusion verzichten muss. Wir sind gewohnt, andere Leute nach uns zu beurteilen, und wenn wir sie auch gerne von unseren Fehlern freisprechen, verurteilen wir sie doch streng, weil sie unsere guten Eigenschaften nicht besitzen. Wenn der Major wünschte, dass Monsieur Benassis ein sorgsamer oder methodischer Mann sei, kündigte seine Haustüre wahrlich eine vollkommene Gleichgültigkeit dem Eigentum gegenüber an. Ein auf häusliche Ökonomie haltender Soldat, wie Genestas einer war, musste nach dem Portal sofort auf das Leben und den Charakter des Unbekannten schließen: was er trotz seiner Umsicht auch durchaus nicht unterließ. Die Tür war halboffen, eine weitere Sorglosigkeit! Im Vertrauen auf diese ländliche Unbekümmertheit ging der Offizier ohne weiteres in den Hof, band sein Pferd an die Stäbe des Gitterwerks, und während er den Zügel festknotete, drang ein Wiehern aus einem Stall, nach welchem das Pferd und der Reiter unwillkürlich die Augen wandten; ein alter Diener öffnete die Türe und zeigte seinen Kopf, der mit einer dortzulande üblichen roten Leinenmütze bedeckt war, die vollkommen der phrygischen Mütze gleicht, mit der die Freiheit geschmückt ist. Da es dort Platz für mehrere Pferde gab, bot der Biedermann, nachdem er Genestas gefragt hatte, ob er Monsieur Benassis zu besuchen komme, ihm für sein Pferd die Gastfreundschaft des Stalles an, indem er das Tier, welches sehr schön war, voll Zärtlichkeit und Bewunderung betrachtete. Der Major folgte seinem Pferde, um zu sehen, wo es aufgehoben werden sollte. Der Stall war sauber, Streu gab es genug, und Benassis' beide Pferde hatten jenes glückliche Aussehen, das unter allen Pferden ein Pfarrerspferd herauserkennen lässt. Eine Magd, die aus dem Hausinnern auf die Freitreppe hinausgetreten war, schien pflichtgemäß auf die Fragen des Fremdlings zu warten, dem der Stallknecht bereits mitgeteilt hatte, dass Monsieur Benassis ausgegangen sei.
»Unser Herr ist nach der Kornmühle gegangen,« sagte er. »Wenn Sie ihn dort treffen wollen, brauchen Sie nur dem Pfad nachzugehen, der durch die Wiese führt, die Mühle liegt an ihrem Ende.«
Genestas wollte lieber das Land sehen als wer weiß wie lang auf Benassis' Rückkehr zu warten und schlug den Weg nach der Kornmühle ein. Als er die unregelmäßige Linie, die der Flecken auf dem Bergabhange beschreibt, überschritten hatte, erblickte er das Tal, die Mühle und eine der reizvollsten Landschaften, die er noch je gesehen.
Durch den Fuß der Berge gestaut, bildet der Fluss einen kleinen See, über dem sich die Bergzacken stufenweise erheben, indem sie ihre zahlreichen Täler durch die verschiedenen Farben des Lichts oder durch die mehr oder minder lebhafte Reinheit ihrer Grate, die alle mit finsteren Tannen bestanden sind, erraten lassen. Die erst kürzlich an dem Fall des Wildbachs in den kleinen See erbaute Mühle besitzt den Reiz eines alleinstehenden Hauses, das sich mitten in den Gewässern zwischen den Wipfeln mehrerer wasserliebenden Bäume verbirgt. Auf der anderen Fluss-Seite, am Fuße eines an seinen Gipfeln durch die roten Strahlen der untergehenden Sonne in diesem Augenblick schwach erleuchteten Berges sah Genestas ein Dutzend verlassener Strohhütten ohne Türen und Fenster. Ihre beschädigten Dächer ließen ziemlich große Löcher sehen; die Ländereien ringsherum bildeten vollkommen bestellte und angesäte Felder, ihre ehemaligen, in Wiesen umgewandelten Gärten wurden durch Wasserläufe benetzt, die mit ebensoviel Kunst angelegt worden waren wie im Limousin. Der Major blieb unwillkürlich stehen, um die Trümmer dieses Dorfes zu betrachten.
Warum sehen Menschen alle, selbst die bescheidensten Ruinen nicht ohne eine tiefe Bewegung an? Zweifelsohne sind sie für sie das Bild des Unglücks, dessen Last von ihnen so verschieden empfunden wird. Die Friedhöfe lassen an den Tod denken, ein aufgegebenes Dorf lässt an die Mühen des Lebens denken; der Tod ist ein vorhergesehenes Unglück, die Mühen des Lebens sind unendlich. Ist das Unendliche nicht das Geheimnis der großen Melancholien?
Der Offizier hatte die steinige Mühlenstraße erreicht, ohne dass er sich die Preisgabe des Dorfs hätte erklären können; er fragte einen auf den Getreidesäcken vor der Haustüre sitzenden Müllerburschen nach Monsieur Benassis.
»Monsieur Benassis ist dorthin gegangen,« sagte der Müller, nach einer der zerstörten Hütten zeigend.
»Das Dorf ist wohl abgebrannt?« fragte der Major.
»Nein, mein Herr.«
»Warum sieht es denn so aus?« fragte Genestas.
»Ah! warum?« antwortete, achselzuckend und ins Haus hineingehend der Müller, Monsieur Benassis wird's Ihnen sagen.«
Der Offizier ging über eine Art Brücke, die man aus großen Steinen hergestellt hatte, zwischen denen der Wildbach strömte, und kam bald zu dem bezeichneten Hause. Das Strohdach dieser Behausung war noch ganz, mit Moos bedeckt, aber ohne Löcher, und die Verschlüsse schienen in gutem Zustande zu sein. Beim Hineingehen sah Genestas Feuer im Kamin, in dessen Winkel eine alte Frau vor einem auf einem Stuhle sitzenden Kranken kniete, während ein mit dem Gesichte nach dem Feuer gewandter Mann daneben stand. Das Innere des Hauses bildete ein einziges, durch ein elendes mit Leinwand verhängtes Fenster erhelltes Zimmer. Der Boden bestand aus festgestampfter Erde. Der Stuhl, ein Tisch und eine schlechte Matratze bildeten den gesamten Hausrat. Niemals hatte der Major etwas so Einfaches noch so Kahles gesehen, nicht einmal in Russland, wo die Hütten der Muschiks Höhlen gleichen. Hier legte nichts von den Dingen des Lebens Zeugnis ab, es befand sich dort nicht einmal das geringste für die Zubereitung der einfachsten Nahrung notwendige Gerät. Man hätte die Behausung für eine Hundehütte ohne Futternapf halten können. Wenn dort nicht die elende Matratze gelegen, ein langer, grober Leinwandkittel an einem Nagel gehangen und mit Stroh ausgelegte Holzschuhe des Kranken gestanden hätten, die einzigen Kleidungsstücke, wäre einem diese Hütte ebenso verlassen wie die anderen vorgekommen. Die kniende Frau, eine sehr betagte Bäuerin, bemühte sich des Kranken Füße in einen Kübel, der mit einem braunen Wasser angefüllt war, zu halten. Als er einen Schritt hörte, den das Geräusch der Sporen für die an den monotonen Gang der Landleute gewöhnten Ohren ungewöhnlich machte, wandte der Mann sich nach Genestas um, indem er eine gewisse Überraschung bekundete, die von der Alten geteilt wurde.
»Ich habe nicht nötig,« sagte der Soldat, »zu fragen, ob Sie Monsieur Benassis sind. Einem Fremden, der ungeduldig ist, Sie zu sehen, werden Sie verzeihen, mein Herr, dass er gekommen ist, Sie auf Ihrem Schlachtfelde zu suchen, statt Sie bei sich zu Hause zu erwarten. Lassen Sie sich nicht stören, gehen Sie Ihrem Berufe nach. Wenn Sie fertig sind, will ich Ihnen den Grund meines Besuches anzeigen.«
Genestas lehnte sich an den Rand des Tisches und bewahrte Schweigen. Das Feuer verbreitete in der Hütte eine lebhaftere Helligkeit als die der Sonne, deren durch die Bergwipfel gebrochenen Strahlen niemals in diesen Teil des Tales gelangen können. Beim Lichte dieses Feuers, das durch einige harzige Fichtenzweige, die eine leuchtende Flamme abgaben, unterhalten wurde, betrachtete der Soldat das Gesicht des Mannes, den ein heimliches Interesse ihn aufzusuchen, zu studieren und genau kennenzulernen zwang. Monsieur Benassis, der Bezirksarzt, verharrte mit gekreuzten Armen, hörte Genestas kühl an, erwiderte seinen Gruß und wandte sich wieder dem Kranken zu, ohne sich für den Gegenstand einer so ernstlichen Prüfung, wie es die des Militärs war, zu halten.
Benassis zeigte eine Durchschnittsfigur, aber mit breiten Schultern und breitem Brustkasten. Ein weiter, bis zum Halse zugeknöpfter grüner Überrock hinderte den Offizier, die so charakteristischen Einzelheiten dieser Persönlichkeit oder ihrer Haltung zu bemerken; der Schatten und die Unbeweglichkeit aber, in welcher der Körper verharrte, sorgten dafür, das in diesem Augenblick durch einen Reflex der Flammen stark erhellte Gesicht hervortreten zu lassen. Das Gesicht dieses Mannes ähnelte dem eines Satyrs: die nämliche leicht geschweifte Stirn, die aber voll mehr oder minder bezeichnender Erhebungen war; die nämliche, an der Spitze geistreich gespaltene Stülpnase; die nämlichen, hervortretenden Backenknochen. Der Mund war geschwungen, die Lippen waren dick und rot. Das Kinn trat unvermittelt hervor. Die braunen Augen, durch einen lebhaften Blick, dem die perlmutterschimmernde Farbe des Weißen darin einen hohen Glanz verlieh, beseelt, sprachen von ertöteten Leidenschaften. Die einstmals schwarzen und jetzt grauen Haare, die tiefen Falten seines Gesichts und seine bereits weißen buschigen Augenbrauen, seine dick und äderig gewordene Nase, seine gelbe und durch rote Flecke marmorierte Hautfarbe, alles kündigte bei ihm den Fünfziger und die harte Arbeit seines Berufes an. Der Offizier konnte den Umfang des augenblicklich mit einer Mütze bedeckten Kopfes nur mutmaßen, doch obwohl er unter dieser